Der Psychologe Sigmund Freud vertrat die Ansicht, unsere alltäglichen Versprecher verrieten etwas über unser verborgenes Innenleben. Nach Freuds Theorie sagen wir manchmal etwas, das wir gar nicht sagen wollten. Aber insgeheim wollten wir es vielleicht doch sagen. Freud behauptet also, wer in der freien Rede ein falsches Wort erwische oder ein Wort versehentlich verändere, hole damit etwas an die Oberfläche, das er oder sie verdrängt hatte. Ein Versprecher sei nie ein Produkt des Zufalls, sondern eher eine Offenlegung des Innenlebens.
Freuds Theorie ist so populär, dass im Volksmund fast alle sprachlichen Fehlleistungen bis heute «Freudsche Versprecher» genannt werden. In der Sprachwissenschaft ist man da zurückhaltender. Die moderne Wissenschaft ist eher der Ansicht, Freud habe zu viel in die Versprecher hineininterpretiert. Ein Versprecher, sagen die Linguistinnen und Linguisten, sei zunächst einmal genau das, nämlich ein Versprecher. Der Mensch mache halt Fehler, auch beim Reden, viel mehr sei da nicht dahinter. Im Durchschnitt sage der Mensch etwa jedes tausendste Wort falsch. Das sei meistens auf Müdigkeit, zu hohes Sprechtempo oder Konzentrationsschwäche zurückzuführen. Die Sprechenden wählten dann irrtümlicherweise ein Wort, das wegen der Bedeutung oder wegen des Klangs ganz in der Nähe des korrekten Wortes abgelegt worden sei. Mit psychologischer Verdrängung habe das nicht viel zu tun.
Manchmal bedaure ich, dass die wissenschaftliche Wahrheit so trocken ist. Es würde einem doch viel mehr Freude machen, wenn man jeden Versprecher psychologisch deuten könnte. Kommt aber ein Versprecher nicht aus dem Unterbewusstsein, bildet er nur noch ein rein technisches Problem, über das niemand reden mag.
Sind Versprecher nicht psychologisch zu deuten, so möchte man doch zwischendurch wenigstens den poetischen Wert sprachlicher Fehlleistungen herausstreichen. Es gibt interessante Fehler durch das Verwechseln von Vorsilben, zum Beispiel, wenn man «hinrichten» und «aufrichten» verwechselt oder «Ausguss» und «Aufguss». Überdies gibt es Fehler, die sich durch das Vertauschen von Wortteilen ergeben, etwa wenn jemand «Weinklagen» sagt, statt «Kleinwagen» oder «Randwald» statt «Waldrand».
Aber richtig poetisch wird es bei Leuten, die eine Sprache noch nicht vollkommen beherrschen, sei es, weil sie anderssprachig sind oder weil sie erst zu sprechen gelernt haben. So meinte eines unserer Kinder lange, der runde Kuchen, den wir in der Mundart «Guguhopf» nennen, heisse «Gaguchopf» und ein anderes unserer Kinder ist bis heute nicht ganz sicher, ob das Ursprungsland eines Menschen als «Heimatland» oder «Heilandmatt» bezeichnet wird und ob er Gorgonzolakäse einen «Blauschimmel» oder einen «Schlaubimmel» hat.
Noch lasse ich zuhause alle Varianten gelten. Und wer weiss, vielleicht würde der Konsum eines Gaguchopfs mit Schlaubimmel-Käse auch etwas über die Psyche derjenigen verraten, die solche Köstlichkeiten miteinander zu kombinieren vermögen.
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