
Jungen und Mädchen haben noch gleiche Stimmen. Doch mit der Pubertät wird das anders: Aus der Knabenstimme wird der tiefe Männerbass. Früher war das im Alter von 17 Jahren der Fall – doch heutige Jungen kommen immer früher in den Stimmbruch. Die Ursachen dafür sind ungeklärt.
Auslöser des Stimmbruchs ist das Geschlechtshormon Testosteron. Es sorgt dafür, dass der männliche Kehlkopf um 40 Prozent zulegt und seine Stimmlippen nicht nur dicker werden, sondern sich auch von 12 Millimeter auf etwa 2 Zentimeter verlängern, sodass die Tonlage um eine komplette Oktave nach unten sackt. Weil zudem einige Stimmbänder stärker wachsen als andere, verläuft der Tonlagenwechsel nicht kontinuierlich: Immer wieder überschlägt sich die Stimme im berüchtigten «Pubertätskiekser».
Mädchen bleiben davon in der Regel verschont. Sie erleben zwar auch einen Stimmbruch, doch weil bei ihnen weniger Testosteron kursiert und die Stimmlippen nur um ein bis drei Millimeter wachsen, verläuft er bei ihnen mit grösserer Kontinuität – und die Stimmlage sinkt höchstens um eine Terz.
Viel Testosteron – früher Bass
Wie gross die Rolle des Geschlechtshormons auf die Stimme ist, zeigt eine aktuelle Studie unter Leitung von Michael Fuchs von der Universität Leipzig, die er zusammen mit seinem Team beim berühmten Thomaner-Chor durchgeführt hat. Es wurden insgesamt zehn stimmliche und acht stimmunabhängige Parameter im Hinblick auf ihre prognostische Zuverlässigkeit untersucht. Doch nur einer stellte sich als wirklich zuverlässig heraus: das Testosteron. «Wenn der Spiegel des Hormons zum ersten Mal steigt, dauert es noch etwa 16 Monate bis zum Stimmwechsel», erklärt Fuchs.
Piepsstimmen: Unerwachsen
Bei nicht wenigen Frauen fällt der Stimmbruch komplett aus, sodass sie als Erwachsene ihre piepsige Mädchenstimme behalten. Ursache könnten hier, wie der Hamburger Phoniater Niels Graf von Waldersee behauptet, seelische Belastungen und Misshandlungen in der Kindheit sein. Nicht umsonst handle es sich bei den «Sopran-Frauchen» in der Oper meistens «um von der Mutter ungeschützte Töchter, die alsdann vom Vater gemordet werden». Eine andere Erklärung wäre aus psychoanalytischer Sicht, dass mit dem Ausbleiben des Stimmbruchs unbewusst der Schritt zum Frau-Sein abgelehnt wird. Das pubertierende Mädchen behält demnach seine Kinderstimme, weil es nicht erwachsen werden will. (JZ)
Demnach kommen angehende Männer heute weitaus früher in den Stimmbruch als früher. «Die Jungen sind jetzt meist 15 Jahre alt», berichtet Fuchs, «manche erleben ihren Stimmwechsel sogar schon im Alter von elf oder zwölf Jahren.» Zu Zeiten von Johann Sebastian Bach, der von 1723 bis 1750 als Thomaskantor wirkte, mussten dazu 17 oder sogar 18 Lebensjahre verstrichen sein.
Hohes Gewicht – tiefe Stimme?
Die Ursachen für das immer frühere Einsetzen von Stimmbruch und Pubertät sind noch ungeklärt. Amerikanische Wissenschafter fanden zwar unlängst heraus, dass dicke Kinder zur Frühreife neigen und sich das grassierende Übergewicht und das Vorverschieben der Pubertät in den letzten Jahrzehnten nahezu parallel entwickelt haben.
Doch der früher einsetzende Stimmbruch wird damit nicht erklärt, weil Fettgewebe eigentlich dafür bekannt ist, männliche Hormone in das weibliche Östrogen umzuwandeln. Ähnliches gilt für Bisphenol A, das als Weichmacher in Plastikverpackungen eingesetzt und von einigen Forschern als Pubertätsbeschleuniger verdächtigt wird, weil sich im Laborversuch an Schnecken entsprechende Hinweise gezeigt hatten.
Doch aus anderen Versuchen weiss man auch, dass diese Chemikalie eher wie Östrogen wirkt, und nicht wie Testosteron. Nichtsdestoweniger deutet vieles darauf hin, dass die Kindheit in der Wohlstandsgesellschaft immer kürzer wird – und sich das Personalkarussell der Knabenchöre immer schneller drehen wird.
Muttersöhne – später Stimmbruch
Doch es gibt auch Gegentrends, beispielsweise in Gestalt der zunehmenden Scheidungsquoten. Ein Forscherteam unter Paula Sheppard von der London School of Economics untersuchte die Lebensläufe von knapp 10000 Männern, und dabei schälte sich heraus, «dass eine Vaterlosigkeit zwischen dem elften und sechzehnten Lebensjahr mit einem deutlich verzögerten Stimmbruch verknüpft ist».
Der Unterschied könne durchaus mehrere Monate ausmachen, betont Sheppard. Die Thomaner sollten sich also am besten aus den Söhnen alleinerziehender Mütter rekrutieren – denn bei denen hält sich die Knabenstimme am längsten.
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