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Rio de Janeiro

100 Tage vor Olympia-Start: Eine Stadt kämpft gegen grosse Zweifel

In 100 Tagen beginnen die olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro – Depression und Krisen erschüttern das Land. Der Gastgeber muss gegen Zweifel und Argwohn kämpfen.

Das Drama um Feuer und Wasser am vergangenen Donnerstag hatte für Rio de Janeiro etwas Symbolisches.

Das Entzünden des olympischen Feuers im 10 000 Kilometer entfernten Griechenland sollte Fans in Brasilien und der ganzen Welt für die Sommerspiele am Zuckerhut erwärmen.

Stattdessen erschütterte fast zeitgleich die durch Meeresbrandung verursachte Katastrophe am Küsten-Radweg in Rio mit zwei Todesopfern das Vertrauen in die Gastgeber.

100 Tage vor der Eröffnungsfeier am 5. August muss der Gastgeber gegen Zweifel und Argwohn kämpfen.

Auch Wettkampfarenen und weitere Prestigeobjekte der Olympiastadt leiden unter Verzögerungen und Zeitdruck, offenbar verbunden mit Sicherheitsrisiken.

Allen voran die U-Bahn-Linie 4, von der heute noch niemand weiss, ob sie tatsächlich pünktlich zu den Spielen die touristische Südzone Ipanema mit dem weiter auswärts gelegenen Olympia-Herz Barra da Tijuca verbinden wird. Aber es gibt ja noch den berühmten «jeitinho brasileiro», den listigen Ausweg aus verklemmten Lagen.

Keine Zeit für Metro-Tests

Angedacht ist, dass in einer «Soft Opening»-Phase die eigentlich für täglich 300'000 Passagiere vorgesehene Metro als reiner Olympia-Transporter fungiert.

Zum Testen bleibt keine Zeit. Plan B mit Schnellbus-Linien würde das Problem auf die schon jetzt verstopften Strassen verschieben.

Immerhin verkündete die Koordinierungskommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bei ihrem letzten Besuch vor wenigen Tagen: «98 Prozent der Arenen sind fertiggestellt.»

Grösste Sorgenkinder seien das Velódromo, wo jetzt die Holzradbahn verlegt wird, und das Estádio Olímpico, das gerade seine Kunststofflaufbahn erhielt und von aussen ohne entsprechenden Anstrich zudem Olympia-unwürdig wirkt.

Unter dem Motto «Aquece Rio» (Erwärme, Rio) waren 44 Testevents geplant. Einzig die Generalprobe der Bahnradfahrer wurde abgesagt.

Andere Checks auf Olympia-Tauglichkeit offenbarten aber ernste Problemfelder. Die Energieversorgung ist eines davon.

So klagten in diesem Monat die Kunstturner über Stromausfall, die Schwimmer ohne eingesparte Klimaanlage über eine überhitzte Halle und natürlich weiterhin Segler und Ruderer über die üble Wasserqualität mit Krankheitskeimen in der Guanabara-Bucht und der Stadt-Lagune.

Nicht mehr kaschieren lässt sich die explosive Lage in Brasilien angesichts eines Mega-Korruptionsskandals, in den auch an Olympiabauten beteiligte Baukonzerne verwickelt sind, eines politischen Vakuums mit dem laufenden Amtenthebungsverfahren gegen Staatspräsidentin Dilma Rousseff, einer tiefen wirtschaftlichen Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit.

Die öffentlichen Kassen sind leer, Kredite für private Unternehmer teuer. Und so ist Geld für auftauchende Komplikationen auf der Zielgeraden zu den ersten Olympischen Spielen auf dem südamerikanischen Kontinent schwer aufzutreiben.

Nachhaltige und kostenbewusste Spiele versprachen vorausschauend die Veranstalter. Viele Arenen sind temporär aufgebaut oder als eine Art Baukastensystem, das anschliessend in verkleinerter Version an anderen Stätten und in anderen Städten Verwendung findet.

Der Rotstift kreist weiter. Auch für die Sportler, auf die in der Vila Olímpica schlicht eingerichtete Zimmer ohne Fernseher warten.

Noch nicht im Bewusstsein

Bei allen Hiobsbotschaften inklusive potenzieller gesundheitlicher Gefährdung von Athleten und Olympiagästen durch Zika-Virus und Schweinegrippe und in depressivem Klima inmitten der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise zeigen die Brasilianer Olympia die kalte Schulter.

«Die Spiele sind noch nicht im Bewusstsein der Menschen», sagt Sportminister Ricardo Leyser. So sind erst 62 Prozent und damit 3,5 Millionen der bislang verfügbaren 5,7 Millionen Eintrittskarten abgesetzt.

Die Olympiamacher hoffen auf stärkere Nachfrage, wenn ab dem 3. Mai die Fackel auf der landesweiten Stafette über 20 000 km durch mehr als 300 Städte getragen wird. Und sie beten, dass es zu keinen Protesten kommt.

Bleibt zu hoffen, dass Rio und seine Cariocas mit Samba-Stimmung für einzigartige Spiele sorgen.

Auch angeheizt von Medaillen für Brasilianer, die aber nach der verpassten Qualifikation von «Goldjunge» Cesar Cielo, Schwimm-Olympiasieger in Peking, auch nicht krisenimmun scheinen. Ohne Zweifel: In den letzten 100 Tagen liegt ein schwerer Weg vor Rio.

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