
Der schönste Song über die Schweiz in diesem Jahr heisst «CHicago». Das «CH» ist gross geschrieben, wie auf den Auto-Aufklebern, die Schweizerinnen und Schweizer auf Autobahnen im Ausland als Schweizerinnen und Schweizer ausweisen. Etwa gleich entromantisierte Heimatgefühle verbreitet auch der Song des Mundart-Duos Splendid. Begleitet von schlurfigen Gitarren besingen Michael Egger und Levin Lucca Dennler das, was sie als Daheim empfinden.
Es sind mehr Gefühle als Orte. Es sind auch nicht immer nur gute Gefühle. Es sind kleine Miniaturen einer urban gelesenen Schweiz. Heimat ist dort, «wo öper usem Fänschter schreit, dass es z’lut isch». Und dort, «wo am Sunnti spät no i ds Pronto geisch». Dort, «wod en Umwäg machsch, wed ned wosch grüesse». Es ist jener Ort, «wo me aus git, me stouz uf e Xhaka isch». Und natürlich auch «dert, wo eim irgendeinisch z’Glück fingt». Eine kleine Verneigung vor den grossen Züri West.
Die Verkopftheit früherer Projekte ist hier kein Thema
Egger und Dennler sitzen an einem Herbstabend vor einem Zürcher Restaurant. Die beiden Berner, die aber schon eine Weile in «diesem» Zürich wohnen, wie es ihre daheimgebliebenen Freunde formulieren, sind beides bekannte Gesichter. Egger singt bei Jeans for Jesus, Dennler bei Hainan, zudem arbeitet er als Produzent mit zahlreichen bekannten Künstlerinnen und Künstlern zusammen, etwa Trettmann, 01099 und Loredana.
Beide Berner stehen eher im Verdacht, einen etwas verkopften Zugang zur Welt generell und zur Musik im Speziellen zu haben. Jetzt reden sie bei selbstgedrehten Zigaretten aber lieber über die «Magic», die beim Schreiben der Songs entstanden sei. Über die Freude an Polo Hofer, Endo Anaconda und Züri West. Und darüber, dass sie «eben nicht immer den kompliziertesten Weg» gehen wollten. Es brauche nicht jedesmal einen doppelten Boden, einen zweiten Sinn oder noch ein möglichst sperriges Instrumental. «Splendid ist direkt», sagt Egger.
Während gerade Jeans for Jesus auch als Gegengift zu der überzuckerten und blindpatriotischen Mundart-Welle gedacht war, ist das neue Projekt Splendid deutlich zugänglicher. Auf dem jetzt erschienenen, gleichnamigen Debütalbum findet sich mit «Du» sogar ein astreiner Liebessong. Ohne Kitsch besingt Egger eine wohl vergangene Beziehung und was er daran vermisst, beziehungsweise was diese Frau so einzigartig machte. Es sind fein beobachtete Kleinigkeiten, die manchmal die Welt meinen können. «Wie du bim packe aus dis Züüg fingsch» oder «wie du bim Lande isem Fänschter luegsch».
Da bleibt eine sympathische Unsicherheit
Die beiden Musiker kennen sich seit geraumer Zeit. Vor einigen Jahren hat Dennler Egger im Ausgang angesprochen. Sie zeigten einander Musik, es entwickelte sich eine Freundschaft. «Die ist für dieses Projekt wahnsinnig wichtig», sagt Dennler. Sie entdecken gemeinsam, was ihnen gefällt und was eben nicht. Sie diskutieren viel über Musik. Die Wege der beiden kreuzen sich immer wieder, überall und in verschiedenen Städten. Die Songs entstehen in Sessions. Mal in Bern, mal in Zürich, mal in Berlin. Immer wieder gibt es Pausen. Beide sind in anderen Projekten stark involviert – beruflich und künstlerisch.
Und trotz ihres grossen Erfahrungsrucksack samt Erfolgen mit anderen Bands bleibt eine gewisse Unsicherheit spürbar. Das Feedback ist ihnen wichtig. Sie fragen nach der Meinung zu den Songs und saugen die Reaktionen des Publikums auf. Im Vorfeld des Release spielten sie in zwei Restaurants in Bern und Zürich. Das Publikum drängte sich am Ende sogar vor den Scheiben. «Unglaublich schön» sei das gewesen, sagt Dennler, Egger nickt. Es ist weit weg von der Dünkelhaftigkeit, die ihre Musik früher teilweise ausgestrahlt hat.
Auf dem Album versammeln sich prominente Gäste
Natürlich: Der neue Sound ist auch weit weg vom Mundart-Halligalli, der sonst gerade so angesagt ist. Splendid lassen «immer die Dunkelheit mitschweben», wie es Egger sehr schön formuliert. Die Abgründe sind stets da. Fast schon lässig tänzelt etwa «Längwilig» voran. Und dann singen sie: «Me redt bim Znacht aube viu, wie langs no geit bis me stirbt, wäg dritter Süle und so.» Es hat viele giftige Lines gegen die eigene Genügsamkeit und das Hamsterrad der Wohlvorstandsverwahrlosung. Nicht nur resignativ, sondern auch mit einer Portion trotzigem Aufbruch: «Gib mer meh Läbe, i bruch meh Läbe, i wott meh Läbe».
Mehrere Gäste tun auf dem Album mit. Faber singt, Anina Shona und Stereo Luchs auch. Mit «Wägem Gäld» covern Splendid Polo Hofer. Auch so eine Verneigung. «Gerade die frühen Jahre von Polo sind grossartig», sagt Michael Egger. Textlich und musikalisch sei er ein Stachel gewesen. Habe gestört im allgemeinen Wohlklang.
Auch Splendid können stören, können anecken. Sie machen das aber sehr charmant. Finden die Balance zwischen deeper Message und deepen Feelings. Und wenn ihnen etwas wichtig ist, dann sprechen sie es direkt an. In «Ouge» formulieren sie ganz direkt Wünsche an die Welt. Und doch: «D’Tröim si gross, dr Blues glich immer da.» Das bringen sie nicht weg. Und genau diese Schwermut macht ihre Musik so schön. Mundart-Pop-Rock aus dem Jetzt. Gerade für den Nebelherbst.
Splendid: Splendid. Sound Service. Konzerte unter anderem in Luzern (1.11.), Basel (8.11.) und St.Gallen (21.11.).
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