Das von US-Präsident Donald Trump Anfang April losgetretene Zollchaos kam plötzlich und heftig, aber nicht überraschend. «Es ist extrem, was jetzt passiert, aber es hat sich abgezeichnet», konstatierte die langjährige Staatssekretärin und oberste Schweizer Handelsdiplomatin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch am Montagabend auf einer Podiumsdiskussion über die Zukunft des Welthandelssystems an der Universität Basel.

Mit dem Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 seien die Liberalisierungserfolge der vorausgegangenen Jahre (Uruguay-Runde) ins Stocken geraten, erinnerte sich die frühere Staatssekretärin. Viele bisherige WTO-Mitgliedsländer hätten sich aufgrund des Meistbegünstigtenprinzips der WTO bei einem weiteren Abbau von Handelshemmnissen als Verlierer gegenüber China gesehen.
Dennoch versuchte die WTO mit einer neuen Verhandlungsrunde in Doha die Liberalisierung des Welthandels fortzusetzen. Aber Durchbrüche wurden dort keine mehr erzielt. Die Doha-Runde sei «eingeschlafen» und ihre Durchführung ein Fehler gewesen, stellte Ineichen-Fleisch im Konsens mit Diskussionsleiter Rolf Weder, dem ehemaligen WTO-Chefökonomen und jetzigen Professor für Handelstheorie an der Universität Zürich, fest.
Geschwächt, aber immer noch wichtig
Die WTO ist für kleine und wirtschaftlich starke Länder wie die Schweiz ungemein wichtig, weil sie einheitliche Regeln für alle schafft und einen rechtlichen Rahmen bietet, damit Streitigkeiten regelkonform gelöst werden können. Doch die Institution mit Sitz in Genf ist geschwächt, was nicht zuletzt im jetzigen Zollchaos sichtbar wird. Übersehen werde ob Donald Trumps überfallartiger Zollstrategie, dass der weitaus grösste Teil des Welthandels nach wie vor nach den WTO-Regeln abgewickelt werde, betonte Ralph Ossa.
Eine weitere Beschädigung des regelbasierten Welthandelssystems birgt die Gefahr, dass die internationale Arbeitsteilung und Spezialisierung behindert oder gar rückgängig gemacht werden könnte, was negative Wohlstandseffekte auf Globalisierungsgewinner wie die Schweiz hätte.

Der beste Schutz für die WTO sei es, die Eskalation von Zollstreitigkeiten zu vermeiden, sagte Ossa. Gegenzölle seien ebenso wenig zielführend wie bilaterale Separatdeals, die nicht nur die wichtigsten WTO-Regeln, sondern auch die Interessen aller unbeteiligten Drittländer verletzten. Trotz anders klingender Rhetorik hätten auch die USA kein Interesse, die WTO zu verlassen. Immerhin hätten die Amerikaner im Handel mit Dienstleistungen einen grossen Handelsbilanzüberschuss und die WTO sorge auch für den Schutz von geistigem Eigentum.
Einig waren sich die Experten aber in der Meinung, dass die WTO einige grundlegende Reformen benötigt. Man habe in der Vergangenheit viel zu sehr immer wieder neue Liberalisierungsschritte angestrebt, statt den Bestand an Freihandel gebührend zu würdigen und zu pflegen. Vielleicht ist das derzeitige Zollchaos sogar geeignet, das Umdenken zu beschleunigen und die WTO längerfristig wieder zu stärken. Die Organisation ist nicht nur für China sondern für viele grosse, aufstrebende Schwellenländer wichtig geworden und wird es auch bleiben. «Die Zeiten, in denen die Regeln allein in den westlichen Industrieländern bestimmt wurden, sind endgültig vorbei», hiess es auf dem Podium ohne Bedauern.



