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Sprachliche Moden und Marotten

«Muletilla»: die kleine Gehilfe für die Zunge

In seiner aktuellen Kolumne schreibt unser Autor Pedro Lenz über etwas, was sozusagen sehr nützlich ist im alltäglichen Sprachgebrauch.
Krücken sind im Spanischen nicht nur Gehilfen für Senioren, sondern auch nützliche Sprachhilfen.
Bild: Chris Mansfield

Zuweilen gibt es in einer Sprache Begriffe, die in einer anderen Sprache fehlen. Eine Krücke heisst im Spanischen «Muleta». Die Verkleinerungsform ist die «Muletilla», das Krück­lein. Dies Krücklein wird aber nicht im Zusammenhang mit dem Körper gebraucht, sondern für die Sprache. Eine Muletilla ist etwas wie ein Füllwort, es kann auch eine Art Überbrückungswort oder sprachliche Nebelgranate sein. Der Umstand, dass das Krück­lein im Deutschen kein gebräuchlicher Sprachbegriff ist, heisst noch nicht, dass wir solche Gehilfen für die Zunge in unserer Sprache nicht auch kennen und verwenden.

Besonders beliebt sind die kleinen Krücken in der gesprochenen Sprache, wenn es darum geht, abzulenken, Zeit zu gewinnen, zu blenden oder über eine Wissenslücke hinwegzutäuschen. Wird beispielsweise eine Person, die nicht sattelfest in Geografie ist, nach der Hauptstadt von Peru gefragt, kann sie sagen, sie wisse es nicht. Die Person kann auch mit kleinen Krücken antworten: «Gut, okay, ich denke mal Peru, das ist ja grundsätzlich ein Staat, der genau genommen irgendwo so in Südamerika liegt, eigentlich hat Peru eine Hauptstadt, deren Name mir geläufig sein sollte, nur jetzt ist er mir irgendwie zurzeit gerade entfallen.»

Dass ein solcher Satz mit so vielen Worten auf den ersten Blick recht viel schlauer klingt als ein schlichtes: «Ich weiss es nicht», dürfte klar sein. Dabei braucht es sehr wenig Vokabular, um sich sprachlich durchzuwursteln. Zwar kann der Einsatz von kleinen Krücken variieren. Die Sprechenden können immer gleichlautende oder ständig wechselnde Krück­lein verwenden. Und sie können mit vielen oder wenigen Krücken arbeiten.

Aber etwas bleibt mehr oder weniger unverändert: Die Auswahl ist nicht unbegrenzt. Die meist verwendeten Gehilfen für die Zunge sind «irgendwie», «also», «eigentlich», «letztlich» oder «genau genommen». Die Liste kann noch ergänzt werden, durch sinnfreie Konstruktionen wie «im Grunde genommen», «am Ende des Tages», «ehrlich gesagt» oder «meiner Meinung nach», aber viel mehr ist da nicht. Eine Handvoll Krücklein genügt, jede Aussage zu verschnörkeln, das Unwissen zu vernebeln und eine beliebige Banalität besser tönen zu lassen.

Wer eine politischen Debatte, einen Radio-Talk, ein literarisches Gespräch oder einen Vortrag auf den inhaltlichen Gehalt prüfen will, braucht nur die Krücklein zu zählen. Als Faustregel zur Bewertung des Gesagten kann gelten: «Je höher die Anzahl der Krücklein, desto beschränkter der Erkenntnisgewinn.

Also genau genommen nehme ich nun ehrlich gesagt an, mich in diesem Sinn eigentlich irgendwie verständlich ausgedrückt zu haben. Falls dem grundsätzlich so sein sollte, würde ich an dieser Stelle meiner Meinung nach das Krücklein unter den Arm nehmen und zu guter Letzt davonhumpeln.

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