«Biathlon ist definitiv in der Schweiz angekommen.» Dieser Satz ist am Sonntag im WM-Gelände auf der Lenzerheide öfters zu hören. Und tatsächlich ist die Stimmung elektrisierend, als sich Lena Häcki-Gross aufmacht, in der Verfolgung um die Medaillen zu kämpfen. 13’500 Zuschauerinnen und Zuschauer sind da, Zuschauerrekord in der hiesigen Biathlon-Arena. Und der Schweizer Disziplinenchef Lukas Kehl geht davon aus, dass diese Zahl eher tief gegriffen ist. Auf der Haupttribüne jedenfalls staut sich das Publikum vor den Rennen. Und endlich wirkt die Stimmung auch am Loipenrand so, wie man das von Weltmeisterschaften an Biathlon-Traditionsorten her kennt. Traumwetter inklusive. Und: Traumdramaturgie ebenfalls. Kleines Manko: Die Schweizer Medaille fehlt weiterhin.
Häcki-Gross sprach am Ende von «gigantischer Stimmung», die sie angetrieben hat. Auf Position vier war sie ins Rennen gegangen, nachdem sie im Sprint vom Samstag die Medaille nur um gut eine Sekunde verpasst hatte. Dank fehlerfreier Liegendschiessen stiess die 29-jährige Obwaldnerin zwischenzeitlich auf Rang eins vor und lieferte sich mit der späteren Siegerin Franziska Preuss ein packendes Rennen - «die fürs Publikum perfekte deutsch-schweizerische Kombination», wie Preuss später sagte. Häcki-Gross aber wurde letztlich nur fünfte. Hinter Preuss lief die Schwedin Elvira Öberg ins Ziel, die Sprint-Siegerin Justine Braisaz-Bouchet gewann Bronze.
«Ich sackte bei den Schüssen leicht durch»
Die «gigantische Stimmung» war es am Ende auch, die Häcki-Gross im allerletzten Schiessen, auf Position zwei liegend, nervös machte. «Ich war noch nie in einer ähnlichen Drucksituation in einem Rennen. Ich zitterte, hatte aufgrund der Nervosität zu wenig Spannung im Körper, sackte bei den Schüssen leicht durch. Ich merkte das, konnte aber nichts dagegen unternehmen.» Das Resultat waren drei leicht zu tiefe Versuche. Was im ersten Moment ratlos tönt, nahm Häcki-Gross positiv und gelassen. «Ich habe Lehrgeld bezahlt. Werde aber daraus lernen.»
Häcki-Gross war als Athletin bekannt, die zuweilen mit Nervosität zu kämpfen hatte. In den vergangenen Jahren wurden ihr diesbezüglich vom Trainerteam aber grosse Fortschritte attestiert. Was sie in den ersten zwei Liegendschiessen auch bewies.
Platz fünf ist ein Resultat, das Häcki-Gross vor der WM unterschrieben hätte, wie sie sagte. «Die Entstehung ist natürlich schon sehr bitter. Doch ich zeigte zuvor ein so souveränes Rennen - das nehme ich mit.» Mitnehmen werde sie auch die Momente, als sie im Lärm der tausenden Fans an der Spitze lief. Von einem «bitteren Resultat» sprach auch Disziplinenchef Lukas Kehl. Eigentlich dürfe man ja nicht unbedingt mit einer Schweizer Medaille rechnen. Und dennoch: «Die Medaille müsste schon endlich mal kommen», sagte Kehl und nahm Bezug auf die knapp verpassten Chancen schon vor einem Jahr in Nove Mesto.
Yoga und Spaziergang am Montag
Weitere Chancen ergeben sich für Häcki-Gross am Dienstag im Einzel und am Samstag in der Frauenstaffel. Ob sie auch in der Single-Mixed-Staffel am Donnerstag zum Einsatz kommen wird, ist hingegen offen. Dort wird ein Schweizer und eine Schweizerin gemeinsam an den Start gehen. Sie brauche nun jedenfalls Zeit, die Aufregung zu verdauen, so Häcki-Gross. «Alles an mir zittert», sagte sie noch lange nach dem Zieleinlauf. «Schlafen wird heute eine Herausforderung.» Am wettkampffreien Montag seien Erholung, Yoga und ein Spaziergang mit Familie und Freunden angesagt.
Sehr zufrieden mit ihrem Rennen war Aita Gasparin, die sich von Rang 41 auf 21 verbesserte und die achtbeste Tageszeit lief. Ihre Schwester Elisa Gasparin lief auf den 38. Platz. Amy Baserga hatte aufgrund eines verpatzten Sprintrennens nicht an der Verfolgung teilnehmen können. Auch sie wird am Dienstag im Einzelrennen wieder ins Geschehen eingreifen.
Die Medaillenchancen sind für die Schweiz weiterhin intakt: Denn es ist noch nicht einmal WM-Halbzeit auf der Lenzerheide. Nach den Einzelstart-Rennen vom Dienstag und Mittwoch sowie der Mixed-Staffel vom Donnerstag steht wohl der atmosphärische Höhepunkt noch an. Die Staffeln am Samstag und die Massenstartrennen vom Sonntag sind traditionell die meistbesuchten und meistbejubelten der Weltmeisterschaften.
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