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Jahrhundertpoet

«lechts und rinks» – Ernst Jandl hätte Alice Weidel und Sahra Wagenknecht zerpflückt

Dank ihm wurden Gewalt und Faschismus, aber auch skurrile, zarte Wortspiele in der Lyrik hörbar. Ernst Jandl, der grosse Laut-Poet, wäre am 1. August 100 Jahre alt geworden. Gegenwartsautoren zeigen, wie aktuell er immer noch ist.
Der Wortkünstler Ernst Jandl bei einer Lesung im Deutschen Theater Berlin 1992.
Bild: Imago

Er liess es krachen und knattern, er lispelte, säuselte – und war damit sein bester Interpret. Viele erhaltene Kurzvideos zeugen davon. Ernst Jandl war ein Gesamtkunstwerk. Und wenn man seine Klassiker wieder liest, ist das Staunen frappant: Dieser Lautmaler ist wieder erschreckend aktuell. Nur schon dies: «Lechts und rinks kann man nicht velwechsern»? Wer in Talkshows Sahra Wagenknecht und Alice Weidel zuhört, dem wackeln bei deren populistischen Floskeln bald die Ohren: Was ist schon wieder politisch rechts, was links? Ernst Jandl hätte den zwei Frauen aus dem Grab heraus seinen legendären Gedichtschluss bissig zugerufen: Rechts und links – «Werch ein Illtum!»

Oder Jandls «schtzngrmm», am besten von ihm selbst als bittere Ode an das martialische Kriegsgedröhne gesprochen: Es nimmt einem den Atem, wenn man an den gegenwärtigen Krieg in den Schützengräben der Ostukraine denkt.

schtzngrmm

schtzngrmm
schtzngrmm
t-t-t-t
t-t-t-t
grrrmmmmm
t-t-t-t
s-----c------h
tzngrmm
tzngrmm
tzngrmm
grrrmmmmm
schtzngrmm
schtzngrmm
tssssssssssssss
grrt
grrrrrt
grrrrrrrrrt
scht
scht
t-t-t-t-t-t-t-t-t-t
scht
tzngrmm
tzngrmm
t-t-t-t-t-t-t-t-t-t
scht
scht
scht
scht
scht
grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr
t-tt

Schweizer Starthilfe für kriegsgeschädigten Österreicher

Da hat also einer zeitlose Lautgedichte geschaffen, wurde zum würdigen Nachfahren der Dadaisten und ist damit zum Klassiker geworden. Dass dies vielleicht nur mit einer österreichischen Biografie möglich wurde, leuchtet rasch ein, wenn man an Jandls Zeitgenossen Thomas Bernhard oder auch Ingeborg Bachmann, später Elfriede Jelinek, denkt, die sich ebenso vehement an der Nazivergangenheit abarbeiteten. Als 1925 geborener Österreicher kam Ernst Jandl um die Wehrmacht nicht herum, desertierte aber bereits 1944 an der Westfront zu den Amerikanern und wurde deren Dolmetscher.

Der Sohn eines Bankbeamten und einer Gedichte schreibenden Hausfrau war nach dem Krieg lange Jahre Deutsch- und Englischlehrer – nach eigenem Bekunden nicht besonders gerne. Als sein avantgardistischer Lyrikband «Laut und Luise» 1966 im Walter-Verlag in Olten erschien, war der Aufruhr gross – in der Öffentlichkeit und im Verlag selbst. Der Schriftsteller und Verlagsleiter Otto F. Walter (dessen Roman «Der Stumme» wurde selbst zum Klassiker) hatte Jandl ins Programm genommen. Walter verliess, enttäuscht über die konservativen Aktionäre, den Verlag und wechselte zum Luchterhand Verlag.

Dank Otto F. Walters Starthilfe steckt also auch ein bisschen Schweiz im Erfolg des Jahrhundertpoeten Ernst Jandl. In dessen Heimatland waren die Reaktionen ebenso harsch. Jandl schrieb dazu: «Die Kulturgewalttäter der österreichischen Nachkriegszeit brachen über mich den Stab.» Mit zeitlichem Verzug erhielt er dennoch 1990 den Grossen Österreichischen Staatspreis.

