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Advent, 9. Dezember

Marie im Weihnachtsstreik

Das ist der Tag, an dem das Weihnachtsfest der Meiers abgesagt wird. Frau Meier gibt der ganzen Verwandtschaft Bescheid, damit nicht doch noch jemand etwas vorbeibringt, am Ende gar Geschenke oder so. Nein, entweder oder. Weihnachten fällt in diesem Jahr aus.

Fortsetzung vom 4. Dezember. Autorin: Blanca Imboden

Ganz ehrlich gesagt ist Frau Meier nicht unglücklich darüber. Sie mag nicht Guetzli backen und erst recht nicht Gäste bewirten und riesige Menüs kochen und Geschenke einkaufen. Sie ist einfach nur müde. Herr Meier denkt, dass er so etwas Geld sparen kann. Das ist ihm recht. Die Eltern Meier betrachten das Ganze auch als spannendes Experiment.

Nur Marie ist irgendwie traurig. Und trotzig. «Trautzig», könnte man sagen.

Und dann entdeckt Marie jemanden, der noch trauriger ist als sie. Frau Fischer, die im gleichen Haus, grad über Papas Geschäft, wohnt. Sie steht beim Briefkasten und weint, als Marie von der Schule heimkommt. Da sind nicht nur ein paar versteckte Tränen oder rote Augen, wie bei Mama ab und zu. Nein, Frau Fischer laufen riesengrosse Tränen über das Gesicht.

«Was ist passiert?», fragt Marie voller Mitgefühl. «Meine Tochter hat mir geschrieben», antwortet Frau Fischer, deutet auf den Brief, den sie in der Hand hält und putzt sich die Nase.

«Daniela? Aber das ist doch schön, dass sie Ihnen schreibt!» Marie hat schon oft Fotos von Daniela und ihren Kindern anschauen dürfen. Und sie weiss, dass Frau Fischers Tochter mit ihrer Familie in Amerika lebt.

Frau Fischer streicht sich ihre grauen Haare aus dem Gesicht und sagt: «Ja, schon. Aber sie hat geschrieben, dass sie zum ersten Mal überhaupt an Weihnachten nicht heimkommen wird. Wegen Corona und so.»

«Oh», sagt Marie nur und denkt: Das muss schlimm sein. Kein Weihnachten zu haben, das ist eine Sache, aber auch noch keine Familie, das ist unvorstellbar.

«Sie könnten ja mit uns feiern, das Problem ist nur, wir haben dieses Jahr kein Weihnachtsfest. Kein Baum, keine Geschenke, keine Dekoration. Rein gar nichts. Ich streike nämlich.» Und bevor Frau Fischer etwas erwidern kann, meint Marie: «Aber wir werden sicher etwas essen – wenn Sie mögen, frage ich meine Eltern, ob sich Sie einladen darf. Dann sind Sie nicht so allein.»

Frau Fischer meint, sie käme gerne zum Essen, auch ohne Weihnachtsfeier. Sie habe eh keine Lust mehr auf Weihnachten, sie streike auch. Dabei zeigt sich ein winziges Lächeln in ihren Augen. Kann man weinen und lachen gleichzeitig? Erwachsene sind komisch.

Die Eltern Meier staunen, als Marie erzählt, sie möchte Frau Fischer an Heiligabend zum Essen einladen. «Wir feiern Weihnachten nicht», betont die Mama streng. «Das ist okay», beschwichtigt Marie. «Frau Fischer will nicht Weihnachten feiern, es wäre nur schön, sie wäre an diesem Abend nicht so allein. Wir könnten doch einfach eine Büchse Ravioli aufmachen, etwas Unweihnächtlicheres gibt es sicher nicht, was meint ihr?» Die Eltern Meier sind einverstanden.

Und dann hat Marie einen Geistesblitz. Mitten in der Nacht. Sie weiss gar nicht so recht, ob sie die Idee geträumt hat oder ob sie kurz wach war. Aber das ist egal, denn was ihr eingefallen ist, grossartig und so gut, dass sie mitten in der Nacht ins Schlafzimmer ihrer Eltern tapst, um diese aufzuwecken. Sie sind gar nicht erfreut über die Störung, aber weil Marie das sonst nie macht, sind sie immerhin bereit, zuzuhören.

«Also ich stelle mir den Abend so vor...», holt Marie aus. «Fass dich kurz!», unterbricht ihre Mama sie unwirsch.

Fortsetzung folgt

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