
Man könnte Sofia Gubaidulina nicht glücklich machen, ganz gleich, was man über dieses Album schreibt. Denn Musik hielt die tatarisch-russische Komponistin (1931 – 2025) für unbeschreibbar, Worten gegenüber blieb sie zeitlebens skeptisch. Blöd nur, dass über ihr Oeuvre längst nicht alles gesagt ist. Ein sprechendes Beispiel dafür ist das Orchesterwerk «Figures of Time», unlängst von der Basel Sinfonietta eingespielt.
Es zeugt von Gubaidulinas Unerschrockenheit, von ihrer eigenständigen Sprache und ihrem Sinn für chaotische Systeme: Wie vom Zufall gelenkt wird hier Mikrotonales von Melodischem abgelöst, perkussive Passagen von solistischen Intermezzi, gleissende Streicher von schattigen Bläsern.
Dafür, dass musik-mathematisch alles aufgeht, sorgt der Dirigent Titus Engel; es dürfte landesweit keinen geeigneteren Mann für diesen Job geben als den Schweizer Musikpreisträger. Mit häftlimacherischer Präzision verhakt er auch die zahlreichen Stimmen des Klavierkonzertes «Introitus», wobei die Westschweizerin Alice di Piazza solistisch die Introspektion beisteuert.

Folgerichtig unvorhersehbar endet die Platte mit einer jazzigen «Revue Music», die bei ihrer Uraufführung in der Sowjetunion einst einen Skandal auslöste. Heute ist sie ein Happening - eines, das Gubaidulina selbst nicht mehr erleben kann. Die Komponistin ist im März gestorben. Der Tonträger ist ein vielsagender Nachruf auf eine Pionierin, die keine Worte mochte.
Sofia Gubaidulina «Figures of Time»: Basel Sinfonietta, Titus Engel, Alice di Piazza (Naxos 2025)
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