Nach dem Training schreitet Colin Muller mit Schlittschuhen an den Füssen und Eishockeystock in der Hand Richtung Trainerkabine der Klotener Swiss Arena. Seit 2014 arbeitet er am Schluefweg, wo er zusammen mit seinem langjährigen Gefährten Sean Simpson die Kloten Flyers übernahm. Auch nach 16 Jahren im Trainerbusiness, die meiste Zeit als Assistent, liebe er seine Arbeit noch immer. «Ich mag es, im Hintergrund zu arbeiten. Ich stehe nicht sehr gern im Rampenlicht», sagt der Schweiz-Kanadier.
Mit 19 Jahren kam Muller in die Schweiz, um Eishockey zu spielen. Zunächst in der Nationalliga B. Später fand er beim EV Zug den Weg in die höchste Spielklasse. 13 Jahre verbrachte er bei den Zentralschweizern, bevor er Ende der 90er-Jahre zum HC Fribourg stiess. Dieser Wechsel sollte seine Karriere nachhaltig beeinflussen.
Hauruck-Aktion machte ihn zum Trainer
Ende November war die Mannschaft auf dem letzten Tabellenplatz und der Trainer wurde entlassen. «Der Klub fragte mich, ob ich den Posten übernehmen wolle», sagt Muller. «Ich war damals eigentlich als Spieler gekommen und hatte auch eine gute erste Saisonhälfte gespielt.» Einen Tag hatte Muller Zeit, um sich zu entscheiden. Wenig später stand er hinter der Bande. «Ich bereue diese Entscheidung kein bisschen. Ich hatte gar nie Zeit, meiner Spielerkarriere nachzutrauern, es ging alles so schnell.» Er habe auch sofort seinen alten Freund Sean Simpson angerufen, unter dem er in Zug gespielt hatte. «Ich bat ihn um seine Meinung und um ein paar Übungen fürs Training.»
Es sei eine der speziellsten Erfahrungen in seiner gesamten Karriere gewesen, erinnert sich Muller. «Mein erstes Spiel als Trainer war in Bern vor 16 000 Zuschauern. Ich hatte weiche Knie, das weiss ich noch genau.» Fribourg, zu diesem Zeitpunkt auf dem letzten Platz klassiert und als Underdog in die Hauptstadt gereist, gewann in der Verlängerung. Bei der Revanche einen Tag später gelang ebenfalls ein Sieg. Muller hatte voll eingeschlagen. Eine Woche später führte man auch gegen den EV Zug mit 5:1, gab das Spiel aber wieder aus der Hand. «Ich war so wütend, dass ich nach dem Spiel gegen einen Kübel getreten habe und mir einen Zeh brach.» Muller führte seine Mannschaft auf den 7. Platz, verliess den Verein nach dem Ausscheiden in den Viertelfinals aber dennoch.
Als Headcoach wurde er zwei Mal entlassen
Nach zwei Jahren als Co-Trainer des SC Rapperswil-Jona übernahm Muller zunächst noch einmal Fribourg für eine Saison und danach zusammen mit Sean Simpson den EV Zug. Der Beginn einer Ära, die bis heute andauert. Unterbrochen nur von zwei kurzen Intermezzi als Headcoach bei den ZSC Lions und beim EHC Olten. Beide Male wurde Muller nach einer halben Saison entlassen. Heute sehnt er sich nicht mehr nach einer Stelle als Headcoach. «Ich möchte die ganze Verantwortung nicht mehr tragen. Ich bin so schon ausgelaugt genug nach einem Spiel.» Er brauche jeweils drei bis vier Stunden, bis er wieder ganz abgekühlt sei. «Das nehme ich dann auch mit nach Hause. Als Headcoach wäre das wahrscheinlich noch schlimmer.»
Auch, dass Simpson nach den Erfolgen in der Champions Hockey League oder der WM-Silbermedaille die Lorbeeren einheimst, obwohl Muller selber keinen unwesentlichen Anteil daran hatte, störe ihn nicht. «Je älter ich werde, desto weniger will ich im Rampenlicht stehen. Das Lächeln nach einem Sieg reicht mir vollkommen.» Das sei ein Grund, warum es mit Simpson auch so gut funktioniere. Simpson wisse genau, dass sein Job nicht von ihm begehrt werde.
Bindeglied zwischen Spielern und Trainer
«Er kann mir vertrauen und sich auf mich verlassen. Das ist enorm wichtig für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.» Natürlich sei es nach einer so langen Zeit auch ein spezielles Verhältnis zwischen den beiden. Muller wisse mittlerweile genau, wann er seinen Chef in Ruhe lassen sollte. Er versuche, so gut wie möglich ein Bindeglied zwischen Spielern und Headcoach zu sein. «Oft kommt ein Spieler mit einem Problem zuerst zu mir und ich passe dann den rechten Moment ab, das mit Simpson zu besprechen.»
Für Muller gibt es aber auch ein Leben nach dem Hockey. «Einmal ein Restaurant am Meer zu betreiben, wäre schon was. Aber da ist noch nichts geplant, ich liebe Eishockey noch immer.»
Die Männer im Schatten - Serie Teil 2
Assistenztrainer fristen im Spitzen-Mannschaftssport in aller Regel ein Dasein im Schatten der Cheftrainer – obwohl sich ihr Aufgabengebiet in den letzten Jahren eher vergrössert hat. Für viele Vertreter dieser speziellen Zunft ist die Existenz ausserhalb der vollen Verantwortung aber genau das, was sie wollen und suchen. Andere würden sich gerne eher früher als später an vorderster Front verwirklichen, schaffen es aber nicht, aus ihrer über Jahre kultivierten Rolle auszubrechen.
Die «Schweiz am Sonntag» hat je zwei Vertreter aus der höchsten Schweizer Fussball- und Eishockeyliga herausgepickt und sich mit ihnen über ihre Aufgabe als zweite Geige im Trainerteam unterhalten: Harald Gämperle, einer von zwei Assistenten der Berner Young Boys; Thomas Binggeli, der unterschätzte und um Anerkennung ringende Chrampfer im Hintergrund; Colin Muller, der seit Jahren loyal an der Seite von Sean Simpson von Job zu Job zieht; und Remo Gross, der beim HC Davos schon ein Jahrzehnt lang eng mit dem legendären Arno Del Curto zusammenarbeitet.
Den Auftakt unserer Serie bestritt gestern YB-Assistenzcoach Harald «Harry» Gämperle. Heute folgt Collin Muller und am Dienstag Thomas Binggeli. Am Tag vor Heiligabend endet unsere Serie mit derjenigen Person, die Arno Del Curto wohl so gut kennt wie sonst niemand: Remo Gross.
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