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Ausstellung

Pastell und Patisserie: Die Bilder von Wayne Thiebaud sind Kunst gewordene Zuckerträume

Eine seltene Gelegenheit: Die Fondation Beyeler zeigt das Werk von Wayne Thiebaud. Seine Tortenstücke und Eistüten haben es in sich.

Wayne Thiebaud ist ein Verführungskünstler. Die Bilder Von Torten, Sandwiches und Eiscreme lassen das Wasser im Munde zusammenlaufen. (Three Cones, 1964)
Bild: Wayne Thiebaud Foundation / ProLitteris / Sammlung von Bill und Donna Acquavella

Glänzende Glasuren, üppige Buttercreme und oben drauf feinster Zuckerguss. Das Schöne an diesen Kunstwerken der Patisserie ist, dass sie wohl das Wasser im Munde zusammen laufen lassen, sich nicht aber auf die Hüften niederschlagen. Mit den Werken des Amerikaners Wayne Thiebaud ist es so, wie früher, als man mit glänzenden Kinderaugen, aber zu wenig Taschengeld im Sack, vor der Süsswarenauslage stand: schauen, träumen, bis man fast, aber eben nie tatsächlich, die Süsse auf der Zunge schmeckte.

Die Fondation Beyeler in Basel widmet Wayne Thiebaud (1920-2021) eine in Europa seltene Einzelausstellung. Seit einem Auftritt auf Einladung von Harald Szeemann an der Documenta 5 in Kassel, waren seine Werke erst drei Mal auf diesem Erdteil zu sehen. Die 65 Bilder und Zeichnungen, die Kurator Ulf Küster zeigt, wecken Sehnsüchte. Man will nach den Naschereien, den Plüschtieren und Malutensilien greifen. Ein Hinweis an der Wand muss daran erinnern, dass man durchs Museum geht: «Bitte nicht berühren.»

Ein Maler, kein Künstler

Es war Thiebauds Mentor Willem de Kooning, der ihn Anfang der 60er Jahre auf die Idee mit den Kuchen brachte. Er solle malen, was ihn wirklich interessiere: «Und als ich fertig war, schaute ich mir das an und dachte, mein Gott, ich habe gerade einen Haufen Pies gemalt. Das wird wohl mein Ende als ernst zu nehmender Maler sein», erinnert sich Thiebaud im März 2021 in seinem letzten Interview (nachzulesen im Ausstellungskatalog). Er sollte sich irren, es war der Anfang. Vom Initialbild «Pies, Pies, Pies» von 1961, zeigt die Schau auch einige faszinierende Tuschevarianten.

Nie hätte der Künstler damit gerechnet, dass ihn ausgerechnet Kuchenstücke berühmt machen würden. (Pie Rows, 1961) 
Bild: Wayne Thiebaud Foundation / ProLitteris / Matthew Kroening

1920 in Arizona geboren, wuchs Thiebaud in einer Mormonenfamilie auf. Er arbeitete in Restaurants, wo er Hamburger belegte; im Zirkus, wo er eine Faszination für Clowns entwickelte; und, als Teenager, bei der Trickfilmfabrik von Walt Disney. Der gelernte Werbegrafiker zeichnete im Militärdienst während der Kriegsjahre Cartoons für die Zeitung seiner Militärbasis.

Mit seinen späteren Arbeiten geht Thiebaud in Tradition mit der amerikanischen figurativen Kunst. Man denkt an Edward Hopper, 2020 im Beyeler oder an den letzten «Special Guest» des Hauses, Duane Hanson mit seinen hyperrealistischen Puppen. Thiebaud war einer, der gerne und genau hinsah, der sich inspirieren liess, als Vorbild gab er Paul Cézanne an, ebenso aber den Cartoonist George Herriman (Krazy Kat). Trotz einer tiefen Zuneigung zum Populären, zum Süssen und Kitschigen, wehrte er sich stets gegen die Zuschreibung zur Pop-Art. Er sei weniger Artist, also Künstler, sondern ein Maler. Sein freundlich ironisierender Blick auf die Massenkultur entlarvt ihn aber wenigstens als einen Vorläufer.

