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Satire

Michael Elsener: «Etwas Mediengeileres als mich gibt es nicht»

Michael Elsener über mangelnde Transparenz in der Schweizer Presse und rhetorisch unbegabte Politiker.

Sie können Menschen perfekt parodieren, dafür müssen Sie sie genau beobachten. Nach einigen Minuten Smalltalk: Welche Marotten sind Ihnen an uns beiden aufgefallen?

Michael Elsener: Ich geniesse es, einfach mal abzuschalten. Deshalb habe ich gerade ein bisschen geschlampt und mich noch nicht auf Verhaltensmuster oder Ticks geachtet, tut mr leid.

Sie prüfen ein Gespräch also nicht automatisch auf Verwertbarkeit auf der Bühne?

Das nicht gerade, aber ich achte mich immer darauf, was sonst noch im Raum passiert. Mir ist zum Beispiel die Frau am Nebentisch aufgefallen, die schon seit einer Ewigkeit am Telefon hängt. Oder die beiden Männer in den karierten Hemden.

Parodien von Politikern sind seit je ein wichtiger Teil Ihres Repertoires. Im Wahlkampf jedoch hatte man das Gefühl, diese parodieren sich selber...

Als Kabarettist werde ich tatsächlich immer wieder von der Aktualität eingeholt. Im Frühling habe ich eine Nummer geschrieben, in der die SVP einen Song produziert, um neue Wähler zu gewinnen. Als das dann tatsächlich eintraf, war der Sketch nichts mehr wert. Zum Glück gibt es aber immer wieder Politiker, die uns Kabarettisten das Leben einfach machen. Solche Politiker sind meistens schlecht für den Fortschritt in unserem Land – aber halt gut für Pointen.

Sie parodieren zum Beispiel Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Was finden Sie lustig an ihm?

Wir alle wissen, dass er extrem langweilig spricht. Ich versuche dann, herauszufinden, was das typisch Langweilige daran ist, und arbeite das heraus: Am Anfang eines Satzes weiss Schneider-Ammann nicht genau, wo er am Schluss enden wird – und am Schluss hat er den Anfang vergessen. Ausserdem macht er sehr viele Pausen an Orten, wo man weder Pausen machen müsste noch sollte. Wenn ihm ein Wort nicht einfällt, dann führt er einfach seine Zunge zum Mundwinkel – wahlweise auf der linken oder rechten Seite.

Vielleicht je nach politischem Inhalt?

(Lacht.) Das müsste man mal untersuchen. Mich fasziniert es, dass es jemand, der rhetorisch unbegabt ist, so weit bringen kann. Die meisten hochrangigen Politiker verlieren heute nämlich über Medientrainings alle Ecken und Kanten. Deshalb halte ich stets Ausschau nach Politikern, die kein Medientraining absolviert haben, aber trotzdem bekannt sind.

Wie üben Sie eine Rolle ein?

Ich schaue mir sehr viele Videos dieser Person an und gebe mir auf diese Weise eine Überdosis von ihr. Denn wenn ich etwas zu häufig höre, dann nerve ich mich darüber und beginne, das Ganze zu parodieren. Das ist bei mir eine ganz natürliche Reaktion.

Oje, Sie hören sich einen Tag lang Reden von Schneider-Ammann an?

Bei ihm reichen ein paar Stunden für die Überdosis. Aber im Normalfall schon. So entstanden auch meine ersten Parodien: Das waren Lehrer und Verwandte, welche immer wieder das Gleiche erzählten.

Und dann schleifen Sie immer weiter an dieser Rolle?

Am Anfang kann ich meist nur ein einziges Wort oder einen knappen Satz imitieren. Auf dieser Grundlage baue ich auf. Ich lerne die Sprachmelodie und muss anschliessend herausfinden, welche Facetten einer Person ich überzeichnen und welche ich weglassen will. Und wenn ich es zur Karikatur gebracht habe, dann versuche ich, es so weit zu perfektionieren, dass ich mit dieser Figur auch improvisieren kann. In meinen Vorstellungen kann nämlich immer mal wieder etwas passieren, auf das ich reagieren will.

Eine ältere Frau läuft am Tisch vorbei, sieht Elsener, lacht und grüsst herzlich. Er lächelt und grüsst zurück.

Passiert Ihnen das oft?

Ja, und das gefällt mir auch an diesem Job. Die Leute lachen immer, wenn sie mich erkennen.

Dann sind Sie also auch ein bisschen mediengeil – passend zu Ihrem neuen Soloprogramm «Mediengeil»?

Ich bin auf Facebook und Twitter, gehe auf Promotour, gebe Interviews und verkaufe DVD von mir selbst. Etwas Mediengeileres als mich gibt es nicht!

Wieso dreht sich in Ihrem neuen Programm alles um Medien?

Einerseits sind wir extrem geil auf Medien, andererseits sind die Medien extrem geil auf uns. Noch nie waren wir so vernetzt wie heute. Das Thema fand ich deshalb absolut passend.

