Westliche Gesellschaften leben insgesamt bewusster. Minderheiten aller Art werden bedauert, gefördert und umsorgt, sodass sich niemand mehr ausgeschlossen fühlen muss – bis auf eine besonders kleine Minorität, die in ihrem Namen eine Zahl trägt: die 1 Prozent.
Gemeint sind damit jene Menschen, die wirtschaftlich ausserordentlich erfolgreich und also reich sind. Ein ganzes Milieu aktivistischer internationaler NGO hetzt gegen die Reichen mit dem Ziel, sie aus der guten Gesellschaft auszuschliessen. In ihrem antidemokratischen Furor werden die selbstermächtigten Systemkritiker von manchen Medien und einigen radikalisierten Parteien wonnevoll flankiert. Inzwischen auch in der Schweiz.
Die neue Hetze gegen das Reichsein macht sich in Zeiten des Massenwohlstands an einem neuen Symbol fest: dem Privatflugzeug. Wer es benützt oder besitzt, hat nach der Logik der Reichtumsgegner den impliziten Gesellschaftsvertrag aufgekündigt. Längst gibt es die schräge Liste der «10 schlimmsten Privatjet-Promis» und zahlreiche Studien mit Titeln wie «Climate Equality: A Planet for the 99 Percent».
Aus dem Kampf gegen Armut, dem sich die NGO einst verschrieben, ist der Kampf gegen Reichtum, oder besser: gegen die Reichen geworden. Dabei wird in Beiträgen, Studien und Klageschriften die immer gleiche Botschaft verbreitet: Wer das Klima zerstört, muss auch für dessen Reparatur aufkommen. Also enteignet die Reichen – und alles wird gut.
Die Logik ist von bestechender Einfältigkeit und erinnert nicht zufällig an den marxistischen Evergreen von der «Expropriation der Expropriateure», der Enteignung der Eigentümer. Eigentlich leicht durchschaubar – uralter Wein in verbrauchten Schläuchen. Aber was sagen des ungeachtet die Zahlen?
Weltweit werden jährlich rund 37 Milliarden Tonnen CO 2 -Emissionen ausgestossen. Auf Rang 1 liegt China mit etwa 12 Milliarden Tonnen CO 2 , gefolgt von den USA mit 5 Milliarden und Indien mit 3 Milliarden. Im Falle der Schweiz sind es rund 33 Millionen Tonnen CO 2 , wobei der Verkehr für 13,6 Millionen Tonnen CO 2 verantwortlich ist. Der Flugverkehr in der Schweiz ist für etwa 4,3 Millionen Tonnen CO 2 verantwortlich, die Privatflüge – gemäss gängigen Schätzungen – für 166’000 Tonnen, also für rund 4 Prozent der Flugemissionen im Lande und für rund 0,5 Prozent aller CO 2 -Emissionen in der Schweiz.
Gerade in wohlhabenden Gesellschaften wächst die Wohnfläche pro Einwohner ebenso wie der Konsum und die private Mobilität mit Auto und Flugzeug. Das heisst: Wir alle verbrauchen trotz höherer Energieeffizienz anhaltend viel Energie. Es ist insofern heuchlerisch bis zynisch, auf eine kleine Minderheit zu zeigen und sie für das zu brandmarken, was alle betrifft. Sie sind die neuen Sündenböcke.
Der französische Kulturanthropologe René Girard hat diesen Mechanismus treffend beschrieben: Alle wollen, was alle wollen (in diesem Fall: Wohlstand), irgendwann kippt die Stimmung, und die Gesellschaft macht einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen zum Sündenbock, der die Schuld an allem Schlechten trägt (Umweltverschmutzung). So versöhnt sich die Gesellschaft wieder mit sich selbst, und das Leben kann weitergehen.
Es sind solche primitiven Reflexe, die sich in gegenwärtigen Diskussionen zeigen. Die NGO und zugewandte Orte träumen von Degrowth, einer Verringerung von Investition, Produktion und Konsum; das klingt für manche Ohren erst mal cool, würde jedoch direkt in die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten führen.
Wer so denkt, hat aufgrund seines Luxus-Lebens nicht nur keinen Begriff von Armut mehr, sondern ignoriert auch die frohe Botschaft der avancierten Volkswirtschaften: Wachstum und Energieverbrauch haben sich entkoppelt. Dank unternehmerischer Innovationen und wissenschaftlichem Fortschritt wird aus immer weniger (Energie) nicht nur immer mehr, sondern auch immer mehr Höherwertiges (an Produkten und Dienstleistungen).
Aber vor allem: Wenn die 1 Prozent der Erfolgreichen keine Steuern mehr bezahlen, blutet der wohldotierte Sozialstaat aus. Die oberen 1 Prozent der Gutverdiener berappen in der Schweiz über 20 Prozent der Einkommenssteuern. Die Privatjet-Diskussion ist mithin eine Scheindebatte, die allen schadet, angezettelt von verblendeten Systemkritikern. Wer wirklich etwas fürs Klima tun will, und das gilt für Supererfolgreiche, Reiche, Mittelreiche und weniger Reiche gleichermassen, sollte bei sich beginnen und nicht auf die anderen zeigen. Eine aufgeklärte Gesellschaft kommt ohne Sündenböcke aus.
René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern.