Sie haben sechs Bücher auf Hochdeutsch geschrieben. Warum nun dieses Mundartbuch «No alles gliich wie morn», welches vor knapp zwei Monaten erschien?
Andreas Neeser: Die Sprache meiner Kindheit drängt sich in mir seit etwa zwei Jahren schleichend wieder auf. Bis vor kurzem hätte ich mir nicht vorstellen können, einen literarischen Text auf Mundart zu schreiben. Ich hatte nichts auf Mundart zu sagen. Vielleicht hat diese intensive Beschäftigung mit meiner Ursprache mit dem Alter zu tun. Seit ich Kind war, zog ich immer weiter weg aus dem Ruedertal: Bezirksschule in Schöftland, Kantonsschule in Aarau, Uni in Zürich, Auslandsemester in England. Möglicherweise wird man zu den Wurzeln zurückgezogen, wenn man lange genug weg war. Ich habe sozusagen meine Sprach-Pubertät hinter mir, habe einen neuen Zugang zur Mundart und zur Sprache meiner Kindheit gefunden.
Benutzen Sie die Wörter, die in Ihrem Buch vorkommen, auch im Alltag?
Neeser: Nur einen Teil. Viele andere nicht, weil sie nicht mehr Teil der Alltagssprache sind und kaum noch verstanden werden. Aber in Wörterbüchern recherchiert habe ich nicht. Die Sprache der Kindheit verlernt man eben nicht; wenn man bereit ist, findet die Sprache von allein zu einem zurück.
Sie sind also in Gedanken ins Ruedertal zurückgekehrt.
Neeser: Ja, ich bin gefühlsmässig in die Vergangenheit eingetaucht und habe das Alphabet meiner Kindheit neu gelernt.
Die wichtigsten Werke
Die wichtigsten Werke aargauer Mundartliteratur:
«S'Juramareili» Paul Haller (1868-1942), Rein bei Brugg, Baden-Verlag
«Ifäll und Usfäll» Josef Villiger (1910-1992), Freiamt, Baden-Verlag
«No alles gliich wie morn» Andreas Neeser (1964), Suhr, Zytglogge-Verlag
«Ebigs Für» Sophie Haemmerli-Marti (1868-1942) Othmarsingen, Baden-Verlag
Also kann man nur über Urchiges auf Mundart schreiben.
Neeser: Die Mundart hat nun mal bäuerische Wurzeln. Im Bereich Landwirtschaft, Handwerk, häusliches Leben und alltägliche Verrichtungen ist das Vokabular immens gross. - Aber auch für die grossen Themen wie Liebe und Tod eignet sich die Mundart mindestens so gut wie die Standardsprache.
Soll man Mundart überhaupt aufschreiben?
Neeser: Diese Frage stellt sich für mich als Schriftsteller nicht. Es hat sich einfach aufgedrängt, es zu tun, weil ich etwas zu sagen hatte. Es ist wunderbar, für Stoffe eine Sprache zu finden. Wieso soll diese Sprache nicht die Mundart sein dürfen?
Aber wie soll man schreiben?
Neeser: Das Verschriftlichen war eine Herausforderung, weil es keine verbindlichen Rechtschreibregeln für die Aargauer Mundart gibt. Und dann fehlt uns einfach grundsätzlich die Vertrautheit mit dem Schriftbild von Mundartwörtern. Gewisse Lautungen können zudem nicht eindeutig wiedergegeben werden, die verschiedenen o-Laute etwa in «hoogge» bzw. «Moore». Man muss immer an die Leserschaft denken und es ihr möglichst einfach machen. Ohne Konzessionen wie etwa die Anlehnung an das vertraute hochdeutsche Schriftbild geht es nicht.
Ein Stück Originalität ging also zugunsten der Leserlichkeit verloren.
Neeser: Ein wirklicher Verlust an sprachlicher Authentizität ist das nicht. Es ist so höchstens weniger exotisch. Aber ich habe nicht Mundart geschrieben, um möglichst exotisch zu sein. Mir war es wichtig, ein möglichst konsistentes orthografisches System zu entwickeln. Für den Hausgebrauch aber darf und soll jeder schreiben, wie ihm eben der Schnabel gewachsen ist.
Finden Sie, die Mundart wird vernachlässigt?
Neeser: Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt eine Mundartwelle, die seit Jahren anhält; in den Privatradios, im Fernsehen - selbst im Newsbereich. Die Jungen schreiben sowieso mit grosser Selbstverständlichkeit Mundart - Briefe, Mails, SMS. Ich finde es richtig, dass die Mundart in unserem Leben ihren Platz hat. Dem eigentlichen Pflegen gegenüber aber habe ich eine ambivalente Haltung. Beim Pflegen schwingt immer auch das Erhalten mit. Da ist man schnell beim Archivieren. Ich bin kein Archivar. Ich will keine Wörter vor dem Aussterben retten. Im Archiv stirbt eine Sprache. Lebendig bleibt sie nur draussen, unter den Leuten, auch wenn sie sich verändert, weiterentwickelt. Die Sprachentwicklung können wir insoweit beeinflussen, als wir an ihr teilhaben. Dann braucht die Mundart auch keinen rückwärtsgewandten Heimatverein.
Was muss man von der Aargauer Mundartliteratur gelesen haben?
Neeser: Er lebt nicht mehr, aber er ist einer der ganz Grossen: Paul Haller. Seine Mundarttexte - etwa das «Juramareili» - haben eine wunderbare sprachliche Kraft. Seine Gedichte haben nichts Heimattümelndes, nichts, was auf den billigen sentimentalen Effekt angelegt wäre. Seine Bildwelt, sein poetischer Blick - grossartig.
Werden Sie weiterhin Mundart schreiben?
Neeser: (überlegt) Es kommt drauf an, wie sich die Sprache in mir verhält. Ob da eine zweite Mundartböe angeweht kommt. Aber ich arbeite an zwei spannenden Mundartmusik-Projekten.
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