
«Warum ist eine Banane billiger als ein Apfel?»: Diese Frage beschäftigte Anfang der 1970er-Jahre die sogenannten Thurgauer «Bananenfrauen». Sie forderten den Handel dazu auf, faire Preise zu zahlen, die bei den Produzenten ankommen. Als die Migros 1973 die Bananenpreise stattdessen senkte, reagierte die Bewegung in einer denkwürdigen Aktion: Unzählige Konsumenten überwiesen Kleinstbeträge an die Migros und protestierten damit gegen die Ausbeutung im globalen Süden. Die Migros knickte ein und lud zum Gespräch.
Mittlerweile ist aus den Fairtrade-Pionierinnen eine Firma entstanden: Gebana (Gerechter Bananenhandel). Ihr Chef Christophe Schmidt verkauft auf dem eigenen Onlineshop längst nicht mehr nur fair gehandelte Bananen. Besonders gefragt sind Orangen aus Griechenland, aber auch Cashew-Nüsse aus Burkina Faso oder Schokolade aus Togo.
Wie genau schauen Sie auf den Preis, wenn Sie einkaufen?
Christophe Schmidt: Privat ist es unterschiedlich: Manchmal schaue ich genau hin, manchmal ist mir Qualität wichtiger. Ich arbeite seit über 30 Jahren in der Konsumgüterindustrie, deshalb interessiert mich die Preisgestaltung sehr. Ich möchte wissen, wie etwas produziert wurde, welche Industrie dahintersteckt, wie viel das schliesslich kostet.
Nehmen wir Ihre Schokolade aus Togo, die Sie vor Ort herstellen und 10,67 Franken pro 100 Gramm kostet. Ist Ihre Schmerzgrenze da erreicht?
Nein, denn ich kenne den Kontext. Gebana handelt seit Jahren mit Kakao in Togo. Als ein Handelskunde uns einige sehr rudimentäre Maschinen für die Schokoladenproduktion überliess, nutzten wir die Chance, um die Wertschöpfung vor Ort zu behalten. Wir haben in einem Büro angefangen, direkt vor Ort Schoggi zu produzieren. Das erfordert viel Handarbeit, die Mengen sind klein. Dementsprechend hoch ist der Preis.
Ihre Schoggi dürfte vielen Leuten zu teuer sein.
Das stimmt, wir müssen unser Volumen steigern und so den Preis runterbringen. Dazu wollen wir 1,2 Million Franken in eine neue Fabrik investieren und zum grössten Schoggiproduzenten Togos werden.
Warum ist das wichtig? Schoggi aus der Schweiz überzeugt doch bereits weltweit.
Ja, mit dem Effekt, dass Westafrika als Rohstofflieferant kaum profitiert. Als ich in Togo war, habe ich realisiert, dass einige Kakao-Bauern noch nie Schokolade gesehen haben. Das ist doch widersinnig. Wir müssen diese Bauern an der Wertschöpfung beteiligen. Während vom Endverkaufspreis einer herkömmlichen Tafel durchschnittlich nur rund 10 Prozent im Herkunftsland des Kakaos bleiben, sollen es bei unserer bis zu 50 Prozent sein.
Das tönt gut. Doch spätestens seit dem Ukraine-Krieg drehen viele Konsumenten den Franken zweimal um. Aldi bedient das mit Broten für 99 Rappen. Eine Tafel Schoggi gibt’s bei Lidl für 79 Rappen. Was halten Sie davon?
Das sind klassische Lockvogel-Angebote. Sie rechnen sich in der Regel nicht, die Händler legen drauf. Das ist eine verständliche Strategie aus Sicht der Discounter. Wir verfolgen einen ganz anderen Ansatz. Denn irgendjemand bezahlt immer den Preis. Bei solchen Billig-Angeboten sind es meist die Bauern.
Wie spüren Sie den neuen Preisdruck?
Vor zwei Jahren haben wir ihn im Grosshandel stark gespürt. Dort liefern wir etwa Cashews, Datteln oder Kakao direkt an die Industrie, den Handel oder Markenartikelhersteller. Da spielt der Preis eine entscheidende Rolle. Mittlerweile hat sich die Situation allerdings entspannt. Und im Online-Direktverkauf sind wir trotz Krise immer gewachsen. Einfach nicht mehr so stark wie vorher.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ich glaube, uns nimmt man es nicht übel, wenn wir teurer sind. Wir sprechen eine Kundschaft an, die bereit ist, für fair gehandelte Lebensmittel einen gerechten Preis zu bezahlen. Tatsächlich sind wir gar nicht immer teurer.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Das ist von Produkt zu Produkt sehr unterschiedlich. Aber im Schnitt sind wir bei einem Bio-Fairtrade-Produkt vielleicht zehn Prozent teurer als Migros oder Coop. Das ist nicht viel.
Wieso nicht?
