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Kino

«Les passagers de la nuit» entführt uns schwelgerisch in das Paris der frühen 80er-Jahre

Mit einer zäh-zerbrechlichem Charlotte Gainsbourg in der Hauptrolle lässt die Familienchronik ein Jahrzehnt wieder aufleben und schärft den Blick für das Miteinander.

«Les passagers de la nuit» ist eine Familienchronik, dessen Stimmungsbilder einen noch lange begleiten.
Bild: Bild: PD

Es ist ein schwelgerischer Sog, den der neue Film mit Charlotte Gainsbourg vom französischen Regisseur Mikhaël Hers erzeugt. «Les passagers de la nuit» entführt uns in das Paris der frühen 80er-Jahre. Getragen von traumwandlerischer Musik und dem verbindenden Element der Dunkelheit, verortet Hers seine Protagonisten kurz nostalgisch-euphorisch in der Nacht von François Mitterrand Wahlsieg 1981 – um dann sogleich drei Jahre weiterzuziehen. In seiner Erzählung manifestiert sich das Leben aus den gemeinschaftsstiftenden Momenten, die sich aber keiner zeitlichen Stringenz unterordnen lassen.

Umso einschneidender wirkt daraufhin die erste Dialogszene: Im offenen Wohnzimmer über der Stadt, mit Blick auf die Hochhäuser des 15. Arrondissements trifft die am Boden zerstörte Mutter Elisabeth (Charlotte Gainsbourg) auf ihre zwei Kinder im Teenageralter, auch der Grossvater ist da. Nachdem ihr Mann sie verlassen hat, scheint niemand ihr zuzutrauen, ein eigenständiges Leben führen zu können. Selbstironisch stellt Elisabeth fest, sie könne aufgrund der fehlenden Berufserfahrung ja ihre ausserordentliche «Sensibilität» in den Lebenslauf schreiben.

Überwältigende Authentizität

Diese komplexe Empfindsamkeit teilt sie mit ihrem Sohn Matthias (Quito Rayon Richter). Der Oberstufenschüler weiss nicht so recht, wohin im Leben. Mit ihm entwirft der Regisseur eine Figur, die ihm erlaubt, eine Adoleszenz in den 80ern zu imaginieren. Sein gesamtes Set (vom Bühnenbild bis hin zu den kleinsten Requisiten) ist dabei von überwältigender Authentizität. Ein Teil der Aussenaufnahmen wurden auf 35 mm gedreht und zusätzlich verdichten Archivaufnahmen von Paris die Atmosphäre. In körnigen Bildern, Pullovern in Erdtönen und in hellen Jeans durchleben Mutter und Sohn eine Zeit der schleichenden Transformation.

Geradezu beiläufig findet Elisabeth einen Job als Telefonistin für eine nächtliche Radiosendung, in der Freiwillige im Gespräch mit der Moderatorin von ihren Leben erzählen. Hers benennt die Sendung nach seinem Film, liess sich aber vom damaligen Format «Les choses de la nuit» des landesweiten Radiosenders France Inter inspirieren. In einer Folge lernt Elisabeth eine obdachlose junge Frau kennen und lädt sie spontan ein, eine Zeit bei ihnen zu wohnen. Mit Talulah (Noée Abita) ist die Schicksalsgemeinschaft komplett. Matthias und seine Schwester Judith (Megan Northam) nehmen Talulah ebenso in die Familie auf wie Elisabeth, die durch ihre Hilfsbereitschaft selber wieder zu Kräften findet.

Raum für Weiterentwicklungen

Es kommt zur grossen Liebe und zur wiedergefundenen Intimität, zu Erfolg, Absturz, Auszug und Neuanfang. Doch Hers behält eine Leichtigkeit bei, als seien Konflikte nur dazu da, um Raum für Weiterentwicklung zu schaffen. Dem Schicksal wird nicht fatalistisch, sondern versöhnlich begegnet. Das Schauspiel der wunderbar zäh-zerbrechlichen Gainsbourg, wie auch das von Noée Abita – dessen Figur als eine Hommage an die zu früh verstorbene Schauspielern Pascale Ogier geschrieben ist – und Quito Rayon Richter baut ganz heimlich eine Nähe auf; man folgt ihnen gerne durch die Zeit.

Und wie der Titel einen dann endlich begreifen lässt, wird man zu Mitreisenden auf ihrem Weg durch die Nacht. «Les passagers de la nuit» ist eine Familienchronik, dessen Stimmungsbilder einen noch lange begleiten. Ebenso wie Joe Dassins wunderschöner und geschickt eingesetzter Chanson «Et si tu n’existais pas».

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