Gute Stimmung steckt an. Die anfängliche Skepsis gegenüber dem Nationalteam ist verflogen. Es herrscht erwartungsvolle Vorfreude auf das heutige Duell mit Frankreich. Die TV-Quote verspricht einen Rekord, viele Public Viewings melden schon im Vorfeld «full house» und selbst das Wetter steigert sich im Sog der Schweizer Mannschaft. Pünktlich zum Anpfiff um 21 Uhr soll der Regen aufhören, und für den möglichen Achtelfinal in einer Woche verspricht Meteorologe Peter Wick 30 Grad und Sonnenschein.
Kein Vergleich zur Euphorie 2006 oder 2014
Wieso dieser Wandel, schliesslich sah es vor kurzem noch düster aus? Der bevorstehende EM-Auftritt der Schweizer Nati riss lange niemanden vom Hocker. Keine Spur von der elektrisierenden Atmosphäre vor und während der WM in Deutschland. Kein Vergleich mit den Hoffnungen auf einen Exploit der «jungen Wilden» des populären Ottmar Hitzfeld vor zwei Jahren in Brasilien.
Für die fehlende Vorfreude gab es berechtigte Argumente und unbestechliche Indikatoren. Der sechste Schweizer Auftritt in zwölf Jahren bei einem Grossanlass führte zu einer Sättigung. Die Resultate und Leistungen der Nati seit der Qualifikation waren schlicht ungenügend. Zum Vergleich: Vor der WM 2014 blieb die Hitzfeld-Truppe in den Testspielen ungeschlagen, ans Turnier in Deutschland schaffte es die Schweiz in der Barrage-Schlacht gegen die Türkei gar auf dramatische Art und Weise. Diese Faktoren sorgten für ein vorzeitiges «Wir-Gefühl».
Die Frage der Identifikation
Vor der EM in Frankreich hingegen kreisten die Diskussionen um das Image des Teams. Der «Balkan-Graben» gab zu reden, die Diskussionen um mögliche Nationen-Wechsel von Schlüsselspielern zum Kosovo ebenso. «Darunter litt die Identifikation mit der Mannschaft», glaubt Sportmanager Armin Meier. Dies beruhe auf Gegenseitigkeit: «Die Bevölkerung weiss nicht so recht, ob das wirklich ‹ihre› Nati ist, und einige Spieler stellen sich offensichtlich die gleiche Frage.» Der ehemalige Radprofi, der für die Marketingagentur IMG die Tour de Suisse organisierte und später für Infront Ringier auch die Super League vermarktete, sieht darin den Hauptgrund für die fehlende Euphorie vor der EM.
Die Folgen? Ein Drittel weniger Gesuche für Public Viewings im Vergleich zur WM in Brasilien (240 zu 314 Bewilligungen) sowie ein prägnanter Rückgang von Auftritten der NatiProtagonisten in der Werbung. «Sport eignet sich so gut wie nichts anderes, um die eigene Marke zu emotionalisieren. Doch die Fussball-Nati hat zuletzt beim Zielpublikum deutlich an Wert verloren. Dafür verantwortlich sind die Leistungen und die Ausstrahlung», erklärt Brian Rüeger, Leiter des Instituts für Marketing an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.
«Marketing-Wert» kann sich schnell ändern
Brian Rüeger betont aber auch, dass sich dieser «Marketing-Wert» der Nationalmannschaft schlagartig ändern kann. «Wenn die Unternehmen realisieren, dass die positiven Attribute des Teams wieder im Vordergrund stehen, werden sie sofort auf den Zug aufspringen. Das kann von einem Tag auf den anderen geschehen. Gut möglich, dass die Nati schon nächste Woche etwa bei Coop und Migros wieder omnipräsent ist.»
Bereits aufgesprungen ist ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung. Neben den Leistungen des Teams steckte die Euphorie der «Multi-Kulti-Eidgenossenschaft» an. In der Schweiz wohnen Menschen aus allen 24 EM-Nationen. Sie sorgen dafür, dass die Public Viewings seit Beginn des Turniers hervorragend laufen. «Das Interesse ist eher noch grösser als bei der WM in Brasilien», sagt etwa Marco Ungaro von der Insel-Arena in Wettingen. Auch die SBB melden ausverkaufte Fanzüge nach Frankreich.
Wichtigster Euphorie-Treiber bleibt der Erfolg. Wie schnell dieser rotieren kann, zeigt folgendes Beispiel. Nach dem Führungstor von Gareth Bale gegen England verkaufte der Online-Shop von Fussball-Corner Oechslin innert 30 Minuten zehn Trikots von Wales, wie Einkaufschef Heinz Meyer verrät. Am Schluss gewann England mit 2:1.
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