Und wieder trifft es die Tessiner Bevölkerung um stärksten: Die mittlere Prämie steigt im Südkanton um 7,1 Prozent und knackt damit erstmals die 500-Franken-Marke. Damit übernimmt das Tessin die Spitzenposition, nirgends sonst sind die Kosten im Schnitt höher.
Bereits in den letzten Jahren wuchsen die Gesundheitskosten im Süden deutlich stärker als anderswo in der Schweiz. Als Ursache gilt der hohe Anteil an Rentnerinnen und Rentnern, die im Verhältnis mehr Gesundheitsleistungen beanspruchen und so die Prämien nach oben treiben. Per 2025 und 2024 stiegen diese um jeweils mehr als 10 Prozent. Das sind umgerechnet 40 bis 45 Franken mehr pro Monat.
Der Leidensdruck steigt. Entsprechend gross war die Enttäuschung, als das Schweizer Stimmvolk im Juni 2024 die Prämienentlastungs-Initiative der SP mit knapper Mehrheit bodigte. 55,5 Prozent stimmten Nein. Wobei das Abstimmungsresultat einen klaren Röstigraben offenbarte: Die sechs Westschweizer Kantone nahmen die Vorlage an, ebenso Basel-Stadt und das Tessin.
Im Tessin betrug die Zustimmung zur SP-Initiative 57,6 Prozent. Daher rechnet die Linke mit Erfolgschancen am nächsten Sonntag. Dann kommt eine fast identische Vorlage auf kantonaler Ebene zur Abstimmung.
Auch der Kanton ächzt unter der Prämienlast
Der abermals hohe Prämienaufschlag wird der Initiative weiter Schub verleihen. Mit dem Slogan «Explosion der Krankenkassenprämien: Es reicht!» wirbt die Tessiner Linke für ein Ja. Tatsächlich belasten die Krankenkassenprämien die Tessiner Haushalte besonders stark. Nicht nur liegt das Tessin beim Prämienwachstum seit Jahren an erster Stelle. Die Durchschnittseinkommen sind auch deutlich tiefer als im Schweizer Mittel. Dieser Mix führt zu einer überproportional hohen Belastung der Haushalte.
«Die Krankenkassenprämien stehen im Sorgenbarometer unserer Bevölkerung ganz oben», sagt der Tessiner Regierungspräsident Norman Gobbi (Lega). Gleichwohl warnte er an einer Medienkonferenz zusammen mit seinen Regierungskollegen Raffaele De Rosa (Soziales) und Christian Vitta (Finanzen) entschieden vor der Initiative. Der Kanton könne sich die Mehrkosten von jährlich 300 Millionen Franken für zusätzliche Prämienverbilligung schlicht nicht leisten. Aktuell entlastet er die Haushalte mit 400 Millionen.
Vitta warnte, der Kanton werde im Fall einer Annahme gezwungen, den Steuerfuss um 20 Prozent zu erhöhen. Laut dem Finanzdirektor ist der Kanton Waadt, der bisher als einziger Kanton einen 10-Prozent-Deckel für Krankenkassenprämien kennt, mittlerweile auch an seine Grenzen gestossen.
Fast zwei von drei Personen würden profitieren
Ganz anders sieht das die Linke. Laut der kantonalen SP-Co-Präsidentin Laura Riget werden 61 Prozent der Bevölkerung vom neuen System profitieren. Das sei nur gerecht. Denn die Kosten der Initiative von 300 Millionen Franken an Mehrausgaben würden heute de facto von den Familien und Personen finanziert, welche mehr als 10 Prozent ihres Einkommens für die Krankenkassenprämien ausgeben müssten. Doch das bedeutet unter dem Strich: Es kommt zu einer verstärkten Umverteilung. Die Prämienverbilligung werden über die Steuern finanziert, was wiederum auf bürgerlicher Seite gar nicht gut ankommt.
Die Krankenkassenprämien stehen auch im Fokus einer anderen kantonalen Initiative, über die das Volk ebenfalls am Sonntag abstimmt. Sie stammt aus den Reihen der rechtspopulistischen «Lega dei Ticinesi» und sieht eine Änderung im kantonalen Steuergesetz vor, um die maximal abzugsfähigen Beträge für Versicherungsprämien zu erhöhen. Die Abzüge sollen für alleinstehende Personen von 5500 auf 9000 Franken und für Ehepaare von 10'900 auf 18'000 Franken erhöht werden.
Höhere Abzüge bedeuten weniger Steuereinnahmen. Der Kanton, aber auch die grösseren Städte sowie der Gemeindeverband laufen Sturm gegen diese Vorlage. Lugano beispielsweise erwartet im Falle einer Annahme der Lega-Initiative einen Einnahmeausfall in Höhe von 11 Millionen Franken und hat angekündigt, den Steuerfuss allenfalls um 4 Prozentpunkte erhöhen zu müssen. Die Gegner beider Vorlagen bemängeln, dass die Volksinitiativen nicht bei der Kostenproblematik im Gesundheitswesen ansetzten, sondern nur bei der Finanzierung und Prämienverbilligung. Die Erhöhung des Steuerabzugs könnte Versicherte sogar dazu anregen, sich für teurere Versicherungsmodelle zu entscheiden.
Sicher ist: Die Abstimmungen über die beiden Volksinitiativen gehören im Tessin zum wichtigsten Ereignis der laufenden Legislatur. Denn die finanzpolitischen Konsequenzen dürften im Fall einer allfälligen Annahme den Kanton weit über die Erneuerungswahlen im April 2027 hinaus beschäftigen.