notifications
Analyse

Karikaturen-Streit: Was Slobodan Milošević besser macht als Jeff Bezos

Ann Telnaes war Karikaturistin bei der «Washington Post», bis sie ihren Chef Jeff Bezos gezeichnet hat. Warum mächtige Männer so Mühe haben mit Karikaturen.
Ann Telnaes hat einen scharfen Bildwitz und man muss über ihre Zeichnungen lachen. Zumindest gilt das für die Demokraten.
Bild: www.imago-images.de

«Ich will bloss meinen Job machen», sagt sie gegen Ende des Gesprächs vor vollen Rängen in Genf. Aber ihren Job konnte die Karikaturistin nicht mehr ausüben, jedenfalls nicht so, wie sie ihn gemacht hatte. Ann Telnaes hat 24 Jahre für die «Washington Post» gezeichnet und für ihre Arbeit zweimal den Pulitzerpreis bekommen, die höchste journalistische Auszeichnung der USA.

Es sei immer wieder vorgekommen, sagte die 64-Jährige, die heute Mittwoch in Luzern am Swiss Media Forum auftreten wird, dass Leute aus der Redaktion Änderungen verlangt hätten, und sie habe keine Probleme damit gehabt. Aber ein barsches «Nein» komme für sie der Zensur gleich.

Mit ihr sind viele namhafte Autorinnen gegangen, und es gab mehrere offene Briefe, die Jeff Bezos, Besitzer der «Post», an sein Eintrittsversprechen erinnert haben: dass er nämlich die publizistische Unabhängigkeit der Zeitung wahren würde. Im Gegenteil: Mehrmals griff Jeff Bezos in den journalistischen Kurs der «Washington Post» ein. Er hinderte die Zeitung zum Beispiel daran, sich für Kamala Harris als demokratische Präsidialkandidatin auszusprechen.

In der umstrittenen Karikatur, die im Januar erschien, zeigt die Zeichnerin Tech-Milliardäre Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und andere, die vor eine steinerne Statue von Donald Trump knien und ihm Geldsäcke darbieten wie bei einem Opfer-Ritual. Auch eine Disney-Figur liegt zu Boden. Die einzige direkte Folge des Verbots: Jetzt haben alle die Karikatur gesehen. Oder erst von ihr erfahren.

Ein Abend mit Ann Telnaes

Ann Telnaes lässt sich in Genf vom westschweizerischen Kollegen Patrick Chappatte interviewen, der sie im Namen der «Fondation Freedom Cartoons» eingeladen hat. Die Fondation spielt zu Beginn des Abends einen Film ab, der die Zeichnerin bei ihrer Arbeit zeigt, sie hat einen eleganten Stil. Und obwohl sie zurückhaltend und feingliedrig wirkt, sucht sie ihre Pointen im Übermässigen.

Donald Trump ist nie anders zu sehen denn als Wanst, als gefrässiger Riese oder als ein gigantisches Fischmaul, auf das ein verängstigter Abraham Lincoln zuschwimmt. Man mag ihr vorwerfen, dass sie mit ihren Übertreibungen, nun, übertrieb. Aber sie hat einen scharfen Bildwitz, und man muss über ihre Zeichnungen lachen. Zumindest gilt das für die Demokraten.

Es fehlen dem Film, in dem alle druckreif reden und attraktiv formulieren wie immer in Amerika, jegliche kritische Stimmen an die Adresse von Trumps Gegnern oder jene Stimmen, die Trumps Vorgehen erklären würden. Stattdessen wird ein ums andere Mal aufgezeigt, dass das Wahlsystem die Armen und Afroamerikaner benachteiligt, dass die Verfassung veraltet und fast nicht zu reformieren ist und dass Amerika auf eine Plutokratie zusteuert, in der die Reichen das Sagen haben.

Die Angst vor dem Ausgelachtwerden

Dennoch fasziniert am meisten, dass der fünftreichste Mann der Welt in seiner Zeitung Kaderleute beschäftigt, die sich dermassen über eine Karikatur aufregen, dass sie deren Publikation verbieten lassen. Dass Tech-Unternehmer wie Zuckerberg oder Bezos den Wahlkampf von Donald Trump mit hohen Beträgen unterstützen, ist ja bekannt.

