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KKL Luzern

Schöne Frauen und stolze Männer: Jodeln und Tango zwischen Klischee und Crossover

Das Wochenende im KKL war ein Lehrstück in Sachen Diversität. Die Tango-Show «Vida» und «Jodel meets Classic» spitzten Identitäten zu und lösten sie vielfältig auf.

Nicole Nau und Luis Pereyra in der Tango-Show «Vida».
Bild: pd

Eine Show, die mit «schönen Frauen und stolzen Männern» für sich wirbt, steht gegenwärtig schräg zur medial breit geführten Debatte um die Relativierung von Geschlechteridentitäten. Aber das muss kein Widerspruch sein, wie die Tango-Show «Vida »aus Argentinien am Sonntagnachmittag im KKL zeigte. Sie ging nämlich im praktisch vollen Luzerner Saal über die Bühne und wurde vom gut durchmischten Publikum begeistert beklatscht.

Die Show war zudem quasi der Auftakt zu einem zweiten Projekt, das am Abend kulturelle Identitäten und deren Auflösung im Crossover zum Thema machte.

Dass der Tango aus einem Crossover zwischen der Musik der Gauchos, der schwarzen Sklaven und der europäischen Einwanderer entstand, machten in der «Vida»-Show die einführenden Texte der Tänzerin Nicole Nau zum Thema.

Das Programm hielt sich mit akrobatischen Erotikklischees eher zurück und entfaltete stattdessen eine farbige Kulturgeschichte Argentiniens. Das reichte vom Gaucho-Lied von Atahualpa Yupanqui (mit Livegitarren ein Höhepunkt) über hinreissende, von Rhythmen der «Afro-Argentinier» befeuerte Volkstanz-Feste bis zur Melancholie des Tangos selber. Den Einzug der Kunstmusik in diesen illustrierte – ab Band allzu wuchtig verstärkt – Osvaldo Puglieses «La mariposa», das stilistisch zu Piazzolla («Verano Porteño») hinführte.

Dass in den Tango-Lokalen – so Nau – einst «Frauen ihre Jugend verkauften» und damit die in sie verliebten Männer in Verzweiflung stürzten, relativierte schon das Klischee vom stolzen Mann, der im Tanz schöne Frauen führt. Auch die Tanzdarbietungen selber wandelten diese Rollenverteilung ab. Nicole Nau wirkte wie mit magnetischen Kräften auf die Führung ihres Tanzpartners Luis Pereyra ein.

Und wie die Musik solche Klischees unterläuft, zeigte sich, wo zu den Orchesterstücken ein Paar zum sehnsüchtigen Ton der Violine im Schwebezustand verharrte, während andere sich zum Rhythmus der Bandoneons zu energisch säbelndem Beinspiel antreiben liessen. Am Schluss war der Applaus so stürmisch wie das Folklore-Fest, in das die Produktion mündete.

Archaischer Jodel klassisch grundiert

Die Trachten, in denen Jodlerinnen und Jodler aus der ganzen Schweiz im Projekt «Jodel meets Classic» zusammenfanden, reduzierten solche Geschlechterdifferenzen geradezu politisch korrekt auf ein Mindestmass. Peter Künzi und Emil Wallimann (Arrangements und Leitung) machten aus dieser Begegnung aber auch musikalisch kein Drama, sondern verbanden harmonisch Jodellieder mit klassischem Orchester.

Archaischer Jodelgesang, klassisch grundiert: Emil Wallimann leitet die Ad-hoc-Ensembles im KKL.
Bild: Patrick Hürlimann

Höhepunkte waren diesbezüglich Werke, in denen das klein besetzte Orchester eine klassische Vorlage spielte und das Jodellied dieses mehr oder weniger getreu aufgriff. So führte Vivaldis «Frühling» beschwingt hin zu Adolf Stählis «Früeligsgloube» und verbanden sich Chor und Orchester prächtig in Wallimanns «Im Oberot» nach Haydns St.Antonius-Choral. Aber der zweite Satz von Mozarts Klarinettenkonzert verlor hier mehr von seinem Zauber, als er hinzugewann.

Das war schade, weil das Top-Niveau der Jodeldarbietungen eine Begegnung mit Klassik «auf Augenhöhe» (so die Veranstalter) tatsächlich verdient hätte. Für eine solche blieb das etwas auf Sparflamme begleitende Orchester allzu sehr im Hintergrund.

Seine zahlreichen bewegenden Momente verdankte das Konzert denn auch den Jodelformationen selber. Jürg Röthlisbergers «Stärne» – mit einem Männerquartett um den fabelhaften Jodler Edi Tanner – oder der Silberglanz des gemischten Jodelquartetts in André von Moos' «Aabästärn» wendeten die Archaik der Tangofolklore ins Feierliche und blieben im Ausdruck hinter dieser in nichts zurück.

Weitere Aufführung von Jodel meets Classic in der Region: Fr, 18. November, 19.30, Lorzensaal Cham; www.jodelmeetsclassic.ch

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