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Theater-Jungstar Ersan Mondtag: «Wir Menschen sind Computerwesen»

Theaterregisseur Ersan Mondtag über uns Narzissten, Faschisten und warum alles möglich sei, wenn man es wolle.

Ersan Mondtag ist mit seinem 87er Jahrgang gerade der jüngste Jungstar der deutschsprachigen Theaterszene. Und er hat dem Konzert Theater Bern mit seiner Inszenierung «Die Vernichtung» das allererste Mal eine Einladung ans renommierte Theatertreffen in Berlin beschert.

Das Stück gilt als eine der zehn bemerkenswertesten der Saison. Für die nächste Spielzeit konnte ihn das Theater Basel engagieren: Mit der Jungautorin Olga Bach wird er diesmal «Kaspar Hauser» neu deuten.

Wir treffen den Regisseur kurz vor der Wiederaufnahme des Stücks in der Bar des Berners Edelhotel Bellevue, wo er nächtigt. Aber dass das Theater zu einer Sonderkasse des Kantons habe greifen müssen, um sich ihn leisten zu können, wie die Bernerzeitung schreibt, sei nicht wahr, sagt die Medienverantwortliche Susanne Schäfer. Mondtag ist gut gelaunt und erholt - soeben ist er von einer dreiwöchigen Auszeit in Sri Lanka zurückgekehrt.

Ersan Mondtag, was träumen Sie nachts?

Ersan Mondtag: Oh, vor oder nach meiner Ayurveda Kur?

Vorher.

Ich hatte immer ganz viele Albträume.

Darf man sich Ihre Träume wie Ihre Inszenierungen vorstellen?

Sie sind sehr intensiv und wirken echt. Meistens bilden sie eine hermetische Welt: Wenn ich träume, ich sei in Berlin, hat die Stadt ganz andere Formen, Farben und Leute. Viele Ideen hole ich mir aus den Träumen rüber, wenn ich sie mir morgens aufschreibe.

Also tatsächlich.

Ja, seltsame interne Logiken, wie bei Kafka.

Kommt daher auch Ihre spezielle Ästhetik – oder wie kommen Sie zu Ihrer sehr eigenen Bildsprache?

Das sind die kompletten Einflüsse von allem, was ich so sehe und lese. Ich sehe nie nichts. Wenn ich etwas suche, mache ich die Augen zu und dann kommen irgendwelche Gesichter, Formen, Bilder. Es ist einfach, etwas zu entwerfen, man muss nur eine Entscheidung treffen. Heute hatte ich beim Spazieren eine Idee, über die ich mich freute.

Welche?

Für Dortmund entwickle ich ein Stück, das heisst: Das Internat. Ich möchte die ganze Bühnenarchitektur aus Menschen bauen. Die Idee war, dass ich diese aus einer Cranach-Optik ableite; der malte sehr filigrane, elegante Figuren mit so quadratischen Gesichtern. Und ich hab jetzt eine Vorstellung für die Duschräume: Die Duschen sollen Nonnen sein mit Muschelschalen, aus denen das Wasser runterfliesst. Und die Jungs stehen drunter.

Bei Ihrer Ästhetik hat man oft den Eindruck, dass Hochkultur und Partyszene zusammenkommen. Bei «Die Vernichtung» wandeln kalte Avatar-ähnliche Menschen in einem Garten mit römischen Statuen.

Die Bühne entspricht dem mittelalterlichen Verständnis vom Paradies. Darin stehen neoklassizistische Statuen, etwa von Cicero, aber als Transgenderwesen – er hat eine Vagina. «Die Vernichtung» ist als Popkulturraum gedacht, in den diese Kunstwesen reinkommen. Wir Menschen sind ja auch nur konstruierte Roboter, wir sind ja zu jeder Zeit anders gewesen: Unsere Kultur, unsere Sprache, unser Umgang miteinander. Was wir heute als selbstverständlich wahrnehmen, wird in 100 Jahren nicht mehr existieren. Wir sind in gewisser Weise verstellbar, regulierbar. Computerwesen.

Ist das ihr Menschenbild, das Sie hier zeigen? Oder ist das ein Worst-Case-Szenario?

Es ist vor allem ein Portrait unserer eigenen Generation, die komplett verloren ist im inneren Narzissmus. Die in einem extremen Ohnmachts- und Unzufriedenheitsgestus durch die Welt geht und alles kritisiert, aber sich eigentlich nur um sich selbst dreht.

Sehen Sie sich selbst auch so?

