
Die Reaktion der spanischen Regierung liess nicht lange auf sich warten: Nur wenige Stunden nach der Rückzugsankündigung der öffentlichen Rundfunkanstalt RTVE vom Eurovision Song Contest (ESC) begrüsste Kulturminister Ernest Urtasun die Entscheidung, dass Spanien 2026 nicht beim ESC dabei sein wird – aus Protest gegen die Teilnahme Israels. Urtasun sprach von einer «richtigen und mutigen Entscheidung», die Kultur müsse «immer auf der Seite von Frieden und Gerechtigkeit stehen». Vizepremierministerin Yolanda Díaz lobte den Schritt als «Gebot der Menschenrechte».
Spaniens sozialdemokratischer Regierungschef Pedro Sánchez hatte zuvor gefordert, Israel wegen seines Vorgehens in den palästinensischen Gebieten – ähnlich wie Russland nach dem Angriff auf die Ukraine – von internationalen Wettkämpfen auszuschliessen. «Wir können uns keine doppelten Standards leisten. Wenn Russland ausgeschlossen wurde, sollte auch Israel nicht teilnehmen», sagte Sánchez. Der jetzige ESC-Ausstieg Spaniens ist die konsequente Umsetzung dieser Haltung: Weil Israel beim ESC 2026 in Wien an den Start gehen darf, wird Spanien nicht antreten – und die ESC-Shows auch nicht im Fernsehen und Radio übertragen.
Da Spanien eines der finanzstarken Big-Five-Länder ist, die den ESC seit Jahrzehnten massgeblich tragen und automatisch für das Finale qualifiziert sind, hat der Abschied besonderes Gewicht. Zum ersten Mal seit 1961 wird das Land dem Wettbewerb fernbleiben. Der angekündigte Ausfall des potenten Geldgebers soll sich laut der Europäischen Rundfunkunion (EBU) aber nicht auf die Finanzierung des Musikwettbewerbs auswirken. «Die endgültige Anzahl der teilnehmenden Sender hat keinen Einfluss auf das geplante Produktionsbudget und den finanziellen Beitrag der EBU an den ORF», teilte die Europäische Rundfunkunion am Freitag mit.
Auch Niederlande, Irland und Slowenien sind weg
Spaniens Boykott symbolisiert den tiefen Streit innerhalb der Europäischen Rundfunkunion über den Umgang mit Israel – auch wenn die EBU ihre Linie unbeirrt fortsetzte und bei ihrer jüngsten Generalversammlung in Genf mit grosser Mehrheit Israels Teilnahme billigte.

Zusammen mit Spanien haben drei weitere, wenngleich kleinere Länder ihren Rückzug angekündigt: die Niederlande, Irland und Slowenien. Sie alle begründen ihren Boykott mit Israels umstrittenen militärischen Operationen im Gaza-Streifen. Zwar gilt seit einigen Wochen eine Waffenruhe in Gaza, doch sie bleibt brüchig und wird immer wieder von Zwischenfällen überschattet.
Spaniens Rundfunkanstalt RTVE wirft der EBU vor, Israels Rolle im Wettbewerb nicht kritisch genug zu hinterfragen. RTVE-Generalsekretär Alfonso Morales erklärte: «Die Situation in Gaza und die Nutzung des Wettbewerbs für politische Ziele durch Israel machen es immer schwieriger, Eurovision als neutrales kulturelles Ereignis zu bewahren.»
Nach Spaniens Auffassung nutzt Israel den ESC gezielt zur internationalen Imagepflege. Als Indiz dafür sieht man in Madrid unter anderem die Tatsache, dass der Hauptsponsor des ESC seit Jahren der israelische Kosmetikkonzern Moroccanoil ist – dessen Logo omnipräsent auf allen offiziellen ESC-Materialien erscheint.
Für die Kritiker ist das ein Beispiel dafür, wie eng wirtschaftliche und politische Interessen mit dem Wettbewerb verflochten sind. Sie verweisen zudem auf Berichte, nach denen israelische Regierungsstellen vor dem letzten ESC 2025 in Basel online grosse Kampagnen geschaltet haben sollen, um Publikumsstimmen zu mobilisieren.
Israels Kandidatin gewann damals das Televoting überraschend deutlich – in der Gesamtwertung lag jedoch der österreichische Sänger JJ vorn, weil er sowohl beim Publikum als auch bei der Jurywertung genügend Punkte sammelte und damit den Sieg holte. Mit seinem Triumph ging die Austragung des ESC 2026 nach Wien.
Publikumsvoting zählt künftig weniger
Die EBU-Führung weist Spaniens Vorwürfe zurück und beruft sich auf ein kürzlich beschlossenes Reformpaket. Dieses umfasst strengere Regeln gegen koordinierte Einflussnahmen bei der Publikumsabstimmung, die Rückkehr professioneller Jurys in die Halbfinals, neue Sicherheitssysteme zur Erkennung manipulativer Votingmuster sowie schärfere Beschränkungen für politische oder regierungsnahe Promotionskampagnen. Ziel sei es, Transparenz und Neutralität zu stärken.
ESC-Festivaldirektor Martin Green mahnte, Eurovision müsse ein Ort des kulturellen Austauschs bleiben. «Man darf nicht vergessen: Es sind nicht Regierungen, die am Eurovision teilnehmen, sondern öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und Künstler.»
In Spanien sieht man den Boykott hingegen als moralische Pflicht. Die spanische Mitte-links-Regierung aus Sozialdemokraten und dem Linksbündnis Sumar gilt seit Beginn des Gaza-Kriegs als eine der schärfsten Kritikerinnen Israels. Premier Sánchez drängte mehrfach auf internationale Sanktionen gegen Israel und forderte eine sofortige Anerkennung Palästinas als unabhängigen Staat.
Bei seiner Israel-Kritik kann sich Sánchez auf weite Teile der Bevölkerung stützen: Nach einer Erhebung des Forschungsinstituts Elcano in Madrid bezeichneten 82 Prozent der Spanier die israelischen Operationen in Gaza mit Zehntausenden von Toten und einer Zerstörung der dortigen Infrastruktur als Völkermord.