Er war ein Poet, der alle Generationen zu begeistern vermochte

Jandls Aktualität wird in einem neuen Buch mit Texten von Franz Hohler über Terézia Mora und Saša Stanišić bis zu Christiane Neudecker und Christian Haller erlebbar, die sich von Jandls Gedichten inspirieren lassen. Ob mit Schalk das Altern belächelnd, dadaistisch die Sprache zertrümmernd oder eben mit Biss das kriegsverseuchte und bigotte Jahrhundert beklagend – über Ernst Jandls Lautgedichte freut man sich über die Generationen hinweg: dank dem Listigen bis Lustigen seiner Sprachspiele.

Exemplarisch zeigt dies Christiane Neudecker, die sich dem Klassiker «lechts und rinks kann man nicht velwechsern» widmet. Sie erinnert sich an die Kinderbuchfigur Uli, den Fehlerteufel mit kugelrundem, rotem Bauch und Teufelshörnern, der in deutschen Rechtschreibebüchern der 1970er- und 1980er-Jahre Buchstaben verdreht und Satzzeichen gestohlen hatte – zur Freude aller Kinder. Im Gymnasium habe sie dann das Gedicht angesichts des austauschbaren Terrors von Linksextremen und Rechtsradikalen politisch gelesen. Und als sie sich schliesslich viel später auf einer Wanderung verirrte, lachte sie über die wieder neue Alltagsinterpretation von rechts und links.

Auf wenigen Zeilen: Spass mit Biss

Das generationenübergreifende Vergnügen an Jandls lustig-verrückten Gedichten wird auch am Klassiker «ottos mops» sofort sichtbar. Dieses Hündchen ist erst ein querulantischer Teenager, dann amtet er als Kokskurier, bis er sich schliesslich übergeben muss. Nur schon das laute Lesen – auch ohne Interpretation – macht Kindern Spass. Und Ältere erkennen den Spott auf Kleinbürgermentalität und hören ulkige Blasphemie. Und dies auf so wenigen Zeilen. Spass mit Biss! Einfach herrlich.

ottos mops

ottos mops trotzt
otto: fort mops fort
ottos mops hopst fort
otto: soso

otto holt koks
otto holt obst
otto horcht
otto: mops mops
otto hofft

ottos mops klopft
otto: komm mops komm
ottos mops kommt
ottos mops kotzt
otto: ogottogott

Auf der Bühne war Jandl immer auch schalkhaft selbstironisch.
Bild: Imago

Wenn jedoch ein Autor wie Franz Hohler sich von einem Lieblingsgedicht Jandls inspirieren lässt, wird die ulkige Blasphemie des Österreichers über das Sichbekreuzigen zu einer charmanten Pointe im gutschweizerischen Gärtchen verzaubert. «ich bekreuzige mich / vor jeder kirche / ich bezwetschkige mich / vor jedem obstgarten» dichtete Jandl. Hohler erzählt, wie er sich ebenfalls bezwetschkigt – bevor er mit rutschfesten Schuhen und mit Insektenspray besprüht zur Zwetschgenlese in seinem Garten auf die Leiter steigt. Seine Frau hält die Leiter, die Nachbarn schauen angstgebannt auf den todesmutigen älteren Herrn auf der Leiter. Jandl plus Hohler – zwei Meister des Grotesken: ein Dreamteam!

zweierlei handzeichen

ich bekreuzige mich
vor jeder kirche
ich bezwetschkige mich
vor jedem obstgarten

wie ich ersteres tue
weiss jeder katholik
wie ich letzteres tue
ich allein

Jandl also ein Spassvogel und Politsatiriker? Ja, sicher, er war beides, aber noch viel mehr. In seinen späten Gedichten erlebte man ihn auch als philosophischen Melancholiker. Im Gedicht «gabentisch» etwa fasste er 1989 den Lebensrückblick fast schon zu einer nüchternen Trostlosigkeit zusammen: «ich stehe stumm / um den ganzen Tisch herum / darauf liegen die vielen gaben / lauter nebensachen / wer hat sie mir gegeben? / mein leben».

Den wichtigsten deutschsprachigen Literaturpreis, den Büchnerpreis, hat Ernst Jandl 1984 erhalten – 17 Jahre danach bekam ihn auch seine langjährige Lebens- und Arbeitspartnerin, die Lyrikerin Friederike Mayröcker. Jandl hatte in späten Jahren mit Gebrechlichkeit und Depressionen zu kämpfen. Er starb 2000.

Ernst Jandl zum 100. Lieblingsgedichte – ausgewählt und kommentiert von Luchterhand-AutorInnen. Luchterhand, 173 S.
Alle Bücher von Ernst Jandl erscheinen im Luchterhand Literaturverlag.

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