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Exklusiver Einblick

Australiens sportlicher Aussenposten an der Schweizer Grenze ist ein weltweites Unikat

Der australische Elitesport betreibt in der Nähe von Varese seit elf Jahren ein Trainingscenter und setzt auch auf Schweizer Kooperationen.

Das staatliche Gebäude wurde von den Italiern gebaut und wird an den australischen Sport vermietet.
Bild: PD

Australien liess 30 Monate lang auf sich warten. Der Ortstermin im European Training Centre des Australien Institute of Sport (AIS) war für den 11. März 2020 geplant. Am Tag vor der geplanten Besichtigung kam der Anruf. «Wir evakuieren Athleten und Belegschaft. Wir schaffen es gerade noch auf einen der letzten Flüge in Richtung Heimat», sagte Warwick Forbes, der geistige Vater und langjährige Direktor des einzigartigen Projekts.

Corona war im Anflug und diktierte das Weltgeschehen in der Folge. Gerade Australien fuhr während der Pandemie einen aussergewöhnlich strikten Kurs und machte die Schoten komplett dicht. Novak Djokovic kann ein Lied davon singen oder all die australischen Staatsbürger, die es eben nicht mehr auf die letzten Flüge schafften.

Wegen Corona für mehr als zwei Jahre geschlossen

Erst im Juni diesen Jahres öffnete das «kleine Magglingen» des australischen Sports seine Pforten erneut. Inzwischen läuft es beinahe wieder im Normalbetrieb. Direkt nach diesem Augenschein reiste das Nationalteam im Rollstuhl-Rugby an, um sich in aller Ruhe an die europäische Zeitzone zu akklimatisieren, bevor es weiter nach Dänemark zur WM geht.

Der frühere Kunstturner Warwick Forbes ist die treibende Kraft hinter dem European Training Centre.
Bild: pd

Die Nationalkader der Frauen und U23 im Radrennsport sind nach neun Monaten Aufenthalt in Gavirate am Vareser See eben erst in die Heimat zurückgekehrt. Auch Ruderer oder Kanuten bleiben in der Regel den gesamten Sommer lang hier.

Australische Sportler feiern Weihnachten im Stützpunkt

Später im Herbst werden die Wintersportler etwa im Biathlon oder Freestyle erwartet. Sie werden mitten in ihrer Saison dann gemeinsam im Stützpunkt Weihnachten feiern. Dass in Australien Sommer ist, wenn es bei uns schneit, dass die Heimat 16 000 Kilometer oder 36 Reisestunden entfernt liegt und dass viele Sportevents nun mal in Europa stattfinden, sind die wichtigen Gründe für dieses Unikat.

Im Eingangsbereich ticken die Uhren nach europäischer, australischer und olympischer Zeit.
Bild: rs

Es ist kein Zufall, dass in der Mensa des Gebäudes mit 50 Gästezimmern, mehreren Kraft- und Trainingsräumen sowie Abteilungen für Sportmedizin und Sportwissenschaft ein raumgrosses Plakat der Olympischen Spiele 2024 in Paris die Wand schmückt.

«Wir sind das einzige Land der Welt, das in einem anderen Land ein solches Trainingscenter betreibt», sagt Direktor Warwick Forbes. Einzig die damalige DDR habe in den Achtzigerjahren in Bulgarien ein Wintersportzentrum betrieben. Forbes selbst war damals einer der besten Kunstturner Australiens und später auch deren Nationaltrainer. Er bekam den Standortnachteil am eigenen Leib mit: Jetlag, keine Anlaufstellen bei Verletzungen und teure Flugkilometer ohne Ende.

Die Vision wurde erst 20 Jahre später realisiert

Der Sportwissenschafter mit Abschlüssen in Humanbiologie, Kinesiologie und Steuerungsphysiologie schlug als Angestellter des AIS bald einmal vor, das Geld für den Trainingsbetrieb in einen solchen Stützpunkt in Europa zu investieren. Doch seine Vision wurde 1986 begraben.

Journalisten sind höchst seltene Gäste in Gavirate. Direktor Warwick Forbes sagt: 'Selbst in Australien wissen wohl die wenigsten, dass es ein solches Trainingszentrum gibt'.
Bild: rs

Erst im Zusammenhang mit den Olympischen Sommerspielen 2000 in Sydney und der Einsetzung eines neuen Sportministers kamen die Pläne wieder aus der Schublade. In Norditalien stiess man auf interessierte Sponsoren und offene Regionalpolitiker. Warwick Forbes war ab 2007 vor Ort in die Entwicklung von Design und Einrichtung involviert. 2009 begann der Bau, im Mai 2011 wurde das Trainingszentrum eingeweiht.

10 000 Übernachtungen in einem Jahr

Bis zu 10 000 Übernachtungen pro Jahr gibt es in Gavirate. Mehr als 20 Sportarten betreiben zumindest temporäre Stützpunkte. Rund 1,8 Millionen Schweizer Franken lässt sich Australiens Sport den Betrieb jährlich kosten. Auch europäische Athleten sind regelmässige Gäste in «Australiens Heimat fern der Heimat», so viele Ruderer aus der Schweiz.

Australien hat zudem eine führende Rolle in der Vernetzung von Sportwissenschaft und Sportmedizin unter westlichen Sportnationen. Ziel ist es, gegenüber mächtigen Organisationen wie dem IOC gemeinsam mehr Gewicht zu bekommen. In diesen Tagen fand hier ein Kongress mit Beteiligung von Swiss Olympic statt.

Warwick Forbes hat zuletzt viel in Nachhaltigkeit investiert. Ladestationen für Elektroautos, Umstellung der eigenen Flotte, Solarpanels und viele kleine Anpassungen. «Mir ist wichtig, dass die australischen Sportler hier in Europa mit einem reduzierten ökologischen Fussabdruck leben können», sagt er.

Stolz ist er auch auf eine andere Errungenschaft. Im Verlauf der Jahre hat er für australische Sportler ein Netzwerk mit fast 40 medizinischen Anlaufstellen quer durch Europa geschaffen, darunter auch zwei in Luzern und Genf.

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