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Das Kreuz mit dem Kreuz

Einsiedler Abt zur Symbolik: «Ja, das Kreuz schliesst aus»

Bild: Jean-Marie Duvoisin

Wo wir hinblicken, kreuzen sich unsere Blicke mit ihnen: mit den Kreuzen in unserer Umgebung. Kreuze als Schmuckartikel (an einer Nachrichtensprecherin im öffentlichen Fernsehen gegenwärtig umstritten), Kreuze in Wohnungen und an Strassenkreuzungen, auf Kapellen und als Wegkreuze, auf Berggipfeln und natürlich in Kirchenräumen. Und unser Kanton kennt das Kreuz sogar im Kantonswappen und damit auch auf den Nummernschildern unserer Autos. Und weil auch das Schweizer Wappen durch ein Kreuz bestimmt wird, lässt dieses sogar im fernen Ausland unser Herz höherschlagen: als Logo auf den Flugzeugen der Swiss oder auf dem Pass, den wir auf uns tragen. Um das Kreuz kommt hierzulande niemand herum.

Kreuze führen aber auch zu Diskussionen: religiöse Zeichen im öffentlichen Raum eines säkularen Staates? Darf der Staat sich mit einer Mehrheitsreligion identifizieren? Ist es damit nicht ein Zeichen des Ausschlusses anderer und damit der Diskriminierung? Das Kreuz schliesst aus, auf jeden Fall. Es ist eine dieser grausamen Erfindungen des Menschen, um andere Menschen aus dem Weg zu schaffen. Das Kreuz bringt nicht nur den Tod, sondern auch grausames Leiden. Wer sich am Kreuz stört, hat es verstanden: Es bringt unliebsame Menschen zum Verstummen. Und wenn ein ganzes Grabfeld entsteht, weil Menschen sich im Krieg gegenseitig umbringen wie jetzt in der Ukraine, dann erinnern die Felder von Kreuzen an die kranke Haltung von Menschen, die nicht genug bekommen vom Auslöschen anderer, die aus dem Weg geräumt werden sollen. Ja, das Kreuz schliesst aus.

Krank ist dabei nicht das Kreuz, dieses Zeichen, bestehend aus zwei Balken, die sich kreuzen, sondern der Mensch, der es gegen andere Menschen einsetzt. Wer am Karfreitag das Gedächtnis begeht, dass Jesus aus dem Weg geräumt werden musste, weil er störte, muss auch an die vielen Menschen denken, die heute aus dem Weg geräumt werden. Am Karfreitag erinnern wir uns auch daran, wie ein Kreuz zum Kreuz Jesu Christi geworden ist: Jesus hat lieber auf Gewalt verzichtet – die Stadt wäre voll seiner Anhänger gewesen, die für ihn gekämpft hätten –, als seine Botschaft der Liebe und Vergebung zu verraten. Er hat das Kreuz der Gewalt vorgezogen, um nicht selbst noch weitere Kreuze aufzurichten, und damit wir das Kreuz nicht mehr einsetzen. Ob wir Menschen diese Botschaft verstanden haben?

Der Karfreitag zeigt uns, wie brutal wir Menschen miteinander sein können, denn das Kreuz ist eine alte Form von Todesstrafe und Folter zugleich. Wer nur den Karfreitag begeht, könnte zynisch wirken: Das Kreuz allein können wir nicht verherrlichen. Sonst sind wir in Gefahr, die Gewalt zu verherrlichen. Den Karfreitag können wir nicht ohne Ostern denken. Ostern sagt uns: Das Ja Gottes zu uns ist stärker als unser gegenseitiges Nein. Ostern zeigt uns, dass Gott selbst dort Leben ermöglichen kann, wo Menschen Kreuze aufrichten. Auf diesem Boden dürfen wir Vertrauen haben. Auf diesem Boden dürfen wir das Kreuz hochhalten.

Das Kreuz durchkreuzt unser Denken auch an Ostern. Wäre es nicht einfacher, nur Ostern zu feiern? Nur das Leben und nicht den Tod? Warum dieser Gedenktag Karfreitag? Wer nur Ostern feiert, könnte ebenfalls zynisch werden. Leiden und Schmerz lassen sich nicht aus unserem Leben «wegfeiern». Das Kreuz ist ein Zeichen der Ehrlichkeit: Es gibt den Tod, es gibt die Gewalt, es gibt das Leiden. Weil wir die Perspektive von Ostern haben, müssen wir jedoch angesichts des Leides nicht kapitulieren. In der Oster-Perspektive wird das Kreuz zum Zeichen einer Hoffnung: Es gibt ein letztgültiges Ja zu jedem Menschen, nicht nur unser gegenseitiges Nein. Es gibt eine Hoffnung, die uns aufstehen und kämpfen lässt gegen Gewalt und Hass. So hat das Schweizer Kreuz die Rotkreuz-Bewegung geprägt: den Einsatz für alle Menschen, vor allem für jene in Not und Leid. Ja, das Kreuz kann ausschliessen. Ostern fordert uns aber auf, aus dem Kreuz ein Mahnmal für das Leben zu machen: das Leben zu wählen und sich für das Leben aller einzusetzen.

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