Es ist die alte Tragik links-etatistischer Politik. Seit einem halben Jahrhundert haben die Sozialdemokraten aller Parteien auf die verschiedensten Fragen des gesellschaftspolitischen Alltags stets dieselbe Antwort parat: Umverteilen. Den einen nehmen, den anderen geben. Intellektuell ist das kein Kunststück, doch sie nennen es Gerechtigkeit.
Nur: Gerechtigkeit ist nicht Gleichheit. Wer Gleichheit anstrebt, verfehlt sie öfters. Denn Gerechtigkeit beruht auf Leistung, Verantwortung, Unterschied. Dem Umverteilungsdenken liegt hingegen eine statische Sicht zugrunde, als sei die Gesellschaft ein Nullsummenspiel: Wenn die einen mehr haben, dann nur, weil die anderen weniger besitzen. Nachweislich falsch – der wirtschaftliche Fortschritt schafft breiten Wohlstandszuwachs. Gerade die Schweiz führt dies vor Augen: Selbst die weniger Wohlhabenden zählen im globalen Vergleich zu den Reichsten. Unser Land ist ein Beispiel dafür, dass Wohlstand sich für alle vermehren kann.
Wer weg ist, zahlt nichts mehr
Vor allem aber blendet die Nullsummen-Logik aus, dass jene, denen man nimmt, keine Kälber sind, die geduldig zur Schlachtbank trotten, sondern handelnde Menschen. Akteure, die auf fiskalische Avancen reagieren. Sie arbeiten weniger, sie investieren weniger, oder sie gehen gleich ganz. Am Ende klafft eine Steuerlücke. Denn wer weg ist, zahlt nichts mehr. Und der Staat, der sich reicher wähnte, steht plötzlich ärmer da.
Ein paar Zahlen: Die obersten zehn Prozent der Einkommensbezüger tragen knapp 55 Prozent der Einkommenssteuern. Auf Unternehmensebene bestreiten drei Prozent der Firmen stolze 88 Prozent des Steueraufkommens. Was geschieht, wenn die Erfolgreichen das Weite suchen? Genau: Der Mittelstand stopft das Loch – mit höheren Abgaben. Und zwar genau jener Mittelstand, der sich von den Abgaben der Reichen womöglich eine Entlastung versprochen hat.
Mindereinnahmen von 3,1 Milliarden – pro Jahr
Reto Föllmi und Stefan Legge von der Universität St. Gallen haben das für die Erbschaftssteuerinitiative nachgerechnet, die eine nationale Steuer von 50 Prozent auf Vermögen über 50 Millionen Franken fordert. Ende November wird darüber abgestimmt. Betroffen wären rund 3000 Personen (die nach Aufwand besteuerten Personen nicht mitgerechnet). Deren Vermögen beläuft sich auf rund 560 Milliarden Franken. In einem zurückhaltenden Szenario fliessen davon über 300 Milliarden ab, im Worst Case gar 500 Milliarden. Dem versprochenen Mehrertrag von einer Milliarde Franken stünden im zurückhaltenden Szenario fiskalische Mindereinnahmen von 3,1 Milliarden Franken gegenüber – pro Jahr. Kein Pappenstiel, sondern ein struktureller Aderlass.
Natürlich kennen manche linken Umverteilungs-Freaks diese Zusammenhänge ebenfalls. Dennoch unterstützen sie die Initiative im Brustton moralischer Empörung. Warum nur, wenn sie wissen, dass am Ende der Mittelstand zusätzlich zur Kasse gebeten wird und der Staat – wie bei unseren Nachbarn zu besichtigen – langsam, aber sicher ausblutet, weil ihm die Finanzkraft für Bildung und Infrastruktur fehlt? Die ideologische Linke scheint insgeheim einen Patriotismus zu pflegen, den sie vor sich selbst geschickt verbirgt: Sie geht stillschweigend davon aus, dass erfolgreiche Menschen die Schweiz so sehr lieben, dass sie bleiben, egal, was es kostet.
Doch dieser Patriotismus ist eine Fiktion. Schon heute tragen Vermögende eine Steuerlast, die ihr laufendes Einkommen übersteigen kann. Warum? Weil die Schweiz eines der wenigen OECD-Länder ist, das eine Vermögenssteuer auf Kantons- und Gemeindeebene kennt – jährlich zwischen 0,1 und 1 Prozent. Über die Jahre ergeben sich daraus gigantische Beträge. Wer rechnen kann, erkennt: Auf Dauer sind diese Summen nicht beliebig steigerbar.
Politik des moralischen Rausches
Was also bewirkt, wer die Erbschaftssteuer im Furor eines modischen Etatismus befürwortet? Er sorgt dafür, dass gewichtige Einnahmen ausbleiben, der Staat ausdorrt, die Volkswirtschaft geschädigt wird – weil Erfolgreiche abwandern und mit ihnen Tausende Arbeitsplätze. Und er belastet zusätzlich jenen Mittelstand, der ohnehin schon am Limit ist.
Auf eine solch verfrorene Idee muss man erst einmal kommen. Sie ist das Resultat einer Politik, die sich lieber im moralischen Rausch gefällt, als nüchtern die Folgen ihres Tuns zu bedenken. Eine Idee für die wenigen moralisch Entrückten. Bezahlen dürfen alle anderen.
* René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern.