Die Mutter bringt ihrer Tochter Priska ein Gipfeli und einen Eistee zur Stärkung. «Ich bin schon ein bisschen nervös», sagt Priska noch, bevor es losgeht. Zum Empfang, zum Wasserlösen, ins Wartezimmer.

Priska ist 17 Jahre alt und seit ein paar Monaten mit ihrem Freund zusammen. Nun soll eine sichere Verhütungsmethode her. Sie hat sich für eine Hormonspirale entschieden. Der T-förmige Kunststoffrahmen sondert während 3 bis 5 Jahren Gestagene ab, die den Eisprung unterdrücken. Die Methode gilt mit einem Pearl-Index von 0,2 als sehr sicher: Das bedeutet, dass von 1000 Frauen, die ein Jahr lang mit dieser Methode verhüten, nur zwei schwanger werden. Zum Vergleich: Die Vasektomie hat einen Wert von 0,1, und Kondome liegen je nach Anwendung bei einem Wert zwischen 3 und 15.
Schmerzen, Übelkeit, Ohnmacht
Also eigentlich ein klarer Fall. Alle jüngeren Frauen, die in den nächsten Jahren keine Schwangerschaft planen, dürften sich für eine Spirale entscheiden. Doch es gibt auch Gründe dagegen. Einer ist die Einlage selbst. Bei diesem Eingriff wird der Gebärmutterhals erst mit einer Kugelzange fixiert, die Länge der Gebärmutter mit einer Sonde ausgemessen und danach die Spirale eingeführt. Zwar steht in der Packungsbeilage einer beliebten Version noch: «Diesen Vorgang können Sie spüren, er ist jedoch gewöhnlich nicht mit besonderen Schmerzen verbunden.»

Doch im Internet liest man Horrorstorys. Und man hört diese auch im privaten Umfeld von Frauen. Sie berichten von starken Schmerzen, Übelkeit, Ohnmacht. «Es ist jetzt erledigt, aber ich würde mich nie wieder für die Spirale entscheiden, weil die Einlage so schmerzhaft war», erzählt Aline. Jasmin wurde eine Infusion mit Salzlösung angeboten, die zwar keinen Einfluss aufs Schmerzempfinden hat, ihr aber ein gutes Gefühl geben sollte. Geholfen hat das nicht.
Julia wurde bei der Einlage ohnmächtig und hatte starke Schmerzen. Mittlerweile hat sie zwei Kinder und vergleicht die Einlage mit den Schmerzen während der Geburt – nur kürzer und ohne danach ein Kind im Arm zu halten. Und immer wieder kommt ein Satz, der an die Packungsbeilage erinnert: «Mir wurde gesagt, es würde nicht wehtun.»
Es wird schon nicht wehtun, das sagt sich auch Priska. Ihr Frauenarzt, Dan Rauch, wird ein lokales Betäubungsmittel in Form eines Sprays benutzen. Priska ist angespannt, aber zuversichtlich. Der Gynäkologe ruft sie ins Behandlungszimmer. Da wird er ihr noch ein letztes Mal alles erklären.
Grosse Unterschiede zwischen Papier und Praxis
Im Aufklärungsprotokoll der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe steht, dass der Eingriff in der Regel keiner Narkose bedarf und auch im gemeinsamen Leitlinienprogramm der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) vom Dezember 2023 klingt es ähnlich: «Weder Lokalanästhesie noch präventiv verabreichte nichtsteroidale Entzündungshemmer (Red.: ein Beispiel ist Ibuprofen) sind zur Reduktion der Schmerzen nötig.»
Das ist eine grosse Diskrepanz zu den kursierenden Berichten. Wir fragen in einigen gynäkologischen Praxen nach. Ingrid Schneider in Luzern gibt zur Vorbereitung Ibuprofen und Misoprostol. Dieses wird auch zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch verwendet und verringert unter anderem die Muskelspannung im Gebärmutterhals. Schneider gibt aber zu: «Dies tue ich mehr, um die Patientin zu beruhigen, als dass ich an den Erfolg glaube.» Bei Patientinnen mit Anzeichen von Endometriose, bei denen Schmerzen im Unterleib ohnehin ein grösseres Thema seien, führe sie einen Zervixblock durch, setzt also zwei Betäubungsspritzen am Muttermund.
Auch Jörg Klatt, ebenfalls Frauenarzt in Luzern, sagt, der Grundgedanke der Humanität gebiete es, einen Umgang mit möglichen Schmerzen zu berücksichtigen, selbst wenn dieser in den Placebo-Bereich ginge. Thomas Eggimann, Generalsekretär der SGGG und stellvertretender Chefarzt der Frauenklinik am Spital Emmental, verweist auf seine 30-jährige Berufserfahrung: Auch er arbeitet mit Schmerztabletten, setzt aber darauf, die Frauen «mitzunehmen», also während des Eingriffs viel zu erklären und jede Bewegung anzukündigen. In wenigen Fällen griff er auf eine Narkose oder einen Zervixblock zurück.
In den USA wurden die Standards angepasst
Die hiesigen Leitlinien widerspiegeln also nicht, wie mit Schmerzen bei der Spiraleinlage in der Praxis umgegangen wird. In den USA wurde diese Schere letzten Sommer geschlossen. Seit August 2024 wird empfohlen, für alle Patientinnen einen Plan zum Umgang mit Schmerzen während der Einlage zu erstellen, der Betäubungsspritzen wie den Zervixblock oder Betäubungssprays umfassen kann. Dabei wird im Speziellen darauf hingewiesen, dass die Wahrnehmung von Schmerzen sehr individuell sein kann. Sind die USA der Schweiz hier voraus?
Stephanie Verta war leitende Ärztin der Frauenklinik am Luzerner Kantonsspital und behandelt auch Patientinnen mit Endometriose, ist also für die Thematik von Schmerzen in der Gynäkologie sensibilisiert. «In der Medizin sind die neuen Erkenntnisse vielleicht etwas früher in den USA zu sehen, nach ein paar Jahren zieht die Schweiz dann nach, da sind wir altmodisch.»
Warum wird hier noch davon ausgegangen, dass man für einen Eingriff, der teils Übelkeit und Ohnmacht verursacht, keine Schmerzmittel benötigt? Verta: «Diese speziellen Empfindungen – die Übelkeit, der Schwindel, die Ohnmacht – sind mit der Stelle zu erklären, an der man berührt wird. Der Kontakt mit einigen Nervenenden kann zu diesen Reaktionen führen.»
Ein anderes Thema sei aber, dass Schmerzen nicht ernst genommen würden. «Da kann man durchaus von Medical Gaslighting sprechen, also, dass man die Frauen glauben macht, ihre Wahrnehmung stimme nicht. Das hat vielleicht schon auch damit zu tun, dass man Frauen weniger Gehör schenkt, wenn sie sich über Schmerzen beklagen.»
Es geht auch darum, dass das Verhütungsmittel besser genutzt wird
Verta spricht ebenfalls aus langjähriger Praxiserfahrung. Sie selbst bietet wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen proaktiv Methoden zur Schmerzlinderung an. Und hofft darauf, dass das Thema mehr Öffentlichkeit erhält: «Wir haben hier ein gutes Verhütungsmittel. Wir sollten es so handhaben, dass die Frauen es auch benutzen wollen.»
Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Aufklärung über mögliche Schmerzen, ohne zu verharmlosen oder zu dramatisieren. So wie bei Priska, die wusste, was auf sie zukommen könnte und ein Betäubungsspray erhielt. Sie kommt aus dem Behandlungszimmer. Wie war’s? «Die Kugelzange hat gezwickt, drei Sekunden lang war es megaunangenehm.» Aber sie hätte es sich schlimmer vorgestellt.
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