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«Seit ich 13 bin, nehme ich Kokain»: Wie sich der Lieblingsrapper des deutschen Feuilletons zu Tode schnupfen wollte

Eine Netflix-Dokumentation zeichnet den Absturz des deutschen Rappers Haftbefehl. Die Details sind zahlreich, doch ein wichtiger Punkt bleibt aussen vor.
Hier noch, wie man ihn kennt: Haftbefehl, bürgerlich Aykut Anhan.
Bild: Netflix

Unter den Google-Suchanfragen trendet derzeit die etwas eigenwillige Wortkombination «haftbefehl nase». Sie bezieht sich auf eine eben erschienene Netflix-Dokumentation, die sich dem deutschen Rapper Haftbefehl nähert. Wobei nähern wohl das falsche Wort ist. Die Dokumentation mit dem Titel «Babo» kriecht so nah an ihren Protagonisten, dass sich die einzelnen Poren auf dessen Nase zählen liessen. Und eben, die Nase: Was ist mit der passiert?

Diese Frage stellt sich ab der ersten Szene. Darin nimmt Haftbefehl auf einem Sessel vor der Kamera Platz und – sieht so gar nicht aus, wie man ihn in Erinnerung hatte. Der früher eher schlaksige Hüne ist in die Breite gegangen, während seine Nase ihre frühere Prägnanz eingebüsst hat und eingedrückt wirkt.

Woher das kommt, sagt die Dokumentation nicht explizit. Aber sie thematisiert Haftbefehls langjährigen Kokain-Missbrauch derart ausführlich, dass die Antwort so offen daliegt wie die Lines, mit denen sich der Rapper, wie sich zeigen wird, fast umgebracht hätte.

Ein Dichter mit sehr verschiedenen Fans

Der bald 40-jährige Aykut Anhan, wie Haftbefehl bürgerlich heisst, wurde als Sohn türkischstämmiger Eltern in Offenbach geboren, einige Kilometer östlich von Frankfurt am Main. Eine raue Gegend, in der Anhan schon früh anfing, Drogen zu nehmen und zu verkaufen. Als er 14 Jahre alt war, nahm sich sein Vater das Leben, woraufhin Aykut Anhan die Schule abbrach und noch als Teenager wegen Drogenhandels per Haftbefehl gesucht wurde. Daher der Künstlername.

Als Rapper hat Haftbefehl all dies besungen und wortreich beschrieben. Weil er dabei ehrlich klang und akrobatisch mit Silben umging, wurde er sowohl von migrantischen Jugendlichen als auch von Seidenschal-Feuilletonisten verehrt. Nachdem Haftbefehl sein viertes Album «Russisch Roulette» (2014) veröffentlicht hatte, pries ihn die «Zeit» als «deutschen Dichter der Stunde».

Inzwischen ist Haftbefehls musikalischer Stern eher verglüht, weshalb es eigentlich ein guter Moment wäre, um in einer netten Netflix-Dokumentation mit Genugtuung auf die eigenen Meriten zu blicken. Doch eine solche Dokumentation ist «Babo» nicht.

Die Kamera blieb drauf

«Wir hatten die Idee eines Künstlerporträts», sagte der Schauspieler Elyas M’Barek, der die Produktion von «Babo» angestossen hatte. Aber: «Während der Dreharbeiten hat sich Aykuts Gesundheitszustand massiv verschlechtert, sein Drogenkonsum hat total Überhand genommen.»

Statt den Dreh abzubrechen, hielten die Regisseure Juan Moreno und Sinan Sevinç die Kamera drauf. Auch auf ausdrücklichen Wunsch ihres Protagonisten: «Lügen? Das will ich nicht», sagt Haftbefehl am Ende der Dokumentation. «Das ist die Realität, es muss ehrlich sein, Brudi.»

Diese Realität ist düster. «Seitdem ich 13 bin, nehme ich Kokain», sagt der Rapper. 25 Jahre lang habe er damit nicht aufgehört, wohl nicht zuletzt wegen des Suizids des Vaters. Den zunehmenden Erfolg, den er als Künstler genoss, hat dabei nicht geholfen: «Umso mehr Geld man hat, umso mehr kokst man.»

Neben den Drogen bleibt nicht viel Platz

So zeichnet «Babo» zunächst mit raschen Strichen den klassischen Aufstieg eines Künstlers, um ihn dann umso ausführlicher beim Absturz zu begleiten. Man sieht Haftbefehl schwitzen, torkeln, und wie er versucht, sich vor seinen Kindern zu beherrschen. Man hört ihn röcheln, was wegen der kaputten Nase bisweilen klingt wie das Atmen eines Mops’.

Seine Frau Nina, die viel zu Wort kommt, trägt das Leid mit trauriger Würde. Im Grunde sei sie alleinerziehend, die Bindung zu ihrem Mann habe «arg nachgelassen». Haftbefehls jüngerer Bruder Cem (der unter dem Namen Capo ebenfalls rappt) erzwingt schliesslich eine Therapie in der Türkei, nachdem Haftbefehl mehrfach versucht hat, sich durch Kokain-Überdosen zu Tode zu schnupfen.

Das ist schrecklich und auf eine schreckliche Weise faszinierend. Dennoch verlässt sich «Babo» zu stark auf den Voyeurismus der Netflix-Zuschauer. Die problematischen Textzeilen Haftbefehls (Antisemitismus, Sexismus) sind kein Thema. Seine Sucht wird ausführlich gezeigt, aber wenig erklärt. Weshalb nun viel von verätzten Nasen gesprochen wird, aber kaum von den Umständen, die dergleichen ermöglichen.

Babo: Die Haftbefehl Story: Auf Netflix.

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