notifications
Musik

Diese Schweizerin bringt Sponsoren und Mäzene dazu, den Salzburger Festspielen Millionen zu geben

Kristina Hammer ist Präsidentin der Salzburger Festspiele, des bedeutendsten Klassikfestivals der Welt. Im Interview erzählt sie, wie sie mit Milliardären verhandelt, die Kunst gegen politische Einflussnahme verteidigt – und warum sie fest an die Kraft der Musik glaubt.
Kristina Hammer beim Interviewtermin in Salzburg: «Ich will Wunder ermöglichen.»
Bild: pmü

Frau Hammer, Sie lenken die Salzburger Festspiele, suchen Geld für die Kunst: Hatten Sie nie den Wunsch, selbst auf der Bühne zu stehen?

Wenn Sie mein Klavierspiel gehört hätten, wüssten Sie: Diesen Traum habe ich besser gar nicht erst geträumt (lacht).

Jetzt sind Sie «die Präsidentin», wie man hier rundum ehrfurchtsvoll sagt. Wie nutzen Sie Ihre Macht?

Die «Nutzung» von Macht ist grundsätzlich ein zweischneidiges Schwert. Macht kann schnell zur Spielwiese des eigenen Egos werden. Ich verstehe Macht viel eher als Gestaltungskraft. Ich darf helfen, etwas Grosses mitzugestalten, gemeinsam mit einem wunderbaren Team. Es ist eine geliehene Macht – und mit ihr kommt eine grosse Verantwortung.

Die Festspiele sind ein mittelgrosses Unternehmen.

Wir haben rund 240 feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im Sommer sind es mit allen temporären Kräften bis zu 4500. Unser Ziel ist es, mit ihnen jedes Jahr aufs Neue dieses Wunder zu ermöglichen, das sich Salzburger Festspiele nennt.

Was genau sind Ihre Aufgaben als Ermöglicherin von «Wundern»?

Grosse gesellschaftspolitische und sozioökonomische Trends nicht nur zu antizipieren, sondern dann auch ihre Auswirkungen auf die Gegenwart und Zukunft der Salzburger Festspiele managen, wie beispielsweise Covid, die Inflation – steigende Lebenshaltungskosten, aber auch erstarkenden Nationalismus. Ich bin darüber hinaus die Repräsentanz der Festspiele nach aussen und beschäftige mich mit der Stärkung der Strahlkraft dieser einzigartigen Marke, mit der Internationalität unserer Institution, mit unseren rund 6600 Freundinnen und Freunden in Förderkreisen weltweit. Dazu kommen klassische Managementthemen wie Sponsoring, Marketing, Vertrieb und PR.

Kristina Hammer

Kristina Hammer wurde 1968 in Karlsruhe geboren. Sie ist eine Markenspezialistin, gründete 2010 die Kommunikationsberatung HammerSolutions in Zürich. Davor war sie 15 Jahre operativ in internationalen Managementpositionen in Deutschland, Österreich und England tätig. Hammer lebt in Salzburg und Herrliberg, war Mitglied des Vorstands der Freunde des Opernhauses Zürich, ist «Freundin des Kunsthauses Zürich». Hammer und ihr österreichischer Mann, der Wirtschaftsjurist Christoph Hammer, haben zwei Kinder, die in der Schweiz studieren. Als Festspielpräsidentin ist sie quasi «Aussenministerin der Festspiele», muss für die nationale und internationale Positionierung, Gewinnung und Betreuung von Sponsoren und Mäzenen sorgen.

In Ihre Amtszeit fielen Corona, der Ukraine-Krieg, jetzt die Nahost-Krise. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

Rund 75 Prozent unserer Kosten sind Personalkosten. Die Lohnabschlüsse der letzten Jahre – teils ausgelöst durch die Inflation – waren in den letzten 4 Jahren höher als in den zwölf Jahren zuvor. Da geht eine enorme finanzielle Schere auf. Wir sind grösstenteils eigenfinanziert, da müssen wir sehr umsichtig planen. Wir brauchen neue Partner und neue Finanzierungsmodelle.

Neben ökonomischen Herausforderungen gibt es auch politische Strömungen – Nationalismus, Populismus, Abschottung.

Auch das betrifft uns. Wir sehen diesen bedrohlichen Trend – auch im internationalen Publikum. Manche unserer Stammgäste bekommen von der Politik in ihren Ländern vermittelt, sie sollten lieber im eigenen Land bleiben und die dortigen Kulturinstitutionen unterstützen. Andere wollen Kunst instrumentalisieren. Dabei ist doch Kunst eine der letzten Oasen der Menschlichkeit.

Werden Sie da zur Politikerin?