In einer Nummer gehen Sie hart ins Gericht mit der starken Stellung des Medienkonzerns Ringier.

Die Medienkonzentration beunruhigt mich. Konzerne wie Ringier vereinen heute immer mehr Medien unter nur einem Dach. Der Bürger hat dann zwar das Gefühl, er informiere sich breit, faktisch aber liest er immer dasselbe. Das führt zu immer weniger Meinungsvielfalt und immer weniger Transparenz. In Zukunft will ich bei meinen Auftritten noch mehr solche Nummern einbauen und gewisse Mechanismen anprangern.

Warum sind die meisten Menschen gerne in den Medien?

Es hat ja immer etwas mit Selbstdarstellung zu tun, ist teilweise auch Imagepflege. Ich werde häufig von Firmen angefragt, ob ich ein kurzes Video für sie drehen könne – sie haben die Hoffnung, dass sich dieses dann rasch im Netz verbreitet. Irgendjemand hat nämlich mal gesagt, dass Clicks und Views die neuen Währungen im Internet seien. Das verstehe ich nicht, denn auch wenn sich Tausende den Clip anschauen sollten, habe ich damit noch keinen Rappen für die Produktion verdient.

Aber verpassen Sie nicht etwas? Jetzt, wo Facebook-Stars wie Bendrit Bajra über die sozialen Medien grosse Erfolge feiern, könnten sie Ihnen nicht den Rang ablaufen?

Es sind zwei total verschiedene Disziplinen. Jemanden dazu zu bringen, ein Video im Internet anzuschauen, ist eine Leistung. Ich aber will die Leute dazu bewegen, dass sie Geld in die Hand nehmen, ihren Terminkalender umstellen, mit Freunden abmachen, ins Auto steigen, in meine Vorstellung kommen, danach spät ins Bett kommen und am nächsten Morgen vielleicht noch müde ins Geschäft müssen. Das ist alles total analog. Und deshalb verneige ich mich auch vor dem Publikum.

Sie sind 30 und damit knapp ein «Digital Native». Wie nutzen Sie die modernen Technologien?

Mein Smartphone bleibt jeweils bis um etwa 13.30 Uhr abgeschaltet ...

...weil Sie erst dann aufstehen?

Nein, weil ich vorher Texte schreibe, für Aufführungen probe, Ideen entwickle. Ich muss mich also konzentrieren. Sobald ich das Handy einschalte, wollen alle etwas von mir. Der Tag ist dann gelaufen.

Warum sind Sie nicht Medienschaffender?

Früher habe ich als Journalist gearbeitet, habe in Zug über Kultur und Kantonsrat geschrieben, danach für SRF im Regionaljournal berichtet. Irgendwann liessen sich Studium, Journalismus, Bühne, Band und Nebenjob einfach nicht mehr vereinen, ich musste einen Fokus setzen. Das Cabaret ist meine grosse Leidenschaft. Mein Ziel ist es ja sowieso, Journalismus und Cabaret miteinander zu kombinieren. Wenn ich das schaffe, dann kann ich Menschen auf humorvolle und intelligente Art informieren.

Was tun Sie, wenn bei Auftritten der Funke mal nicht rüberspringt?

Dann probiere ich verschiedene Dinge aus. Bei einer Versammlung von 200 Informatikern hatte ich während der ersten zehn Minuten keinen Lacher. Die einzigen emotionalen Regungen, die vom Publikum rüberkamen, waren Einsen und Nullen. Da hat nur etwas funktioniert: eine klassische Publikumsbeleidigung. Also habe ich sie ins Kreuzfeuer genommen und ihnen fadengrad erklärt, was ich eigentlich von ihrer Emotionslosigkeit halte – nämlich gar nichts. Das hat dann wunderbar geklappt.

Ist das Erfahrungssache?

Natürlich. Wenn ich vor einer bestimmten Zielgruppe auftrete, dann versuche ich jeweils, mich im Voraus in diese Leute hineinzudenken, um sie möglichst gut abholen zu können. Aber es kann natürlich auch immer sein, dass ich sie falsch einschätze oder dass etwas Unvorhergesehenes passiert. An einem Weihnachtsessen verkündete der Firmenchef direkt vor meinem Auftritt, dass im kommenden Jahr ein Drittel des Personals entlassen werde. Da betrat ich die Bühne und sagte zum Publikum: «Ich verstehe eure Situation und hoffe, dass ihr nächstes Jahr bei einem besseren Chef arbeiten könnt.» Dann verliess ich den Saal und verzichtete auf meine Gage.

Dramatisch! Was passiert sonst so alles während Ihrer Aufführungen?

Einmal spielte ich in einer Mehrzweckhalle, und während der Vorstellung krachte ein Stuhl zusammen. Es hat sich dann herausgestellt, dass darauf ein bekannter Lokalpolitiker sass. Und weil ich als Vorbereitung die Regionalzeitung gelesen hatte, wusste ich, dass er einige Wochen zuvor gegen Renovationsarbeiten in dieser Mehrzweckhalle gestimmt hatte. Der Gag des Abends!

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