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Sprachliche Moden und Marotten

Wieso Künstliche Intelligenz unfreundlich ist

Manche Kellner antworten trotz Versuch der Touristen, in der Landessprache zu bestellen, automatisch auf Englisch. Noch unfreundlicher sind nur Künstliche-Intelligenz-Programme, schreibt unser Kolumnist. 
Siri wird zwar auf Anstand trainiert, macht aber doch nicht immer einen netten Eindruck.
Bild: Keystone

Vielleicht kennen Sie das Phänomen aus eigener Erfahrung. Sie bereisen beispielsweise Frankreich oder die Westschweiz. Sie geben im Restaurant eine Bestellung auf und benutzen hierfür Ihr schönstes Schulfranzösisch. Sagen also zum Beispiel zum Kellner: «J’aimerais bien un verre de vin, s’il vous plaît.»

Trotz der Mühe, die Sie sich gegeben haben, erkennt der Kellner an Ihrer Aussprache oder an Ihrer Sprachmelodie, dass Sie nicht von Geburt an frankofon sind. Wenn er höflich ist, antwortet er dennoch auf Französisch. Ist der Kellner dagegen unhöflich, dürfte er mit französischem Akzent sagen: «Do you want white wine or do you prefer red wine?» Damit kann er zeigen, dass seine Empfindlichkeit es nicht erträgt, sich mit einem Fremdsprachigen in der Sprache Voltaires zu unterhalten.

Mir selbst ist es jedenfalls schon mehr als einmal passiert – nicht bloss in Frankreich –, dass ich in der jeweiligen Landessprache zu reden versuchte und dass mir auf Englisch geantwortet wurde. Mir kommt das jedes Mal wie eine persönliche Ablehnung vor. «Mit dem rede ich lieber Englisch, denken die Leute. Das kann er vielleicht auch nicht so richtig, aber damit macht er wenigstens meine Sprache nicht ­kaputt!» Komplizierter wird es, wenn man in England etwas bestellt und der englische Kellner merkt, dass man nicht englischer Muttersprache ist.

Der kann ja dann nicht einfach auf irgendeine andere Sprache ausweichen, von der er annehmen kann, jeder Dahergelaufene spreche sie ein bisschen. Doch der englische Kellner, der in so einem Fall unhöflich sein will, hat immerhin die Möglichkeit, zu behaupten, er habe kein Wort verstanden. Sein Nichtverstehen ist durchaus als Vorwurf gemeint und heisst übersetzt: «Hör mal, Fremder, dein Englisch klingt so fürchterlich, als hättest du es vor vielen Jahren an irgendeiner Sekundarschule in der Deutschschweiz gelernt!»

Die ganz hohe Kunst der Unfreundlichkeit ist allerdings die, jeder fremdsprachigen Person, die in der jeweiligen Landessprache etwas fragt, sofort in deren Muttersprache zu antworten. Freilich ist das fast nicht zu leisten, müssten wir doch hierfür erstens immer heraushören, welches die Muttersprache der fragenden Person ist. Und zudem müssten wir Unmengen von Sprachen beherrschen, um tatsächlich in der Muttersprache der Fragenden zu antworten.

Was wir nicht können, kann dafür die künstliche Intelligenz. Wie mir neulich klar wurde, sind manche Sprachprogramme problemlos in der Lage, aus der Sprachmelodie der Sprechenden deren Muttersprache zu bestimmen. Ich kann eine App mit künstlicher Intelligenz zum Beispiel auf Englisch fragen: «Siri, what time is it?» und die App wird mir auf Deutsch antworten: «Es ist sieben Uhr fünfunddreissig.» Sollte ich insistieren und sagen: «Siri, i asked you in English!», lautet Siris trockene Antwort: «Auf Englisch ist: I ask you.»

So weit ist es also schon gekommen, dass wir uns selbst vor der künstlichen Intelligenz für unsere mangelhaften Fremdsprachenkenntnisse schämen müssen.

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