Während im klassischen Handel verschiedene Akteure Margen abgreifen, ist das bei uns anders. Wir verkaufen die Ware der Produzenten direkt in unserem Onlineshop. Sie erhalten dafür nicht nur einen Mindestpreis, sondern Ende Jahr eine Prämie von 10 Prozent des Umsatzes. So gesehen ist der Preis im Laden vergleichbar, nur erhält der Bauer bei uns viel mehr vom Kuchen.

Seit Jahren hält sich die Kritik, die grossen Schweizer Detailhändler griffen bei Bio-Produkten eine überzogene Marge ab, während die Produzenten davon kaum etwas sehen. Trifft das zu?
Ich weiss nicht, wie die Detailhändler ihre Margen gestalten und kann das darum nicht beurteilen.
Was sind die beliebtesten Produkte bei Gebana?
Das sind Orangen aus Griechenland. Sie wurden fast unabsichtlich zu unserem Paradeprodukt. Danach folgen Clementinen, Ananas, Avocado und frische Mango. Beliebt sind auch Cashew-Nüsse und getrocknete Mango.
Wie wurden Orangen zu ihrem «Paradeprodukt»?
Es ist eine hohe Kunst, Frischprodukte über den Online-Kanal zu verkaufen. Vor 12 Jahren haben wir mit einem griechischen Produzenten begonnen. Er konnte seine Bio-Orangen nicht zum angemessenen Preis verkaufen. Die Händler wussten, dass dieser Bauer die Früchte nicht länger am Baum lassen konnte, da er nicht spritzen darf. Sie warteten also bis zur Ernte zu und grätschten dann mit einem sehr tiefen Preis rein.
Was boten Sie diesem Bauern an?
Bei uns erhält der Produzent einen Bio-Preis. Zudem nehmen wir auch gesprenkelte, grüne oder deformierte Orangen ab. Was viele nicht wissen: Die Farbe einer Orange hat nichts mit der Reife und dem Geschmack zu tun. Viele Händler kaufen Anfang Saison unreife Orangen, weil sie diese teuer verkaufen können. Diese Früchte werden in einer Entgrünungskammer behandelt. Dann sehen sie zwar reif aus, schmecken aber noch gar nicht. Das ist bei uns anders. Unsere Bauern kriegen die gesamte Saison über einen festen Preis und liefern darum dann, wenn die Früchte wirklich reif sind.
Ein Nachteil aus Kundensicht: Man muss bei Ihnen oft gleich mehrere Kilo bestellen. Warum ist das so?
Wir haben den Anspruch, das Richtige zu tun. Für uns ergibt es keinen Sinn, einem Kunden 300 Gramm Orangen zu verkaufen, nur weil er diese Menge will. Wir verkaufen grosse Mengen, weil es effizient ist. Wir befüllen die Kisten im Ursprungsland und packen sie nachher nicht mehr um. Das spart Verpackungsmaterial, Transportwege – und Geld. Bei kleineren Packungen müssten wir die Preise erhöhen.
Gebana ist vor allem älteren Generationen ein Begriff. Geht Ihnen die Kundschaft aus?
Da haben wir keine Bedenken. Laut Umfragen kennt nur 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung Gebana. Sprich: Das Potenzial ist noch gross.
Dennoch ist die Ausgangslage schwierig. Der Bio-Markt steckt in der Krise. Alnatura macht dicht in der Schweiz, das Reformhaus Müller musste Konkurs anmelden. Was stimmt Sie optimistisch?
Als der Ukraine-Krieg begann, gab es eine Delle. Ansonsten aber wächst der Bio-Markt konstant. Diesen Trend kann man nicht ignorieren.
Kann Gebana vom Alnatura- und Reformhaus-Aus profitieren?
Bisher haben wir davon nichts gespürt. Möglicherweise bestellen diese Leute bereits bei uns.
Sie verzichten seit 2018 auf das Fairtrade-Label. Was stört Sie daran?
Labels wie Fairtrade Max Havelaar vermitteln den Eindruck, dass ein Produkt einen fairen Standard erreicht hat. Wir sehen dagegen Fairtrade vielmehr als Prozess: Es braucht stetige Verbesserungen, um eine gerechte Verteilung der Wertschöpfung zu erreichen. Absolute Fairness gibt es nicht.
Das heisst, Labels schaden mehr als sie nützen?
Nein. Sie haben viele Vorteile. Sie ermöglichen Orientierung im grossen Angebot und sorgen für Transparenz. Die Schattenseite davon ist, dass eine Nivellierung nach unten stattfindet. Es geht oft nur noch darum, den Standard möglichst günstig und rasch zu erreichen. Danach gibt es kaum Anreize, die Bedingungen der Produzenten noch weiter zu verbessern. Hier wollen wir einige Schritte weitergehen.
Nehmen wir ein konkretes Beispiel. 100 Gramm Cashew-Nüsse von Gebana kosten 3,90 Franken. Wie viel Fairness gibt es für diesen Preis?
Unser Weg ist eine Rückverteilung. Am Ende der Saison verteilen wir 10 Prozent des Umsatzes an die Cashew-Produzenten zurück. An jeden einzelnen Bauern. Das kann schnell einmal ein Monatslohn zusätzlich sein.