Kunst kann nie unpolitisch sein und den Werten, die die Salzburger Festspiele seit ihrer Gründung prägen: Die Festspiele wurden 1920 ins Leben gerufen: Die Menschen in Salzburg litten grosse Not, wie überall im Nachkriegsösterreich, viele hatten Angehörige verloren – durch den 1. Weltkrieg oder durch die Spanische Grippe. Und dann kamen drei visionäre Männer: Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt und Richard Strauss. Sie hatten keine Bühne, kein Geld – also nutzten sie den Domplatz als Kulisse. Die Bühne wurde aus alten Zwangsbaracken gebaut.

Was wollten die drei mit den Festspielen?

Ihre Vision war revolutionär: Sie wollten die besten Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt auf die Bühne holen – unabhängig von Nationalität, Religion oder Identität. Und sie wollten das Publikum ebenso vielfältig haben. Salzburg, so sagten sie, liegt im Herzen Europas – also sollten auch alle nach Salzburg kommen.

Es wurde aber rasch ein elitäres Projekt, man kennt diese High-Society-Fotos …

Ein Vorurteil! Wir sind kein elitäres Projekt. Die Realität sieht so aus: 50 Prozent unserer Tickets kosten zwischen 5 und 115 Euro. Meine Kinder zahlen für ein Popkonzert heute oft deutlich mehr.

Ein Taylor-Swift-Konzert ist teurer, ja. Aber: Im Parkett kostet ein Opernplatz bei Ihnen stolze 475 Euro.

Natürlich gibt es auch teurere Plätze. Aber auch dort kommt es auf die Produktion und das Genre an.

Klassik wird oft von der älteren Generation geschätzt. Sie zielen aber auch auf ein junges Publikum.

Absolut. Ich sehe es als Teil unserer Verantwortung, junge Menschen für Oper, Theater und Konzert zu begeistern. Leider ist es heute nicht mehr selbstverständlich, dass Kinder von Eltern, Grosseltern oder Paten in Konzerte mitgenommen werden – wie es bei mir der Fall war. Auch der Musikunterricht in Schulen nimmt ab.

«Wir sehen uns als intellektuelle Impulsgeber. Wir wollen relevante Themen unserer Zeit aufzugreifen – programmatisch, künstlerisch, gesellschaftlich», so Kristina Hammer.
Bild: Peter Rigaud/SF

Wie geben Sie Gegensteuer?

Mit einem grossen Jugendprogramm. Einerseits bringen wir Produktionen direkt zu den Kindern und Jugendlichen – in Schulen und Kulturzentren im ganzen Land Salzburg mit einem auf sie zugeschnittenen Programm, in dem sie ihre Lebenswelten wiederfinden. Andererseits ermöglichen wir ihnen den Zugang zu unseren Produktionen hier. Wir bieten zum Beispiel 6000 stark vergünstigte Jugendkarten an. Zusätzlich haben wir ein Patenprogramm ins Leben gerufen, in welchem erfahrene Festspielbesucher jungen Menschen, die noch nie bei den Salzburger Festspielen waren, «ihre Festspiele» zeigen.

Wenn aber «Exzellenz» das Markenzeichen ist: Ist Elitarismus da nicht unvermeidlich?

Elitarismus wird oft falsch verstanden – als Ausgrenzung. Wenn man ihn mit Höchstleistung und Exzellenz gleichsetzt, dann ist er nichts Negatives. Unser Ziel ist es, das Publikum zu berühren. Opern und Theater verhandeln seit jeher die grossen Fragen der Menschheit: Liebe, Tod, Macht, Verrat. Und sie tun das bei uns auf künstlerisch höchstem Niveau.

Das klingt nach einem Gegenmodell zum Zeitgeist. Heute wird Leistung oft kritisch gesehen, auch in der Kunst.

Unsere Aufgabe ist es nicht, dem Zeitgeist hinterherzulaufen.

Sondern?

Unsere Aufgabe ist es, Impulse zu setzen. Die Festspiele sollen ein Ort sein, an dem man die Welt reflektieren kann. Wir wollen kein Repertoirebetrieb sein und auch kein Museum. Wir wollen Themen der Gegenwart spiegeln, neue Perspektiven eröffnen.

Ein hoher, fast unerfüllbarer Anspruch.

Wir sehen uns als intellektuellen Impulsgeber. Wir wollen relevante Themen unserer Zeit aufgreifen – programmatisch, künstlerisch, gesellschaftlich. Die Salzburger Festspiele wurden als Friedensprojekt gegründet, und genau das ist heute aktueller und notwendiger denn je. Letztes Jahr hatten wir 250’000 Besucherinnen und Besucher aus 77 Ländern, davon 40 aussereuropäische. Sie alle erlebten gemeinsam viele Aufführungen – und im Idealfall entsteht dabei eine kollektive Schwingung. Was kann verbindender sein als die universelle Sprache der Musik?

Früher war das Opernpublikum konservativ, dann wurde es aufgeschlossener, progressiver. Gibt es nun wieder eine Rückkehr zu Traditionen?

