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Punk-Urgestein

Iggy Pop bringt zum Jahresbeginn ein neues Album: Darauf mimt er noch immer den Underdog und unterhält prächtig

Er fährt Rolls Royce und schimpft in seinen neuen, erfrischend räudigen Songs auf die «Pimmelköppe», die ihn nerven. Das US-amerikanische Punk-Urgestein Iggy Pop unterhält auf seinem neuen Album «Every Loser», das am 6. Januar veröffentlicht wird, fundamental prächtig.

75 Jahre alt und kein bisschen greisenweise: Iggy Pop.
Bild: Getty

«Ich will das Schicksal nicht heraufbeschwören», verkündet Iggy Pop und lacht sein sonores wie freundliches, stets leicht augenzwinkernd zu lesendes Lachen. Schließlich könne er sich ja ganz glücklich schätzen, dass er nach den Drogenexzessen sowie einem grundlegend ausufernden Lebenswandel in den Siebzigern überhaupt noch unter den Diesseitigen sei, da müsse man nicht auch noch an einer Aktivität festhalten, die man zwar quasi erfunden, jedenfalls popularisiert hat, die aber doch vorzugsweise dem Jungvolk zu überlassen sei.

«Ich habe mich vom Stagediven verabschiedet», erklärt Pop also nun gegenüber dem britischen Onlinemusikmagazin «NME». «Ich mische mich bei Shows immer noch gern unter die Leute, aber das mit dem Springen lasse ich sein. Ich bin ja nicht bescheuert. Das ist einfach zu gefährlich für meinen gebrechlicher werdenden Körper.» Iggy leidet an Skoliose, einer Wirbelsäulenerkrankung, auch hüftseitig zwicke es zunehmend. «Ich bin ja froh, dass ich überhaupt noch laufen kann.»

75 Jahre hat Iggy mittlerweile auf dem Buckel. Wenn er – bevorzugt mit freiem Oberkörper, in Ausnahmefällen mal auch untenrum unbekleidet – über die Bühne springt, turnt und derwischt, merkt man dem in Detroit geborenen und mit seiner Band The Stooges alsbald zum Kult-Punk-Star avancierten Pop, bürgerlich James Newell Osterberg Jr., das Alter freilich nur an, wenn man ganz nah heran zoomt an diese legendär gegerbte Iggy-Haut. Immerhin lebt der Mann längst weitgehend befreit von Ungesundem. Seit fast 25 Jahren residiert Pop mit seiner Frau Nina Alu in Coconut Grove, einem Vorort von Miami, geht viel schwimmen «an meinem Geheimstrand, der bei Touristen vollkommen unbekannt ist», und ein bescheidenes Domizil in der Karibik, in dem er auch so einige der neuen Songs entwarf, nennt er ebenfalls sein Eigen.

Schon lange glücklich verheiratet: Iggy Pop mit seiner Frau Nina Alu an einem Benefizkonzert.

Nachdem er früh harte Jahre durchmachte, immerzu pleite war und mitunter mit mehr als nur einem Bein auf der Straße lebte, liegt Iggy, der Mitte der Siebziger mit seinem Berlin-Buddy David Bowie zusammen in und um Schöneberg das Heroin auszuschleichen versuchte und bei dieser Gelegenheit Großtaten wie die Alben «Lust For Life» und «The Idiot» zustande brachte, heute genüsslich auf der Sonnenseite des Lebens. Allerspätestens seit dem mit Josh Homme eingespielten Erfolgsalbum «Post Pop Depression» (2016) kommt richtig Geld rein, auch die Werbung für die Deutsche Bahn vor einigen Jahren war nicht übel vergütet.

«Finanziell bin ich im Plus», sagt Iggy trocken und entspannt. Als eine der größten noch lebenden Rock- und Pop-Ikonen überhaupt kennt er heute seinen Marktwert und führt ein angenehmes Leben, in dem ihn sein Assistent gern im Phantom Drophead Coupé Baujahr 2016, einem besonders großen und stattlichen Rolls Royce, durch den Sunshine State kutschiert.