Auch Fairtrade-Labels wie Max Havelaar zahlen solche Prämien.
Das stimmt. Aber die Unterschiede sind massiv. Max Havelaar verteilte letztes Jahr auf einen Umsatz von 1 Milliarde Franken 12 Millionen an die Produzenten zurück. Bei uns sind es 1,7 Millionen Franken – bei einem Umsatz von 25 Millionen, also relativ betrachtet deutlich mehr.
Für die Konsumenten bieten Labels aber Orientierung – das fehlt dann bei Gebana.
Wir brauchen keines. Man kauft bei Gebana, weil man weiss, dass dahinter viel Wirkung steckt.
Wenn Migros oder Coop Gebana-Produkte verkaufen wollten, würden Sie zusagen?
Uns geht es darum, möglichst viel Volumen zu verkaufen. Wenn Coop oder Migros Interesse hätten, würden wir natürlich zusagen. Aber das ist nicht realistisch.
Warum? Produkte von Koro, einem Ihrer Konkurrenten, gibt es ja auch bei Coop.
Ja, aber Koro verfolgt ein anderes Modell. Das ist ein Lebensmittelhändler, der gute Produkte auf allen Kanälen anbietet. Nachhaltigkeit oder Fairness sind keine Schwerpunkte bei Koro. Sie haben auch keine eigenen Lieferketten. Wir hingegen haben 700 Mitarbeitende in Afrika und arbeiten direkt mit 12'000 Kleinbauern zusammen.
Welcher Anteil der Schweizer Bevölkerung könnte Gebana-Produkte kaufen, was ist realistisch?
Das wissen wir nicht. Aber es ist nicht absehbar, dass der Markt bald gesättigt ist. Wir wollen jetzt auch in Deutschland und Österreich und in anderen europäischen Ländern die Bevölkerungsgruppen erreichen, die für Gebana-Produkte affin sind. Ich habe das Gefühl, dass wir noch ganz am Anfang dieser Reise sind.
2024 machten Sie knapp 370'000 Franken Verlust. Auch weil Sie in Togo Steuern zahlen mussten, obwohl sie dort Verluste schreiben. Wie gehen Sie damit um?
Persönlich hatte ich schon den Gedanken: Muss das jetzt auch noch sein? Aber eigentlich ist das etwas, das Gebana ausmacht. Wir gehen auch dorthin, wo es schwierig ist. Burkina Faso zum Beispiel ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Direktinvestitionen betragen 83 Millionen Dollar im Jahr, also fast nichts. Wir investieren dort 12 Millionen Franken in eine neue Cashew-Fabrik, die jetzt eröffnet wird. Unverständliche Steuerregeln sind in solchen Ländern meist nur ein Problem neben Gewalt, Korruption und vielem mehr.
Sie bleiben also in Togo, trotz massiver Verluste. Damit leistet Gebana eigentlich Entwicklungsarbeit.
Nein, man muss klar unterscheiden. Es gibt NGOs, die auf Spenden angewiesen sind, und mit ihren Projekten die Entwicklung unterstützen. Wir hingegen sind überzeugt, dass man eine Entwicklung erzielen kann, indem man ein normales Geschäft betreibt, das langfristig funktioniert. Von aussen denkt man, in Burkina Faso funktioniert nichts mehr. Aber da ist eine junge Bevölkerung, die zur Schule geht, studiert, arbeitet – das ist dort alles möglich.
Werfen wir noch einen Blick auf die Geschichte von Gebana, am Anfang stand die Bewegung der Bananenfrauen. Wie wichtig ist diese Herkunft heute noch?
Ich finde sie extrem wichtig, weil sie unsere Kultur immer noch stark prägt. Man sieht es an unseren zehn Prinzipien, die aus dieser Zeit stammen: dass man sich einsetzt für Wirkung am Ursprung, dass man hartnäckig ist, dass man dorthin geht, wo andere nicht hingehen, dass man einen eigenen Weg sucht und nicht einfach probiert, das zu tun, was andere machen.
Bananen kosten nach wie vor teilweise weniger als Äpfel. Braucht es wieder einen Weckruf wie zur Gründungszeit?
Wir sind immer noch angriffig. Vor zwei Jahren haben wir den «Angry Gorilla» als Gegenstück zum Osterhasen lanciert, eine Kampagne, um die Arbeitsbedingungen im Kakaohandel aufs Tapet zu bringen. Wir wollen auch manchmal der Querschläger sein und auf Themen aufmerksam machen.
Welche Bedeutung hat die Banane heute für Gebana?
Umsatzmässig ist sie nicht das wichtigste Produkt, aber natürlich namensgebend. Wir versuchen derzeit, hier noch mehr daraus zu machen. Babybananen sind sehr beliebt, und bald kommen wieder die roten Bananen. Die Schwierigkeit ist, dass man sie zu Hause nachreifen muss. Dafür hat man eine Banane, die nicht derart langweilig ist wie die weltweit dominierende Sorte namens Cavendish.

