Sie zittert noch am ganzen Körper, und wie ein Wasserfall bricht es aus ihr heraus, als der vielleicht grösste Erfolg ihrer Karriere Tatsache ist. Sprachlos sei sie, sagt Belinda Bencic. «Unglaublich, ein Traum wird wahr», wie schon am Tag zuvor.
Nach einem 7:6 (7:3), 7:6 (7:2) gegen die 18-jährige Russin Mirra Andreewa (WTA 7) steht die Olympiasiegerin von 2021 in Tokio in Wimbledon erstmals im Halbfinal und erst zum zweiten Mal nach 2019 bei den US Open bei einem Grand-Slam-Turnier.
Traumhaftes Bencic-Comeback
Bencic schreibt gerade eines der schönsten Kapitel ihrer Karriere. 448 Tage ist es her, seit ihre Tochter Bella zur Welt gekommen ist. Anfang Jahr lag sie in der Weltrangliste auf Rang 489, nach dem Turnier gehört sie wieder den Top 20 an.
Anfang Jahr hatte sie den Achtelfinal der Australian Open erreicht , und im Februar gewann sie in Abu Dhabi zum neunten Mal in ihrer Karriere ein Turnier, erstmals als Mutter. Nun greift sie in Wimbledon nach dem Titel. Und das alles innerhalb von nur etwas mehr als einem Jahr nach der Geburt ihrer Tochter Bella.
Bencic steht als zweite Schweizerin nach Martina Hingis 1997, 1998 und 2000 in Wimbledon im Halbfinal. Hingis hatte das Turnier vor 28 Jahren als bislang einzige Schweizer Frau im Einzel gewonnen. Zudem feierte die heute 44-Jährige dort auch drei Mal im Doppel und zwei Mal im gemischten Doppel den Titel.
Applaus von Königin Camilla
Bencic hatte zuvor vier Jahre bei einem Grand-Slam-Turnier nicht mehr gegen eine Spielerin aus den Top Ten gewonnen. Diesmal spielte sie gegen die zehn Jahre jüngere Andreewa ihre ganze Erfahrung aus.
Nur einmal zitterte sie. Als ihr im zweiten Satz das erste Break der Partie zum 5:4 gelang und sie danach selber umgehend ihren Aufschlag abgeben musste.
Doch wie im ersten Satz war auch das Tiebreak des zweiten eine klare Angelegenheit. Nach etwas mehr als zwei Stunden Spielzeit kam Bencic zu vier Matchbällen und nutzte gleich den ersten: 7:6 (7:3), 7:6 (7:2).
Ein unerwarteter Erfolg
In der Royal Box klatschte Königin Camilla Beifall, und auf der Tribüne fieberten die Eltern von Roger Federer mit, Robert und Lynette. Sie haben Bencic ins Herz geschlossen, seit diese 2018 und 2019 mit ihrem Sohn im australischen Perth den Hopman Cup bestritten und zweimal gewonnen hat.
Wohl nur die kühnsten Optimisten hätten damit gerechnet, dass Bencic ausgerechnet in diesem Jahr in Wimbledon nach dem Titel greifen würde, zumal sie an einer Armverletzung laboriert, zu der sie sich nicht weiter äussern will. Im Viertelfinal gegen Andreewa riss ihr zudem ein Zehennagel.
Dreimal stand Bencic in Wimbledon zwar schon im Achtelfinal (2015, 2018 und 2023), doch in den letzten drei Monaten gelangen ihr nur noch drei Siege. Auf die French Open in Paris musste sie wegen einer Verletzung am Arm verzichten. Und beim Rasenturnier in Bad Homburg scheiterte sie in der Startrunde diskussionslos mit 1:6, 2:6 an der Russin Ekaterina Alexandrowa.
Schlechte Erinnerungen an Swiatek
Nun trifft sie im Halbfinal auf Iga Swiatek. Wie Bencic (2013) hat die Polin in Wimbledon einst das Turnier der Juniorinnen gewonnen (2018 im Final gegen die Schweizerin Leonie Küng), fühlt sich auf Rasen aber weniger wohl. Keinen ihrer bislang 22 Titel hat die Sandspezialistin auf Rasen gewonnen. Auch Swiatek steht in Wimbledon erstmals im Halbfinal.
Bencic hat 2015 in Eastbourne ihren allerersten Titel überhaupt auf Rasen gewonnen, seither aber keinen mehr.
Wobei sich Bencic nur ungern an das Jahr 2023 zurückerinnern wird. Damals hatte sie im Achtelfinal gegen Swiatek zwei Matchbälle – und musste den Centre-Court dennoch als Verliererin verlassen. Es war das vierte und bislang letzte Duell der beiden, nur einmal gewann Bencic.
Wird ein zweiter Lebenstraum wahr?
Bencic sagt, sie wolle immer noch die beste Spielerin der Welt sein und sie finde es inspirierend, wie andere Mütter die Rückkehr geschafft hätten. «Doch nun sehe ich die Welt von einer anderen Seite. Bisher war das Tennis mein Ein und Alles. Nun bin ich viel entspannter. Ich sehe es als meinen Beruf, den ich immer noch sehr liebe und sehr gerne mache.»
Den Alltag als Mutter habe sie sich schwerer vorgestellt, als er nun sei.
Und doch: Nur sieben Frauen haben als Mütter die Australian Open, die French Open, in Wimbledon oder bei den US Open gewonnen.
In Wimbledon, beim Lieblingsturnier von Bencic, ist das bisher nur einer Frau gelungen: Evonne Goolagong 1980. Und nur Margaret Court und Kim Clijsters haben mit deren drei als Mütter mehr als ein Grand-Slam-Turnier gewonnen.
Doch alle sieben Frauen haben eines gemeinsam: Sie gewannen schon vor der Geburt ihres ersten Kindes ein Grand-Slam-Turnier, Belinda Bencic war dies bisher nicht vergönnt. Es ist ein Kunststück, das nicht einmal Serena Williams gelang. Zwar war die 24-fache Grand-Slam-Siegerin in der achten Schwangerschaftswoche, als sie 2017 bei den Australian Open gewann. Nach der Geburt ihrer Tochter Alexis Olympia erreichte sie noch vier weitere Finals, konnte aber keinen davon für sich entscheiden.
Mit der Geburt ihrer Tochter, sagt Belinda Bencic, sei für sie einer von zwei grossen Lebensträumen in Erfüllung gegangen. Nun könnte in wenigen Tagen auch der zweite wahr werden: der vom Grand-Slam-Titel.
Kommentare
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien, die Kommentare werden von uns moderiert.
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.