Man darf die politischen Verschiebungen und Unsicherheiten nicht mit dem Opernpublikum gleichsetzen. Dieses ist sehr heterogen – in Interessen, in Alter, in Herkunft. Was sich verändert hat, ist der Umgang mit Zeit. Früher haben sich viele ausführlich auf einen Opernbesuch vorbereitet, sogar die Textbücher gekauft und gelesen …

Heute kommen die Besucher unvorbereitet in die Vorstellungen?

Zeit ist das knappste Gut. Deshalb stellen wir Informationen in vielen Formaten bereit – digital, als Audio, als Text. Menschen sollen sich auf die Weise vorbereiten können, die zu ihrem Alltag passt.

Trotzdem: Die Schwelle ist für viele Menschen hoch, eine Oper oder Ihre Festspiele zu besuchen.

Das hören wir immer wieder. Aber Salzburg ist der perfekte Ort für einen Einstieg. Die Stadt ist überschaubar, die Atmosphäre einzigartig. Wer offen ist und sich auf uns einlässt, wird mit einem berührenden Erlebnis belohnt. Man muss kein Experte sein. Man braucht nur Neugier – und ein offenes Herz.

Die Festspiele finanzieren sich nur zu einem Viertel aus öffentlichen Mitteln. Der Rest kommt über Tickets, Sponsoren, Mäzene. Das setzt Sie unter Erfolgsdruck.

Viele Kulturinstitutionen kämpfen mit wegbrechenden Sponsorengeldern. Bei uns basiert die Finanzierung auf vier Säulen: Ticketverkäufen, öffentlicher Förderung, Sponsoring und Mäzenatentum. Alle Bereiche sind wichtig – und miteinander verzahnt.

Sie nennen Sponsoren bisweilen liebevoll Partner. Warum?

Weil es uns um langfristige, inhaltlich getragene Beziehungen geht. Ich spreche sehr früh mit potenziellen Partnern, um zu verstehen: Was ist Ihnen wichtig? Welche Werte verbinden uns? So entstehen echte Partnerschaften. Einige Beispiele: Für Audi machen wir ein Gastspiel in Ingolstadt, nur für ihre Mitarbeiter. BWT hat uns geholfen, Plastikflaschen aus dem Festspielbetrieb zu verbannen – ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Mit Rolex realisieren wir den Young Conductors Award, mit der Kühne-Stiftung das Young Singers Project zur Nachwuchsförderung. Siemens ermöglicht mit den Siemens Festspielnächten seit Beginn mehr als 1 Mio. Menschen kostenlosen Zugang zu Festspielproduktionen durch die Siemens Festspielnächte am Kapitelplatz, und mit der Würth Gruppe konnten wir in diesem Jahr einen neuen sechsten Hauptsponsor gewinnen. Es geht also nicht nur ums Geld – sondern um gemeinsame Ideen.

Neben den Sponsoren werden Mäzene immer wichtiger: Solche wie der Schweizer Hans-Peter Wild, der ein Besucherzentrum mitfinanziert und satte 12 Millionen zur Verfügung stellt. Wie entstehen solche Projekte?

Meistens durch persönliche Gespräche und lange Verbundenheit. Hans-Peter Wild ist seit Jahrzehnten mit Salzburg und den Festspielen verbunden. Ihm gehören zwei Hotels in der Stadt. Als ich ihm, den ich schon lange vor meinem Amtsantritt kannte, von der Idee eines Besucherzentrums erzählte, war er begeistert: ein Ort, der das ganze Jahr über zugänglich ist, mit einem unterirdischen Konzertsaal und einem gläsernen, einladenden Pavillon.

Gibt es Kriterien, welche Mäzene oder Sponsoren Sie akzeptieren?

Selbstverständlich. Niemand – weder Sponsor noch Mäzen – nimmt Einfluss auf unser Programm. Die künstlerische Freiheit ist unantastbar. Natürlich bekommen wir auch Angebote, die wir nicht in Betracht ziehen. Wir prüfen sehr genau, mit wem wir uns verbinden – das ist eine Frage der Haltung und Verantwortung.

Was sollte man wissen, wenn man zum ersten Mal an die Festspiele kommt? Muss man Smoking und Abendkleid mitbringen?

Wir bitten grundsätzlich um angemessene Kleidung, aus Respekt gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern und dem Anlass. Bei Premieren werden häufig Smoking und langes Abendkleid getragen. Aber niemand muss sich dafür extra neu einkleiden. Es geht um Wertschätzung, nicht um Etikette.

Beim «Jedermann» tragen Sie und viele Österreicherinnen ein Dirndl. Was trägt die Schweizerin?

Sie darf natürlich auch im Dirndl kommen – oder einfach in einem netten Sommerkleid. Ich finde es schön, wenn man sich mit Freude und Stil kleidet, aber zwanghaft ist bei uns nichts.

18. Juli bis 31. August: www.salzburgerfestspiele.at.

Kommentare (0)