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Uraufführung 

Minderheitenprogramm mit Mehrwert: Joachim Rittmeyers Widerstand lebt – im Mikrobereich

Mit seinem neuen Programm «Knackwerk» startet Joachim Rittmeyer im Zürcher Theater am Hechtplatz seine Schweiz-Tournee. Das überraschende Mehrpersonen-Solo ist ein Krisenphänomen und weitet das bekannte Altmänner-Bestiarium auf fiese Weise aus. 

Ein Mann und sein Vibrafon. In «Knackwerk» kommt es von Joachim Rittmeyer zünftig unter den Hammer.
Bild: Photographer: Martin Jenny

Mit einem verrutschen Schritt schlingert er auf die Bühne, der Mann, der das Herz der Krise unterm Strickpulli trägt: Fynöggelig und gschpässig, schüüch und ein bisschen verdreht. Joachim Rittmeyer ist der Meister des lautlosen Widerstands gegen den Zeitgeist von heute und hier. Im Jahr von Rasse, Gender und Approbation darf er sich als Gewinner fühlen. Er ist divers ohne Kalkül. Er vertritt eine Minderheit ohne mindere Gedanken.

Das Publikum amüsiert sich über Niveau, es hat seinen Narren gefressen an einem Garanten für Minderheitenunterhaltung in einer Gegenwart des Mehrheitsgeschmacks. Wer ihn kennt, liebt ihn. Wer ihn nicht kennt, nach über 50 Jahren noch immer nicht, der hat ihn nicht verdient.

Und für alle, die ihn am Mittwoch verpasst haben, als er im Theater am Hechtplatz in Zürich seine Schweizer Tournee begann: Für das neue Mehrpersonen-Solo mit dem lautmalerischen Titel «Knackwerk» ist kein Umweg zu weit. 2015 hiess sein Programm «Lauter Knistern», das aktuelle «Knackwerk» versteht sich als Teil 2, doch es ist auch ohne Genuss von Teil 1 ein solcher: genüsslich!

Einer aus vielen: Robert Walser, Fischli/Weiss und Roman Signer

Ein Schlingern, ein Stolpern, und da ist er, der Bedenkenträger auf den Brettern, auf welchen Kleinkunst Grosskunst ist. Und wie die Künstler Fischli/Weiss, die in ihren besten Jahren mit Bauchschinken und Kalbfleischwurst historisch-heimische Katastrophen nachstellten, stimuliert auch ihn offensichtlich eine Schweizer Eigenart ganz besonders: der Hang, alles kleinzureden, was den Verdacht von Grösse hat.

Rittmeyer macht das mit nichts als sich selbst als Spielmaterial. Das Vibrafon natürlich nicht mitgerechnet. Denn was dem Hohler Franz sein Cello, ist dem Rittmeyer Joachim sein Schlaginstrument: ein erweiterter Körperteil des Künstlers. Und ja, die Schweizer Kunst-Trias, unsere Sonderlinge des Sonderfalls – Robert Walser, Fischli/Weiss und Roman Signer –, sie sind mit auf der Bühne, wenn er es ist: Rittmeyers musikalische Objektkunst mit Performance-Zungenschlag nimmt Anleihe hier, persifliert dort – und ist doch immer unnachahmlich treu dem Werk gegenüber und auch seiner eigenen Person.

Rittmeyer ist wieder da. Er ist es in seinen altbekannten Figuren. Als Theo Metzler, der Senior-Rapper, der sich auf alles einen Reim machen muss. Nun sogar auf Bedienungsanleitungen, die er, warum nicht, vertont. Sein «Soundböxli», die Harmonika, stets am Anschlag. Der musikalische Ungar Jovan Nabo – «Das Vibraphon ist sehr beliebt für Feel-good-moments» – ist inzwischen selbst Chorleiter und verlangt von seinem Chor («Sängerbund Agglo») das Singen von medizinischen Beipackzetteln. Eine Carmina Burana fürs Chemiezeitalter sozusagen. Nabo und seine Sangesmenschen sind damit erfolgreich, man steht tatsächlich kurz vor der Konzertreife. Mit einem ungarischen Kinderpilzlied zeigt der beflissene Mann überdies, dass seine Talente vielschichtiger sind als die Rittmeyer-Getreuen je ahnten.

Brauchle geht fremden Menschen an die Steckdosen

Zögling Brauchle wiederum sorgt an diesem Abend für Höhepunkte. Zunächst scheint er lediglich für den Aufbau einer Kunstinstallation verantwortlich zu sein. Dabei wirkt er, als habe er während Corona offensichtlich an Denkfreude nichts hinzugewonnen. Dass er als Zugreisender das Ansinnen hegt, sämtliche elektronische Gadgets mitzunehmen und an den Steckdosen unentgeltlich aufzuladen, macht ihn zu einem von uns. Und ähnlich wie wir in den düsteren Monaten, die zurückliegen, hat auch er etwas für sich entdeckt. Hoffnung, einen «Kraftort» nämlich.

Was es mit diesem auf sich hat, wie Brauchle ihn findet und trotz grössten Kraftaufwands nicht mehr herausfindet aus ihm, wie er dabei auch noch versucht, den Menschen gefällig zu sein in seiner kräftemässigen Not – das birgt derart abgründiges Depressionspotenzial, dass man um jeden rüden Rapp von Theo Metzler froh ist. Und dass man erst wieder zu atmen wagt, wenn die gute Seele Brauchle an Leib und Seele gerettet scheint. Natürlich durch sich selbst.

Weihnachtsstimmung der höheren Art

Es ist eine grosse und dabei familiäre Rittmeyer-Gemeinde, die am Mittwoch den Ihren feiert und ihm eine gute Tournee wünscht. Und zu bejubeln gab es tatsächlich Bemerkenswertes: Das bekannte Altmänner-Bestiarium des Joachim Rittmeyer hat Zuwachs bekommen! Der Herr trägt den Namen Holz und ist der Erfinder von etwas, was einem Trennstab gleichkommt. Rittmeyers Erfolgsobjekt, der Trennstab auf dem Laufband im Supermarkt, hat mit diesem Programm einen Nachfolger bekommen: Das neuste Ding Marke Eigenbau ist eine – hochgetunte - Velo-Distanzkelle. Die Idee patentiert und den Vertrieb organisiert hat ein Pseudo-Unternehmer mit Zürcherischem Mundwerk und Geschäftsbeziehungen zu China. Ein Wirtschaftskrimi der fiesen Sorte!

Doch das Schönste kommt zum Schluss. Rittmeyer offeriert seinem Publikum eine Art Vorabweihnachtsfeier. Mit welchen Mitteln und Methoden er dies umsetzt? Hierzu keine weitere Silbe.

«Knackwerk», Theater am Hechtplatz Zürich, bis 11. Dezember .Tourneedaten www.joachimrittmeyer.ch

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