Zu den beliebtesten Sätzen in elektronischen Foren und Kommentarspalten gehört zweifellos der Fragesatz: «Muss man den kennen?» Oder wenn es sich auf eine Frau bezieht: «Muss man die kennen?» Oder wenn es um eine Sache geht: «Muss man das kennen?» Diese Frage ist so allgegenwärtig, dass wir uns beinahe schon an sie gewöhnt haben.
Der Satz ist natürlich rhetorisch gemeint. Die Leute, die diese Art der Frage stellen, wollen keine Aufklärung. Sie möchten meist nur zum Ausdruck bringen, wie unwichtig ein Thema oder eine Person in ihren Augen ist. Die Frage «Muss man den kennen?» bedeutet also inhaltlich, ein Sachverhalt, ein Mensch oder ein dargelegtes Thema erscheine einem komplett bedeutungslos.
Natürlich könnten die Leute, die zu den Dingen, die ihnen bedeutungslos erscheinen, auf diese Weise fragen, auch einfach schweigen. Aber es fällt ihnen offenbar leichter, nicht zu schweigen und stattdessen allen klarzumachen, dass sich für sie eine Auseinandersetzung mit einer bestimmten Sache nicht lohnt.
«Muss man das kennen?», bei dieser Frage wird das eigene Nichtkennen oder Nichtwissen zum Standard erhoben. Ganz nach dem Motto: «Was ich nicht kenne, kann nicht der Rede wert sein, denn wäre es der Rede wert, würde ich es ja sicher kennen.» Wer also von vornherein fragt, ob man etwas kennen müsse, betont einen gewissen Stolz auf die eigene Unkenntnis, auf das eigene Nichtwissen. Es ist ein Fragesatz, der sehr viel mehr aussagt, als dass er fragt. Wer die Überzeugung kundtut, was er oder sie nicht kennt, sei komplett unwichtig, gibt sich mit seinem bescheidenen Wissen zufrieden. Der Fragesatz suggeriert sogar, diejenigen, die etwas kennen oder wissen, das einem selbst unbekannt ist, seien die Dummen.
Ähnlich wie mit dem erwähnten Satz verhält es sich mit der Frage: «Muss ich das gelesen haben?» Es ist eine Frage, die mir als Autor oft gestellt wird. Viele Leute erwähnen irgendeinen Buchtitel und fragen mich dann, ob sie das genannte Buch gelesen haben müssen. Lange habe ich diese Art von Frage ernst genommen und habe versucht zu erklären, warum mich dieses oder jenes Buch lesenswert dünkt. Inzwischen habe ich jedoch gelernt, dass die Frage «Muss ich das gelesen haben?» gar nicht auf eine Antwort zielt. Es ist keine aufrichtige Frage, sondern eine Meinung. Wer so fragt, will sagen, etwas sei nicht lesenswert.
Fragen, die nicht als Fragen gemeint sind, erschweren die Kommunikation. Deswegen empfiehlt es sich, auf die erwähnten Fragen gar nicht einzugehen. Wer fragt, ob er oder sie etwas oder jemanden kennen müsse, hat alles gesagt, was es zu einem Thema zu sagen gibt. Die Fragenden outen sich in solchen Fällen als Menschen, die dem Dialog lieber ausweichen, weil sie bloss an ihrem eigenen Monolog interessiert sind. Es ist besser und sicherer, solchen Leuten aus dem Weg zu gehen, selbst auf die Gefahr hin, auf der schwarzen Liste derer zu landen, von denen sie bei nächster Gelegenheit fragen werden, ob man sie kennen muss.
Kommentare
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien, die Kommentare werden von uns moderiert.
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.