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Sprayer

Just writing my name - auf den Spuren der Basler Spraykunst

Ob der Sprayereien entlang der Basler Bahnhof-Ausfahrt scheiden sich die Geister. Ein Plädoyer für eine Kunstform, welche die Anonymität bevorzugt.

Wir fahren in den Basler Bahnhof SBB ein oder in die weite Welt hinaus und werden von Sprayereien auf Wänden, Gebäuden und Eisenbahnwaggons begleitet. Soll das Kunst sein? Natürlich gehen die Meinungen darüber auseinander, bei den Laien wie den Experten. Die einen sehen darin Schmierereien, und wünschen sich ihre Urheber vor ein Gericht gestellt. Andere machen Unterschiede zwischen Sprayereien und Tags, exzellenten und weniger gelungenen Werken. Auch als Kunsthistoriker bin ich unentschieden; grundsätzlich akzeptiere ich jede Kunstform. Wenn sie zuungunsten von anderen Kunstwerken wie Denkmälern und historischen Gebäuden geschieht, fehlt mir hin und wieder das Verständnis.

Eine eigene Welt

Mit den Sprayern selbst über ihre Tätigkeit zu sprechen, ist kein einfaches Unterfangen. Ihnen nachts abzupassen, um mit ihnen zu sprechen, ist sinnlos, da sich gute Absichten im Dunkeln nicht erkennen lassen. Letzthin sah ich auf der Strasse einen jungen Mann, auf seinem T-Shirt war eine Spraydose abgebildet und darüber stand «Just writing my name». Ein Sprayer? Ich hatte das Glück, einige Personen zu treffen, die mich in ihre Arbeit einweihten, ihre Anonymität wird natürlich respektiert. Was sie mir erzählten, klang wie die Initiation in einen geheimen Zirkel.

Basel galt lange als das Zentrum der Sprayerszene. In Basel hat die Szene in den frühen 1990er-Jahren schnell Fuss gefasst, man hat international vom «Basel-Style» gesprochen, bis heute spricht man bei der Bahnhofausfahrt von der «Basel-Line». Bald hatten zahlreiche Städte einen eigenen Stil und man erkannte daran, von wo jemand kam.

Einige Galeristen haben Anfang des neuen Jahrtausends ein Geschäft in dieser neuen Kunstform gewittert und versucht, Graffitis in den Kunstkontext einzuschleusen. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Einige Künstler haben zwar viel Geld verdient, von der Szene wurde ihr Agieren jedoch abgelehnt. Anbiederungsversuche an Institutionen wie Museen und Galerien oder staatliche Institutionen, wie beispielsweise bei der Bemalung der Trafostationen der Industriellen Werke Basel, werden mit Argwohn beobachtet und kaum goutiert. Ein Sprayer agiert unabhängig, subversiv und anarchisch.

Es wird gemalt

In der Szene wird nicht von «sprayen» gesprochen, es wird «gemalt». Und es wird auch nicht ausschliesslich gemalt, ein spezifisches Vokabular erklärt die unterschiedlichen Vorgehensweisen: Mit «piece» wird eine Malerei auf der Wand, mit «panel», eine Malerei auf einem Eisenbahnwaggon bezeichnet. Von «bombing» spricht man bei Malereien, die während maximal 15 Minuten im Stadtzentrum angebracht wird. Solche Arbeiten entstehen nachts und bestehen meist aus einer silbrigen und einer schwarzen Farbe, die eine optimale Abdeckung des Untergrundes ermöglichen und einen hohen Kontrast erzeugen.

Überhaupt lebt diese Malerei von Kontrasten und Konturen. Wer nachts und in der Finsternis arbeitet, ist darauf angewiesen, da sich Farben im Dunkeln kaum unterscheiden lassen. Zuerst werden die Konturen gesetzt, dann die Binnenformen ausgemalt und zum Schluss die Glanzlichter gesetzt. Das Hauptthema der Malereien ist der eigene Name, der mit einem bestimmten Stil verbunden ist und der sich von der Konkurrenz deutlich unterscheidet. Da setzt auch die Kritik ein, im Vergleich zur Kunst würden ausschliesslich Namen gesprayt und nicht selten hört man, das erinnere an das Pinkeln von Hunden. Auch bei Künstlern schauen wir oft auf die Unterschrift und einen spezifischen Stil. Zudem erfordert es ein geübtes Auge, um die Schriften tatsächlich entziffern zu können, da die Buchstaben oft ineinander übergehen und auch Negativformen bedeutend sind. Wie sagte es Sigi von Koeding: «Handschrift ist für mich Ausdruck von Persönlichkeit. Buchstaben dienen deshalb nicht nur als Kommunikation eines Inhaltes, sondern spiegeln die Seele eines jeden Schreibers. Und das ist es, was ich tue, ich ‹schreibe›. Mein künstlerischer Ursprung liegt im ‹Writing›, in unserer Gesellschaft unter dem Begriff ‹Graffiti› bekannt.»

Auch die Namen von Freunden und Bekannten werden gemalt. Gründe dafür sind Geburtstage, Heirat, Wegzug oder gar eine Hommage an einen Ehemaligen. So geschehen in diesem Jahr, als sich die Szene zusammentat und in Erinnerung an Sigi von Koeding, alias Dare, der im März 2010 starb, eine grosse Wandarbeit realisierte. Von Koeding wird von der Szene heute nach wie vor verehrt. «085 Dare Orange» heisst denn auch der nach ihm benannte Farbton eines deutschen Herstellers von Spraydosen. Wo ein Bedürfnis, da bildet sich ein Markt und auch entsprechende Produzenten.

Sehen und gesehen werden

Wer malt, will gesehen werden. Um einen grossen Wahrnehmungsradius zu erreichen, malen sie auf Eisenbahnwaggons, da diese oft in Bewegung sind. Und man zieht die exponierten Stellen den Nebenschauplätzen vor. Obwohl die vorbeifahrenden Züge nicht ungefährlich sind, sind die Bahntrassees nach wie vor die beliebtesten Stellen. Die Szene weiss zudem, wo Zöllner mit Nachtsichtgeräten lauern und wo die Flucht vor der Polizei aussichtslos ist.

Mein Informant bestätigt, dass es sich bei der Einfahrt in den Basler Bahnhof um das Filetstück handelt. Wer hier malen will, muss sich einige Jahre lang bewährt haben. Wer unbedarft hier malt, muss nicht erstaunt sein, wenn seine Arbeit am Tag darauf wieder entfernt ist. Am Filetstück herrscht ein knallharter Konkurrenzkampf, das wissen auch die SBB. Neuerdings versuchen sie, die Malereien durch Pflanzenbewuchs der Wände zu verhindern, ein Eingriff den die Szene gezielt bekämpft, in dem sie darüber malt oder die Pflanzen wieder entfernt. Einzige Möglichkeit, das «Problem» zu entschärfen, wäre die Legalisierung solcher Aktivitäten. Dazu bedarf es aber der Bereitschaft, den eigenen Kunstbegriff zu erweitern und mit der Spraykunst kein Feinbild aufzubauen.

Bibliothek für Gestaltung Basel Spalenvorstadt 2: im Lesesaal gibt es bis 12. Dezember eine spezielle Bücherwand mit Literatur zu Spraykunst und Street-Art.

Bilder rund um die Basler Spraykunst finden Sie auch im Blog Wandkunst Basel.

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