notifications
Spinal Tap

Schulterklopfen statt Headbangen: Die lauteste Band Londons gibt kleinlaut bei

In der Schweiz ist die Fortsetzung des Kultfilms um die fiktive Metal-Band Spinal Tap vorerst nicht im Kino zu sehen. Kein grosser Verlust.
Das grosse Grauen: Christopher Guest, Michael McKean und Harry Shearer (vorne, von links) in ihren Spinal-Tap-Perücken.
Bild: Kyle Kaplan/AP

Mitte der Achtzigerjahre stampfte der Heavy-Metal mit grossen Schritten auf seinen kommerziellen Höhepunkt zu – und langhaarige Bands schossen aus dem Boden wie zwei Jahrzehnte zuvor die Pilzköpfe. Songs, Looks und Posen glichen sich zuweilen wie ein Ei dem anderen. Und ausgerechnet das Kuckucksei schaffte es 1984 auf die Kinoleinwand: Spinal Tap hiess die Band, an deren Biografie restlos alles erlogen war.

Regisseur Rob Reiner, der kurz darauf mit «Stand By Me» (1986) Stephen King vom Horror befreite und mit «When Harry Met Sally...» (1989) die Liebeskomödie neu dachte, erschuf mit «This Is Spinal Tap» nicht nur einen Kultfilm, sondern sogleich das Genre der Mockumentary. Dass aus der fiktiven Dokumentation über «eine der lautesten Bands Londons» eine langlebige Musikkarriere hervorgehen würde, war eine Pointe, mit der bei den Dreharbeiten wohl niemand gerechnet hatte.

Der technische Panne im Wembley Stadium

Seit ihrem filmischen Einstand schafften es Christopher Guest, Michael McKean und Harry Shearer, die ihre Instrumente tatsächlich beherrschen, als Spinal Tap auf Bühnen, von denen andere Bands nur träumen: 2007 ans weltweit gestreamte Live Earth Festival, 2009 ans legendäre Glastonbury. Und 1992 an die Abschiedssause für Freddie Mercury im Londoner Wembley Stadium. Ob die technische Panne, die hier die Hälfte der Spielzeit von Spinal Tap in Beschlag nahm, echt oder gespielt war, bleibt ein Geheimnis.

Hauptsache Rock: Gitarrist Nigel Tufnel (Christopher Guest) in seinem Element.
Bild: Kyle Kaplan/AP

Auch beim erneut halbfiktiven Film «Spinal Tap II: The End Continues», der seit ein paar Wochen in den Staaten und in Grossbritannien gezeigt wird, geht vieles schief – aber meist nicht geplant und fast nie gewinnbringend. 41 Jahre nach dem grossen Wurf freut man sich zwar über ein Wiedersehen mit der Band. Allein die Frisuren, die vom schlechten Altern im harten Rock zeugen, sind grauslich. Ansonsten werden nur bestehende Songs («Big Bottom», «Hell Hole» und natürlich «Stonehenge») hervorgeholt und alte Pointen in erstaunlich uninspirierten Plauderrunden erinnert: «Weisst Du noch...?».

Gleichberechtigung statt Konturen

Das freut hartgesottene Nostalgiker und reut alle anderen. Denn der neue Film ist vorrangig eine verpasste Chance. Wie wunderbar hätten Rob Reiner und Co die schon anno dazumal heillos aus der Zeit gefallenen Charaktere mit der Jetztzeit zusammenprallen lassen können.

Regisseur Rob Reiner startete mit «This Is Spinal Tap» (1984) eine steile Karriere.
Bild: Richard Shotwell/AP

Als Leadgitarrist Nigel 1984 partout den Unterschied von «sexy» und «sexistisch» nicht verstehen wollte, war das Humor, der weh tat. Wenn die drei Altrocker heute eine junge Schlagzeugerin als neues Bandmitglied bejubeln, dann verlieren die ursprünglich scharf gezeichneten Charaktere ihre Konturen. Gleichberechtigung und Wokeness wollen einfach nicht zur Band passen, die Textzeilen wie «I'd like to sink her with my pink torpedo» hervorgebracht hat. Wer zu stark mit der Zeit geht, fällt aus der Rolle.

Unablässiges gegenseitiges Schulterklopfen

Das kaschiert man auch nicht mit einem Staraufgebot, das dem Film das letzte Quäntchen Logik raubt: Warum in aller Welt sollten Musiker wie Elton John oder Paul McCartney die Songs dieser bewusst mittelmässigen Band in den Himmel loben? Spinal Tap funktioniert nur dann, wenn die naive Selbstüberschätzung der Band mit ihrem hartnäckigen Verbleib im unteren Mittelfeld des Musikbusiness kollidiert.

Grosses Staraufgebot, kleiner dramaturgischer Nutzen: Spinal Tap in einer freundschaftlichen Altherrenrunde mit Paul McCartney (links).
Bild: Kyle Kaplan/AP

Und genau das hätte man mit den namhaften Gästen so gut und einfach herausarbeiten können: Etwa indem die Band den auftretenden Sirs Elton und Paul mit Hochnäsigkeit und Ignoranz begegnet. Eine handfeste Rauferei unter den in die Jahre gekommenen Herren hätte so viel besser funktioniert als das unablässige gegenseitige Schulterklopfen.

«Spinal Tap II» ist angetreten, um sich über ausgediente Bands lustig zu machen. Und beweist unbeabsichtigt, dass auch Humor und vormals gute Ideen sehr schlecht altern können. Dass der Film einen guten Monat nach dem US-Release noch keinen Starttermin in den Schweizer Kinos bekommen hat, ist also kein grosser Verlust. Immerhin ist seinetwegen der um Welten bessere erste Teil wieder auf fast allen Streamingdiensten zu finden.

«Spinal Tap II: The End Continues»: Vorerst nicht in Schweizer Kinos. Aber der erste Film von 1984 ist auf vielen Streamingplattformen zu finden.

Mehr zum Thema:

Kommentare (0)