Aber um ein dermassen kontraproduktives Verhalten zu verstehen, wie es die ehemalige Karikaturistin der «Post» widerfuhr, muss man die Psychologie der Macht verstehen. Mächtige Männer – Frauen sind nicht anders, aber seltener – sind davon überzeugt, ihre Macht der eigenen Brillanz zu verdanken und nicht einer Kombination aus Opportunismus, Glück und Korruption. Und je mächtiger solche Mächtigen werden, desto mehr umgeben sie sich mit Schmeichlern und desto stärker verlieren sie auch den Kontakt zur Normalität.

Je mehr Macht zum Beispiel Politiker bekommen, desto mehr haben sie Angst, ausgelacht zu werden. Sie halten es nicht aus, weil es sie beim Sich-wichtig-Fühlen stört. Noch weniger können sich Diktatoren Humor leisten, weil der zum Relativieren neigt, also infrage stellt, was viele Herrscher für sich beanspruchen: den Anspruch auf Wahrheit, den Ausschluss von Widerspruch, die Verehrung aus Prinzip. Humorlosigkeit gehört bei Diktatoren zum Jobprofil.

Und da die Karikatur das Offensichtliche zuerst erkennt und mächtige Männer eitel sind, reagieren sie besonders gekränkt auf solche Zeichnungen. Auch demokratisch gewählte Präsidenten, die etwas von freier Presse verstehen sollten, reagieren mitunter unwirsch. Der damalige «Le Monde»-Chefredaktor Eric Fottorino staunte, als sein Telefon klingelte und ein Beamter ihm erklärte, «je vous passe le Président». Dabei hatte Nicolas Sarkozy nichts anderes auszudrücken als seinen Ärger, den er über die Zeichnungen von Plantu empfand, dem Hauskarikaturisten von «Le Monde». Plantu war selig.

Haft, Folter, Berufsverbot

Nach dem Attentat wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen beschloss Plantu, mit Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt über ihre Erfahrungen zu reden. Dabei wurde ihm bald klar, dass es zwischen Demokratien und Diktaturen noch grosse Unterschiede gibt. In anderen Ländern rief der Präsident nicht beim Karikaturisten an, sondern es kam die Polizei.

Es folgten Verurteilung, Berufsverbot, Gefängnisstrafen, Folter. Bei den ersten freien Wahlen in Algerien kam die Polizei schon am ersten Abend auf die Redaktion der grössten Zeitung und vernichtete die gesamte Auflage. Die Redaktion war auf die Idee gekommen, eine Zeichnung des neuen Präsidenten anfertigen zu lassen. Andere Karikaturisten wie Akran Raslan starben in Syrien unter der Folter.

Den überraschendsten Anruf bekam Michael Slatkowsky, ein russischer Karikaturist mit jahrzehntelangem Berufsverbot. Am Telefon meldete sich ein hoher Beamter des KGB und bestellte Zeichnungen von ihm. Damals leitete Michail Gorbatschow die Sowjetunion, und Slatkowsky glaubte, dass das mit Glasnost und Perestroika stimme, also wirklich. An welche Zeitung er die Zeichnungen schicken sollte, fragte er. Die seien nicht für Russland, sagte der KGB-Mann: «Die sind nur für den Westen.»

Am besten machte es ausgerechnet Slobodan Milošević, der ehemalige Präsident von Serbien. Der Karikaturist Corax attackierte die serbische Kriegsregierung ohne Unterlass und wurde in seiner Heimat gefeiert wie ein Held. Frage an Patrick Chappatte: Wie hatte Milošević auf die Zeichnungen von Corax reagiert? «Er hat ihn gewähren lassen. Denn er merkte zu Recht, dass die Zeichnungen wie ein Ventil funktionierten. Und immer wenn Leute aus dem Westen kamen, konnte er ihnen seine Pressefreiheit vorführen.»

Ann Telnaes tritt am Mittwoch, 15. Mai 2025, am Swiss Media Forum in Luzern auf.

Kommentare (0)