Ein Tortenstück ist auch nur ein Dreieck

Als Maler, als der er sich verstand, beherrschte er sein Handwerk. Wayne Thiebaud ist, sich den Prinzipien der Naturwissenschaften verschreibend, ein Meister der Farben. In den Schatten, die seine Tortenstücke werfen, schimmern Regenbögen; rote, grüne oder sogar pinke Farbakzente bringen Haut und Haar zum Leuchten, wie beim Mädchen mit Rosa Hut (1973).

Oder beim Porträt seiner Frau, in der Badewanne liegend. Der ermattete Kopf versinkt in blassen Flächen, unterbrochen von feinen Linien. Der Raum wird zur Illusion - Imagination, würde der Künstler vermutlich sagen: «Ich bewundere die abstrakte Malerei, und im Grunde bin ich überzeugt, dass mein Werk abstrakt ist.» Nach dieser Bemerkung entpuppen sich Teller als Kreise, Tortenstücke als banale Dreiecke.

In seinen Bildern steckt auch eine gesunde Portion Melancholie. (Eating Figures (Quick Snack), 1963) 
Bild: Wayne Thiebaud Foundation / ProLitteris  /  Courtesy Acquavella

Bis zu seinem Tod am ersten Weihnachtsfeiertag 2021 war und blieb der Künstler Professor. Er unterrichtete Bruce Naumann, der zwischenzeitig sein Assistent wurde. Er war ein Kenner der Kunstgeschichte, in seinen Gemälden versteckte er mal kleinere, mal grössere Bekennungen. Ahnt man doch in seinem rosa behütetem Mädchen ein Schatten des Renaissance-Künstlers Botticelli. Die Frau auf einem anderen Porträt studiert einen Bildband - ist es Degas? Die Sprenkel unter dem Farbtopf (Ölfarbe malte er in Öl, Pastellkreide, mit Kreide) vielleicht gar ein Pollock? Wie in einem Museumsshop preist er in «35 Cent Masterworks» (1970-1972) seine persönlichen Favoriten zum Spottpreis an.

Wayne Thiebaud ist ein Geschichtenerzähler, seine Bilder werfen Fragen auf, in ihnen stecken kleine Irritationen - Cliffhanger wie im Film.

Weniger bekannt als die Stillleben und Porträts sind die Landschaftsbilder: Das sind die Stadtansichten, die er entlang ihrer Wahrzeichen überzeichnete. Ist San Francisco die Stadt der Hügel, klappt er die Strassen zu halsbrecherischen Steilwänden auf. Oder er malte künstliche Wasserspeicher aus mehreren Perspektiven gleichzeitig. Der Kurator hat diese vis-à-vis der Teichanlage im Beyeler Park gehängt, ein humorvoller Fingerzeig, der dem Karikatur-Liebhaber wohl gefallen hätte. Die Cartoon-Landschaften in Krazy Kat regten ihn zu einer weiteren Serie an. In dicken Schichten malte er Berge, bei denen es niemals hoch, sondern nur abwärts geht, Landstriche, die ins Bodenlose fallen - Cliffhanger im wahrsten Sinne. Sie verraten viel über Thiebauds Werk: Hinter jedem ersten Eindruck steckt ein Abgrund.

Wayne Thiebaud beherrsch die Kunst der Verführung. Bei seinen fantastischen Landschaften, den Zuckerträumen oder wenn er das Publikum einen kurzen Blick in die Spielhallen werfen lässt (Two Jackpots, 2005). Der Jackpot scheint zum Greifen nah. Zwei gleiche Glückssymbole stehen schon auf der Anzeige, nur noch einmal ziehen am Einarmigen Bandit - aber eben: «Bitte nicht berühren.»

29. Januar bis 21. Mai, Fondation Beyeler. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog beim Hatje Cantz Verlag mit dem hier zitierten Interview mit dem Künstler.

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