
Seit Samstag ist die Kernkraft in Deutschland erst einmal Geschichte, doch die Debatte darüber, ob das Land mit dem Ausstieg vernünftig gehandelt hat oder einen unwirtschaftlichen, womöglich sogar klimafeindlichen Sonderweg beschreitet, geht weiter.
Zu den lautesten Ausstiegsgegnern zählt Markus Söder, der seit dem Wochenende laut über eine bayrische Nuklear-Souveränität nachdenkt: Das Kraftwerk Isar 2, das am Samstag als einer der letzten drei deutschen Meiler vom Netz genommen wurde, würde der bayrische Ministerpräsident gerne in Landesverantwortung weiterbetreiben.
Näher bei den Leuten als die Grünen
Bisher zählt die Verantwortung für die Kernenergie in Deutschland zu den Kompetenzen des Bundes, und daran dürfte sich auch nichts ändern. Zwar hat Friedrich Merz, der Chef der deutschen Christdemokraten, Sympathie für den Vorschlag seines christsozialen Kollegen bekundet, doch die Bundesregierung aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen dürfte kaum gewillt sein, den Landesregierungen den Entscheid über Sein oder Nichtsein der Kernkraft zu überlassen.
Söder werfe sich «mit grosser Geste hinter einen abgefahrenen Zug», spottete der Grünen-Politiker Jürgen Trittin, der Umweltminister unter Kanzler Gerhard Schröder war, als der Atomausstieg vor rund zwei Jahrzehnten beschlossen wurde.
Näher bei den Leuten als Trittin dürfte Söder allemal sein: Laut einer Umfrage steht derzeit eine Mehrheit der Deutschen hinter der Kernkraft. Und Söder ist von jeher ein Stimmungsdemokrat, der auf Nachfrage operiert. «Japan verändert alles», erklärte er 2011 nach der Reaktor-Havarie in Fukushima. Damals war er bayrischer Umweltminister und liess als solcher das Kraftwerk Isar 1 herunterfahren. Zudem forderte er «einen nationalen Kraftakt für mehr Windräder, auch dann, wenn Fukushima wieder aus dem Bewusstsein verschwunden ist».
Taktische Überlegungen dominieren
Heute sagt Söder, er glaube an eine Neuauflage der Kernenergie. Atomkraftgegnern mag seine Wandlung als eine vom Saulus zum Paulus und wieder zurück erscheinen; anzunehmen ist allerdings, dass sich der Christsoziale eher von taktischen als von weltanschaulichen Überlegungen leiten lässt: Söders zwischenzeitliche Hinwendung zu den Grünen erfolgte auch, weil er meinte, diese als Partner zu brauchen.
Nun benötigt er die Grünen nicht mehr, zumindest vorerst nicht: In München regiert er in einer Koalition mit den Freien Wählern, die seiner CSU ideologisch deutlich näher stehen als die Ökopartei. Im Herbst wählt Bayern einen neuen Landtag, und die Chancen, dass Christsoziale und Freie Wähler ihre Mehrheit verteidigen, stehen gut.
Die Regionalwahl dürfte auch der Grund dafür sein, dass Söder nun auf bayrischen Partikularismus setzt und sich von Berlin abgrenzt, wann immer er kann. Auch hier erweist sich der Christsoziale als flexibel: In der Coronapandemie hatte er noch gefordert, der Bund solle harte Regeln erlassen und sich notfalls über Bedenken der Länder hinwegsetzen. Damals hatte er gerade eine mögliche Kanzlerkandidatur im Blick.

