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Popkultur-Glosse

«Heul leise!» – Stars sind auch nur Menschen, aber wen interessiert das schon?

Früher hatten Stars etwas Mysteriöses, sie schienen perfekt und haben sich auch nur so gezeigt. Spätestens seit es Social Media gibt, ist die Grenze zwischen ihnen und uns gefallen. Und manche lassen nun nicht nur auf den Bildern den Filter weg. Das passt dem Publikum aber nicht immer.

Selena Gomez hat eine Doku über sich selbst gemacht: «My Mind & Me». Schon wieder eine Promi-Doku. Kennen wir schon. Lady Gaga hat eine, Beyoncé, die Jonas Brothers, Taylor Swift, Demi Lovato hat sogar zwei. Trotzdem hat mich Selenas Doku berührt. Obwohl sie sehr «amerikanisch» ist: Sie ist inspirierend, sehr emotional und es gibt sogar fast ein Happy End, wo Selena sich akzeptiert und nun anderen helfen will. Auch das ist sehr amerikanisch.

Berührt hat mich die Doku aber, weil das, was die Sängerin darin sagt, für sehr viele Menschen voll ins Schwarze trifft. Dass man manchmal einen enormen Druck spürt, egal ob von aussen oder ob man ihn sich selbst macht. Dass man das Gefühl hat, nicht gut genug zu sein. Dass man Angst hat und nicht mal weiss, wovor denn. Weil es einem doch gut geht, man alles hat und doch … und doch.

Reich, berühmt und unglücklich: Selena Gomez in «My Mind & Me».
Bild: Bild: Screenshot

Im gleichnamigen Song zur Doku singt sie: «My mind and me, we don’t get along sometimes», also: Mein Kopf und ich kommen manchmal nicht miteinander aus. Man muss nicht reich und berühmt sein, um das nachvollziehen zu können. Selena Gomez hat Rotz und Wasser geheult und ich beim Zuschauen gleich mit. In dem Moment waren wir gleich: Sie, die reiche und berühmte Sängerin, ich in Trainerhosen vor dem Bildschirm.

Aber wie nah wollen wir uns Promis eigentlich fühlen? Wie ehrlich dürfen sie sein? Sollen sie nicht etwas mysteriös und so auch perfekt bleiben? Manche werden sagen, dass ihnen das völlig Wurst ist, weil sie nicht so promiversessen sind wie ich. Aber gehen wir mal davon aus, dass ein kleines bisschen Neugierde besteht.

Zu ehrliche Stars nerven

Demi Lovato liess auch tief blicken, als es um ihre Drogensucht und ihr Selbstbild ging. Auch ihre Offenheit wurde gelobt. Bis sie irgendwann zu offen wurde. Sie sagte in Interviews, dass sie sich bereits zu dick fand, als sie noch Windeln trug, erzählte von ihrer Sexualität, änderte ihre Pronomen und irgendwann griff sie auf Instagram einen kleinen Frozen-Yoghurt-Shop in Los Angeles an, weil es dort auch ein zuckerfreies Angebot gab. Das promote aber die Diätkultur, fand sie. Spätestens ab da tobte der Shitstorm ununterbrochen und wann immer sie etwas sagte, verdrehte man im Allgemeinen nur die Augen: Was ist denn jetzt wieder?

Ähnlich war es kürzlich bei Matthew Perry. Chandler aus «Friends» hat eine Biografie veröffentlicht und darin von seiner jahrelangen Drogensucht erzählt. Im Vorfeld wurden – wieder typisch amerikanisch – tonnenweise Auszüge veröffentlich, um Werbung zu machen. Mit jedem Artikel kamen neue erschreckende Details, bei denen man dachte: Um Himmels willen, der Arme! Bis er etwas gegen Keanu Reeves sagte.

Lustig vor der Kamera, tragisch dahinter: «Friends»-Star Matthew Perry (links) versuchte jahrelang seine Drogensucht zu verstecken.
Bild: Bild: Imago

Als Perrys Freunde, die Schauspieler River Phoenix und Chris Farley in den 90er-Jahren an einer Überdosis starben, dachte er: Sie sterben, aber Keanu Reeves läuft noch rum? Und, ja: Was für ein bescheuerter Kommentar! Auch noch gegen einen der beliebtesten und gutmütigsten Stars. Das dämpfte die Sympathien gewaltig und Perry musste sich entschuldigen.

Und dann noch Prinz Harry. Er war mal der beliebteste Royal, wirkte nahbar, sagte, wie es ihm mental geht und wie er seine Mutter nach wie vor vermisst. Wann sich das genau geändert hat, ist schwer zu sagen. Aber irgendwann wirkte es nur noch als Gejammer, wenn er etwas sagte. Als kürzlich der Titel zu seinem Buch veröffentlicht wurde – «Spare», also Ersatz, – kam online schnell der Spruch «Spare us», also verschon uns.

Im Januar erscheint das Buch von Prinz Harry.
Bild: Bild: Keystone

Dank Seelenstriptease im Gespräch

Sollen Promis überhaupt zeigen, wer sie sind und was sie denken? Und wenn ja, wie oft? Denn es braucht offensichtlich nicht viel, bis die Zuschauer genug haben.

Es gibt Promis, die praktisch nichts über sich oder ihr Leben erzählen. Man könnte zum Beispiel glatt vergessen, dass Eva Mendes und Ryan Gosling zusammen sind und zwei Kinder haben. Die Olsen Twins haben seit einer gefühlten Ewigkeit kein Interview mehr gegeben. Und Dolly Parton, eine der berühmtesten Country-Sängerinnen der Welt, ist seit über 50 Jahren verheiratet und hat praktisch noch nie ihren Mann gezeigt.

Dolly Parton behält ihr Privatleben seit Jahren für sich.
Bild: Bild: Keystone

Sie haben sich dafür entschieden, uns nicht ihr Innerstes vor die Füsse zu legen. Gleichzeitig heisst das auch, dass sie nicht so oft im Gespräch sind. Etwas, dass sich nicht jeder Star leisten kann. Wer heute berühmt ist, kann morgen vergessen sein. Und weil man nicht jede Woche einen neuen Film oder ein neues Album rausbringen kann, muss man halt sonst wie für Schlagzeilen sorgen. Aber ein ehrliches Statement zu viel kann den Unterschied ausmachen zwischen «nahbar sein» und «TMI – too much information».

Selena Gomez hat sich mit ihrer Doku komplett geöffnet – und macht damit weiter. In einem Interview erzählte sie vor einer Woche, dass sie wegen der Medikamente gegen ihre Bipolare Störung vermutlich nicht schwanger werden könne. Muss das sein? Nein. Aber ich finde diese Offenheit gut. Wenn Promis über ihre persönlichen Probleme reden, über ihren Kampf mit Mental Health, Fehlgeburten, sexuelle Belästigung, Drogenprobleme, dann helfen sie, Tabuthemen zum Mainstream zu machen.

Trotzdem: Unter einem Instagram-Post mit einem emotionalen Ausschnitt aus der Doku, verstecken sich zwischen vielen mitfühlenden Kommentaren bereits einzelne, die genug von Selena haben.

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