Starrummel ist Rafał Blechacz fremd, um seine Person macht er wenig Aufhebens. Im Interview gibt sich der Pianist ebenso unprätentiös wie bei seinen Bühnenauftritten. Dass er unermüdlich nach tieferliegenden Wahrheiten sucht, wirkt in unserer schnelllebigen Zeit ebenso ungewöhnlich wie sein stetes Kreisen um einen musikalischen Fixstern. «Chopin ist für mich eine Art Lebensgefährte geworden», bekennt er. «In seiner Musik bin ich ganz bei mir selbst.»
Blechacz, der aus einer Kleinstadt im Norden Polens stammt, wurde im Jahr 2005 schlagartig weltbekannt, als er den renommierten Warschauer Chopin-Wettbewerb in allen Kategorien gewann. Nach diesem grossen Erfolg beschäftigte er sich auch intensiv mit Komponisten wie Bach, Mozart, Beethoven oder Debussy und nahm deren Werke auf CD auf. Dem Druck, ständig auf Tourneen zu gehen und sich möglichst weit oben in den Charts zu positionieren, mochte er sich allerdings nicht aussetzen. Zeitweise zog er sich sogar aus dem Konzertleben zurück, um in seiner Heimat einen Doktor in Philosophie zu machen.
Während der Pandemie neuer Zugang zu Chopin
Chopin ist aber nie aus seinem Blickfeld verschwunden. Erst kürzlich erschien bei der Deutschen Grammophon Blechacz’ Einspielung der Sonaten Nr. 2 und Nr. 3. «Ich fühle mich wesentlich freier als früher», erzählt er. Dynamische Kontraste und extreme Emotionen kann ich jetzt besser ausdrücken.»
Die Coronapandemie war für ihn als Mensch und Künstler eine einschneidende Erfahrung. «Ich habe ein Haus in der Nähe der Stadt Bydgoszcz, wo ich früher studiert hatte. Dort war ich während der Pandemie monatelang völlig allein. Ich bin oft im Wald spazieren gegangen, um auf andere Gedanken zu kommen. Natürlich habe ich zu Hause ein Klavier, doch die Auftritte vor Publikum haben mir gefehlt.»
Sein neustes Chopin-Album nahm er 2021 auf. «Nach der Corona-Zeit habe ich gespürt, dass mir die zweite Sonate in b-Moll besonders am Herzen liegt. Deshalb habe ich sie zum ersten Mal eingespielt, zusammen mit der dritten. Nach der Erfahrung mit der Pandemie merkte ich, dass sich meine Sicht auf das Stück nochmals gewandelt hat, dass ich etwas Neues dazu sagen will. Das wollte ich unbedingt mit meinem Publikum teilen.»
Der Gedanke, den bekannten Trauermarsch aus der zweiten Sonate aufzunehmen, habe ihm eigentlich immer Angst gemacht, gibt er zu. «Ich fürchtete, dass dann jemand aus meiner Familie sterben könnte. Gott sei Dank ist das nicht passiert. Während der Pandemie habe ich aber Freunde und Kollegen verloren, das hat mich sehr erschüttert. Deshalb spiele ich diesen Satz jetzt anders als vorher.» Auch der kurze Finalsatz hat für ihn einen Jenseitsbezug. «Er ist wie ein Wind, der über einen Friedhof fegt. Es ist sehr schwierig, hier die richtigen Klangfarben zu finden. Man darf nicht mit zu viel Pedal spielen. Zugleich muss man darauf achten, dass es nicht zu trocken klingt.»
Auch eine sportliche Herausforderung
Auf der CD kombiniert Blechacz diese Sonate mit dem Nocturne op. 48/2, das er in Konzerten oft als Zugabe spielt. «Chopin bietet uns ein grosses Spektrum höchst unterschiedlicher Gefühlszustände – Melancholie, Trauer, Freude, überbordende Energie», meint er. So kontrastiere der Trauermarsch etwa mit heiteren, poetischen Momenten in der dritten Sonate, die an italienischen Belcanto erinnern.
«Die Oper war für Chopin immer ein Quell der Inspiration, das will ich in meinem Spiel deutlich machen.» Als Herausforderung empfindet Blechacz vor allem den achtminütigen langsamen Satz der Sonate, mehr noch als die virtuosen Passagen. «Den ersten Satz kann man sportlich angehen, er hält die Finger flexibel. Beim Largo muss man dagegen auf jede einzelne Note achten und eine ganz spezielle Atmosphäre schaffen. Das ist nicht leicht, man braucht dazu viel innere Energie und Sinn für Poesie.»
Manchmal sehe er auch Bilder vor sich, wenn er am Flügel sitze. Vor allem aber Farben, die sich in seinem Kopf mit bestimmten Tonarten verbinden. «A-Dur ist für mich gelb, h-Moll braun», erklärt er mit einem schalkhaften Lächeln, während er auf Gegenstände deutet, die vor ihm auf dem Tisch stehen. «Und wenn ich eine Orange sehe, denke ich sofort an B-Dur.»
Am Lucerne Festival kann man sich jetzt einen Eindruck von der Sensibilität dieses Ausnahmekünstlers verschaffen. Am 31. März spielt er mit dem Lucerne Festival Orchestra unter Leitung von Iván Fischer Chopins Klavierkonzert Nr. 2 in f-Moll. Vor allem im temperamentvollen Finalsatz mit seinen romantisch verklärten polnischen Folklore-Rhythmen wird der Pianist das Publikum auf eine Reise in seine Heimat mitnehmen.
CD: Rafal Blechacz, Chopin (Deutsche Grammophon)
Konzert am Frühjahrsfestival von Lucerne Festival: Fr, 31. März, 19.30, KKL Luzern; www.lucernefestival.ch
Luzerner Klavierfrühling
Der Auftritt von Rafal Blechacz reiht sich ein in eine Serie von Konzerten mit Toppianisten zwischen dem Klavierfestival des Luzerner Sinfonieorchesters (im Februar) und dem Klavierfest von Lucerne Festival (im Mai).
Den Anfang dieses Luzerner Klavierfrühlings machten die Festival Strings Lucerne letzte Woche mit dem Pianisten Jan Lisiecki: ein Star der jungen Generation, der im KKL Beethovens viertes Klavierkonzert aus inniger Versenkung heraus akzentfreudig zum Swingen brachte. Im Steinway Prizewinner Concert präsentieren die Strings den deutschen Pianisten Fabian Müller (33) mit Bachs Wohltemperiertem Klavier (So, 2. April, 17.00, Schweizerhof).
Das Luzerner Sinfonieorchester nutzte am Dienstag eine CD-Aufnahme mit Altmeisterin Elisabeth Leonskaja für ein Konzert im Orchesterhaus. Nächste Woche ist Krystian Zimerman der prominente Pianist in Klavierquartetten von Brahms (Di, 4. April, 19.30, Konzertsaal KKL). Am Frühjahrsfestival von Lucerne Festival tritt nach dem Polen Rafal Blechacz (Fr, 31. März) die Virtuosin Yuja Wang in der Rachmaninow-Show des Musik-Comedy-Duos Igudesman & Joo auf (Sa, 1. April, 18.30, beide im KKL).
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