Ich bin auf jeden Fall ein Teil davon, wie alle. In den Städten ist das maximiert: Wir alle sind von diesem Narzissmus befallen.

Und auch von einem gewissen Faschismus, wie Sie zeigen.

Latent ist der Faschismus die ganze Zeit da – jetzt wird er über verschiedene Mechanismen aktiviert. Das kommt nicht von irgendwelchen Schlägertypen. Der Faschismus ist kein Randphänomen, sondern strukturell verankert als Kultur. Es ist wichtig, das zu zeigen. Faschismus ist im Prinzip in so einem Satz drin wie: «Man sollte diese Leute vernichten, die denken, sie wären wichtig, weil sie hinter der Bar stehen.» Das ist ein Satz, der im Stück vorkommt, und den man oft hört in einer Bar. Das ist eine minimale Form, aber im Prinzip ist es Faschismus.

In der Türkei, der Heimat Ihrer Eltern, wird die Demokratie gerade vernichtet. Inwiefern spielt bei Ihrer Theaterarbeit Ihre Herkunft eine Rolle?

Bei der Vernichtung keine. Dort spielt meine Berliner Herkunft eine grosse Rolle. Es geht um eine urbane Stadtjugend, die in Lager eingeteilt ist: der Anti-Imperialist, der Linke mit Vorliebe für Verschwörungstheorien, die bürgerliche Humanistin, der Psychologisierende. Alle sprechen sie über das Andere als Gefahr und merken gar nicht, dass sie selbst eigentlich die Gefahr sind. Es ist einfach zu sagen: Ja, diese seltsamen radikalen jihadistischen Gruppierungen! Wir wissen gar nicht, wo das herkommt! Da möchte man rufen: Merkt ihr nicht, dass wir vom Gestus her eigentlich identisch sind, nur andere Formen dafür haben!

Und das wollen Sie auch zeigen?

Wir haben untersucht, wie ähnlich uns diese vermeintlich terroristischen Gruppierungen sind, wie veranlagt das in uns selber ist. Wir leben ja auch in einer Ideologie. Ist ja auch in Ordnung, Menschen funktionieren darüber. Aber es ist wichtig, das zu verstehen, gerade wenn man andere Ideologien beschreibt.

Ich finde es immer witzig, wenn die Leute nach Japan reisen und dann sagen: Wie die Leute da so funktionieren, wie Maschinen! Dann denke ich: Du bist doch genau so hier in der Stadt. Es ist immer ganz einfach, etwas, das einem fremd erscheint, zu durchschauen. Aber es ist viel schwieriger zu merken, dass man seinen eigenen Mechanismus erst darüber durchschauen kann. Das macht das Potenzial von Reisen aus.

Dann könnten wir durch ihre Stück dazu angeregt werden, uns selber kritischer zu betrachten.

Deswegen stelle ich die Figuren oftmals frontal hin. Wir betrachten das Stück, das Stück betrachtet aber auch den Zuschauer. Das ist ein ganz wichtiger Moment. Ich lasse die Figuren über Dinge sprechen, die uns fremd scheinen. Aber ich lasse dabei die Figuren und das Werk den Zuschauer anstarren, nur damit er merkt: Es geht um Dich! Auch wenn wir gerade über den Jihadismus sprechen: es ist ein Mittel um über uns zu sprechen! Alles, was wir auf der Bühne tun, handelt von uns.

Ich weiss, Sie möchten ja nicht auf Ihre Herkunft reduziert werden, aber spielt die Situation in der Türkei nicht doch auch eine Rolle, gerade bei diesem Thema?

Ich hatte gerade beim Umsteigen am Flughafen in Istanbul Angst, dass die mich verhaften. Mittlerweile ist ja alles möglich. In den letzten Monaten sind 100 000 Menschen in Haft gekommen. Das entspricht Zweidrittel der Bevölkerung Berns! Offensichtlich funktioniert die Demokratie in der Türkei nicht mehr.

Im Umkehrschluss macht es mir am meisten Angst, darüber nachzudenken, wie labil unsere eigene Verfassung ist. Wenn man sieht, wie schnell Orban in Ungarn oder Pis in Polen die Verfassung verändern. Wie schnell ein amerikanischer Präsident wie Trump die gesamten demokratischen Institutionen in Frage stellt. Wie schnell rechtsorientierte Gruppen, einmal an der Macht, die ganzen demokratischen Errungenschaften absetzen. Wir müssen uns damit beschäftigen, wie wir unsere Werte verteidigen können.

Wie?