Das besonders Bezirzende an «Every Loser», Iggys neuem und neunzehnten Solostudioalbum, freilich ist nun der Fakt, dass man ihm die späte Ankunft im Establishment zu keiner Sekunde anhört. Schon lange nicht mehr - und schon gar nicht auf der vorherigen, geradezu schöngeistigen Liederlyrikkollektion «Free» - klang Pop auch nur ansatzweise so renitent, so schrabbelig, so wunderbar wüst wie auf den elf neuen Liedern (von denen zwei kurze Spoken-Word-Skizzen sind). Es geht ja gleich gut los mit einem herzlich hingerotzten Schwanzvergleich in «Frenzy», der ersten, kolossal knackpunkigen, Single.

«Got a dick and 2 balls, that’s more than you all», fuchsteufelt Iggy zu Beginn des Songs, in dessen Text er eine Liebesraserei und die Auseinandersetzung mit irgendwelchen anderen Pimmel-Trotteln besingt. Auch sonst ist er auf «Every Loser» nur selten sanft. Das sehr grimmige «Neo Punk» pfeffert blauhaarige Möchtegern-Punk-Poprocker, die weder singen können noch ohne Viagra einen hochkriegen, in die imaginäre Tonne, das gediegen-gitarrenstark rockende «Comments», aus dem die spöttische Quasi-Albumtitelzeile «Every loser needs a bit of joy» stammt, ist Ausdruck unverhohlener Verachtung gegenüber sogenannter Influencer*innen wie auch jenen hasserfüllten Internettrollen, mit denen auch ein Iggy Pop sich gelegentlich herumzuschlage habe.

«My Animus Interlude» ist eine weitere Motzattacke gegen die, so Iggy, «verdammten Schwänze, die nur auf den Ruhm stehen». An «The Passenger» erinnert «The News For Andy», ruppig und gänzlich ungekämmt ist die Wucht von «Modern Day Rip Off». während sich Iggy in «Morning Show» vier in Melancholie getünchte Minuten gönnt. Das musikalisch relativ ruhige, «New Atlantis» schließlich stellt einen Abgesang auf das – menschlich wie klimakatastrophentechnisch – dem Untergang entgegentaumelnde Miami („lying low, sinking slow“) dar, bevor es zum Schluss mit «The Regency» üppig und geradezu episch wird.

Beeindruckend ist auch die Gästeliste auf «Every Loser». Mit von der Partie ist unter anderem Chad Smith, der Schlagzeuger der Red Hot Chili Peppers, mit denen Iggy Pop im nächsten Sommer ein mutmaßlich epochales Deutschlandkonzert auf dem Mannheimer Maimarkt-Gelände (und ein weiteres im Wiener Ernst-Happel-Stadion) spielen wird. Auch Chili-Peppers-Ex-Gitarrist Josh Klinghoffer macht mit, dazu Travis Barker von blink 182, Dave Navarro (Jane’s Addiction) Stone Gossard von Pearl Jam und der im März verstorbene Foo-Fighters-Drummer Taylor Hawkins. Zusammengebracht hat die Rock-Allstarriege auf «Every Loser» der immer noch junge Superproduzent Andrew Watt, der schon bei den jüngsten Ozzy-Osbourne-Alben dafür Sorge trug, dass ein Altmeister knackig-knusprig kling. Kennengelernt haben sich Watt und Pop bei der Arbeit an einem gemeinsamen Song mit Morrissey, der noch unveröffentlicht ist.

Lieb, luschig oder gar greisenweise ist er also nicht geworden, der Godfather of Punk. Zumindest nicht auf Platte, denn ansonsten ist Iggy Pop ein wirklich ganz, ganz herzlicher Kerl, der auch trotz des späten Karriere-Booms nicht auszuticken gedenkt. «Ich war oben, ich war ganz tief unten in der Gosse, und ich habe bis heute diesen Alptraum, dass ich barfuß durch eine mir fremde Stadt laufe mit nur einem einzigen, zerknitterten Dollarschein in der Tasche. Was immer auch geschehen ist oder noch geschehen wird – ich verspreche, ich werde niemals aufhören, mich als der Underdog zu fühlen, der ich bin.»

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