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Glosse

«Die Oltner Bergkäsewurst beleidigt meinen Gaumen»: Wie ich Grillmeister beim EHC Chur wurde

Weil ich in Olten eine enttäuschende Erfahrung mit der hochgelobten Stadionwurst machte, stehe ich nun selbst am Grill. Sportlich (noch) eine Liga tiefer in Chur, kulinarisch schon heute erstklassig.
In Chur herrscht Aufbruchstimmung. Sportlich, aber auch kulinarisch.
Bild: Bild: Annick Ramp/NZZ

Gehe ich als Zuschauer ins Stadion, steht für mich weniger der Sport im Mittelpunkt als die Geselligkeit und die Kulinarik.

Heisst konkret: Eine gute Wurst und ein kühles Bier sind Pflicht.

Meine Kollegen, die über den EHC Olten berichten, schwören seit Jahren auf die Bergkäsewurst, die im Kleinholz gereicht wird und dort zum Kulturgut gehört.

Als kritischer Geist will ich mir selber ein Urteil bilden. Dienstag, 23. Dezember 2019, Tag der Verköstigung. Solothurner Derby, Olten empfängt Langenthal, verliert 1:4. Für mich viel schlimmer: Die Wurst enttäuscht. Sie ist übelriechend und trieft vor Fett. «Freunde, diese Bergkäsewurst beleidigt meinen Gaumen. Das ist die schlechteste Wurst, die ich je gegessen habe», lautet mein vernichtendes Urteil.

Das Corpus Delicti: die Oltner Bergkäsewurst.
Bild: Bild: zvg

Anderthalb Jahre später, im Februar 2021, sucht Oltens Ligakonkurrent Visp auf Twitter (so hiess X damals noch) «junge und talentierte» Spieler. Nun bin ich weder jung (war ich schon damals nicht mehr), noch talentiert. Dennoch biete ich ganz unbescheiden meine Dienste an. «Kann am Wurststand aushelfen», teile ich mit.

Die Walliser beissen an, holen mich als Grillmeister. Gemeinsam machen wir die Lonza-Arena zur kulinarischen Hochburg.

Eine Wurst für mehr Sex-Appeal

Doch alles hat ein Ende (nur die Wurst, die hat bekanntlich deren zwei). Im Frühling 2023 spüre ich, dass meine Mission in Visp erfüllt ist, als mich Twitter-User Dan Rifter darauf aufmerksam macht, ich hätte eine gewisse Ähnlichkeit mit Reto von Arx, dem Trainer beim EHC Chur. Ich könne doch dort in der Grillabteilung anheuern.

Mit Bruder Jan Trainer in Chur: Reto von Arx.
Bild: Bild: Keystone

In Chur hält man mich offenbar nicht für einen Hanswurst und hat schon länger ein Auge auf mich geworfen. Nun fügen sich alle Puzzleteile zusammen: Ich suche eine neue Herausforderung und bin seit diesem Semester auch noch als Dozent an der Fachhochschule Graubünden in Chur.

Zudem herrscht beim EHC nach langem Wursteln wieder eine Aufbruchstimmung. Interimspräsident Carmine Di Nardo sagte kürzlich im Interview zu meinen Kollegen der «Südostschweiz»: «Der EHC Chur muss wieder sexy werden.»

Was macht einen Eishockeyklub und den Stadionbesuch sexyer als guter Sport in Kombination mit einer perfekten Wurst? Sie ahnen es: Die Frage ist rhetorisch.

Nun geht alles sehr schnell. Keine 24 Stunden nach dem ersten Gespräch unterschreibe ich als Leiter Grillabteilung (Neudeutsch: «Head of Sausages»). Am 1. April (kein Scherz) wird mein Wechsel offiziell. Der EHC schreibt: «Wir freuen uns, dass unser Wunschkandidat zum Bündner Traditionsverein wechselt. Solche Transfers sind sehr selten und aufwendig.»

Nur Siege seit Stellenantritt

Am Mittwoch, 20. September 2023, ist es endlich so weit. Das erste Heimspiel der neuen Saison im Churer Eishockeytempel, dem Thomas Domenig Stadion. Es geht um die Wurst – für mich am Grill und für meinen EHC auf dem Eis gegen Bülach.

Empfangen werde ich vor der Feuertaufe von Ken Kübler, dem Leiter Sponsoring und Marketing beim EHC Chur. Er stellt mich dem Leiter Gastronomie vor, an den ich künftig rapportiere. Dann heisst es: Schürze umbinden und Würste braten.

Simon Häring, Head of Sausages, beim Debüt am Grill des EHC Chur.
Bild: Bild: zvg

Das sportliche und kulinarische Abenteuer beginnt fulminant: drei Spiele, drei Siege, Tabellenführung. Es fallen die Tore und es brutzeln die Würste, die Stimmung? Sie ist am Siedepunkt. Der EHC Chur und ich – wir lassen nichts anbrennen. Es ist nicht mehr nur ein Bauchgefühl, der Beweis ist damit erbracht: Beim Passivsport ist eine gute Wurst eben mehr als die halbe Miete.

PS: Seid keine beleidigten Leberwürste, liebe Oltner. Möglicherweise ist eure Bergkäsewurst nicht ganz so schlecht, wie ich sie in Erinnerung habe. Deshalb gebe ich ihr noch einmal eine Chance, mich zu überzeugen. Aus Sicherheitsgründen bleibt das Datum der Degustation aber geheim.

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