Vielleicht muss man da strenger werden. Vielleicht muss man Leute bestrafen, die mit Informationen Politik machen, die nachweislich falsch sind. Ich glaube, wir brauchen eine Reformation unseres Rechtssystems. Wir können unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit nicht leichtfertig unsere Demokratie zur Disposition stellen. Die Türkei ist da ein Lehrstück. Es kann ganz schnell gehen – und dann sitzen wir beide nicht mehr hier und können keine Interviews mehr führen.

Es dürfte sehr schwierig sein zu beweisen, ob jemand absichtlich die Unwahrheit sagt.

Wenn jemand sagt, Deutschland wird überrannt von so und so viel muslimischen Kriminalfällen, dann kann man sagen: Das stimmt nicht. Es gibt nicht mehr kriminelle Flüchtlinge als einheimische. Das ist statistisch erwiesen. Wenn jemand eine Politik aus einer nachweislich falschen Behauptung macht, dann muss man ihn dafür bestrafen.

Also eine Ausweitung des Antirassismusartikels?

Unbedingt, ich bin mittlerweile für eine ganz andere Vehemenz und Stärke des Rechtsstaates. Verleumdungen und Falschbehauptungen sind keine Meinungen, das sind Verleumdungen.

Ich habe gelesen, dass Ihre Eltern zum allerersten Mal überhaupt im Theater waren, als Sie bei eine Aufführung von Ihnen besuchten.

Stimmt. Jetzt bei der letzten Premiere am Maxim Gorki Theater.

Ist es nicht schwierig, sich in einer derart anderen Welt zu bewegen als die Eltern?

Also die waren ziemlich fasziniert davon, die hatten vorher gar keine Vorstellung davon, womit ihr Sohn sein Geld verdient. Sie haben nicht verstanden, wie man vom Theater machen leben kann. Als ich auf die Bühne kam und beklatscht wurde, waren sie total stolz auf mich.

Aber Sie bewegen sich in völlig anderen Sphären.

Ja, aber das war schon immer so. Ich war schon als Kind in meiner ganz eigenen Welt unterwegs, war immer der Verrückte, Besondere.

Dann ist es Ihnen nicht schwer gefallen, in die Theaterwelt reinzuwachsen?

Nein, ich habe tatsächlich nie Schwierigkeiten gehabt in meinem Leben. Also ich empfinde es nicht so. Ich kann mir etwas vornehmen, und das krieg ich dann hin. Wenn ich jetzt in die Politik ginge, würde ich dort sicherlich Fuss fassen können. Ich muss es wollen. Wie in der Liebe: Man entscheidet sich für jemanden. Ins Theater bin ich mit einer grossen Faszination reingegangen und hab sofort gemerkt: Das will ich. Dann hab ich mir die grössten Meister ausgesucht, um zu verstehen, wie sie das machen.

Braucht es da nicht auch Glück und Geschick?

Man braucht ein ehrliches Interesse. Das Theater ist eine winzige Welt, ein Dorf; es ist total einfach: Du musst ein paar Sachen machen und dann bist Du auf einer grossen Bühne in Hamburg und inszenierst dort. Du brauchst nur ein bisschen Talent und musst ein bisschen intelligent sein.

Auch wenn ich sage, ich will im Frühling wandern gehen, dann mache ich das. Jetzt habe ich mich drei Wochen auf Sri Lanka massieren lassen von wildfremden Leuten. Ich habe mich dafür entschieden, es war auch extrem schwer. Kein Alkohol, keine Zigaretten. Ich war drei Wochen am Strand – ich bin überhaupt kein Strandmensch. Aber man weiss ja, warum man das will. Jetzt bin ich wieder total frisch, kann wieder arbeiten.

In Ihrem Alter sind wenig Leute so selbstbewusst. Wie machen Sie das?

Ich hatte nie etwas zu verlieren. Ich komme aus sehr armen Verhältnissen. Wir haben zu dritt in einem 15 Quadratmeter-Zimmer gewohnt, meine Schwester, mein Bruder; wir waren zu fünft in einer kleinen Wohnung. Meine Mutter ist Putzfrau, mein Vater ist Gärtner. Ich komme wirklich aus einfachsten Verhältnissen. Das einzige, was ich hatte, ist meine Fantasie und meine Sehnsucht.

Was ist Ihre Fantasie für die Zukunft, was machen Sie mit 50?

Dann habe ich die Filmbranche verlassen, hoffentlich. Dann bin ich Architekt. Architektur ist für mich die Königsdisziplin der Kunst.

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