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Die Libertines spielen in Zürich für alle, deren Jugend noch nicht so lange zurückliegt

Einstmals stürmte die britische Band um Pete Doherty die Bühnen und die Schlagzeilen. Heute lassen es die Libertines, wie im Konzert in Zürich, routinierter angehen.

Pete Doherty an einem Konzert am 30. Oktober. 
Bild: Tord Litleskare/Avalon

Kommt er pünktlich? Kommt er überhaupt? Das Infragestellen der grundsätzlichen Anwesenheit von Pete Doherty respektive der Bands, in denen er spielte, war einst der makabre Running Gag innerhalb der Indieszene schlechthin. Einst, als Doherty trotz Babyface noch spindeldürr war, ausgemergelt von all den tödlichen Substanzen, die er sich in den Leib pumpte, um ein Leben zu erfassen, das grösser, glorreicher war als er selbst.

Einst, nachdem Doherty die Libertines verlassen hatte, im Streit, nie offiziell, und erst mit seiner Nachfolgeband Babyshambles mit Liedern wie «Fuck Forever» krachend brillant, später solo über die Bühnen und durch die Städte torkelte. Da wusste man als Zuschauer nie so genau, ob der Act überhaupt auftreten, Doherty einen einzigen Ton treffen oder ihm nicht die Gitarre aus den Händen rutschen würde, er umkippte oder gar kurz vor dem Auftritt gestorben war. Das alles sind Geschichten von einst.

Der sterbende Augenblick des Glücks war Programm der Libertines

In der Gegenwart beginnen die Libertines an diesem Mittwochabend im Zürcher X-Tra so pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk, um 21 Uhr. Schon zuvor, zaghaft mit einzelnen Konzerten angedeutet, hatte die Band um die beiden Frontmänner Pete Doherty und Carl Barât 2014 wieder zueinandergefunden und ein drittes Album produziert. Um dieses sollte es aber auf der aktuellen Tour nicht gehen. Im Zentrum des Konzerts steht das Débutalbum «Up The Bracket», das dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert.

Dieser Erstling war einer jener Funkenschläge, wie sie der britischen Musiklandschaft alle paar Jahre ins Mark fahren: energetisch, jung, wild, frisch, das heisse, neue Ding auf dem Markt. So wie schon bei Pulp, Blur, Oasis. Aber auch langlebig? Davon konnte man in den ersten Jahren der Libertines nicht unbedingt ausgehen. Man musste kein Prophet sein, um zu sehen, dass diese Songs den Sturm und Drang besingen, die unbedingte und absolute Gegenwart, nicht die Zukunft. Der sterbende Augenblick des Glücks war schliesslich Programm.

Drogen, Kate Moss und Oscar Wilde als Inspiration

Nicht alleine wegen der Drogeneskapaden von Pete Doherty, nicht wegen prominenter Anhängsel wie seiner damaligen Freundin Kate Moss, nicht wegen all des Klatschs im Boulevard, das waren die konsequenten Nebengeräusche des Rausches. Sondern wegen der grundsätzlichen Attitüde, des generellen Lebensstils, den die Libertines schon mit ihrem Namen («Die Freigeister») etablierten und kultivierten. Alles war very british, intellektuell, abgefuckt und himmelhoch jauchzend zugleich. Das Königreich wurde als mystische Insel Albion verklärt, nur dreckiger, punkiger, die Bandchefs sahen sich in der dichtenden, verdichteten und dichten Tradition von Oscar Wilde oder Charles Baudelaire.

Die Libertines im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, das verhiess: zerrissene Jeans und zerfetzte Träume. Die ersten Drogen, eine gute Erfahrung. Die erste Liebe, eine tragische Erfahrung. Das permanente Missverstandensein der Adoleszenz, das poetische Köpfe wie J. D. Salinger oder eben Pete Doherty in Worte fassen können. Poetisch, rotzfrech, mitten ins leidende Herz. Wer wissen will, mit welchem schlagfertigen Schalk bereits der unschuldige Teenager Doherty auftreten konnte, der möge auf Youtube die Begriffe «Pete Doherty» und «Oasis» suchen.

Am Zürcher Konzert tobt vorne die Party, hinten sitzen Kinder auf Männerschultern

All das liegt weit zurück, in einer Vergangenheit, in der Gitarrenriffs noch die Musikindustrie dominierten und der glattgebügelte, biedere Sensationserfolg einer Taylor Swift undenkbar gewesen wäre. Heute stehen die Libertines, nebst Doherty und Barât noch Gary Powell an den Drums und John Hassal am Bass in einem nicht ganz ausverkauften Konzertsaal und spielen die erste Hälfte ihres Konzerts völlig routiniert herunter. Ausschliesslich Songs von «Up The Bracket», von «Vertigo» bis «I Get Along».

Einmal gibt es eine Referenz von Doherty auf Zürich, auf den verregneten Novemberabend, hurra, er weiss, wo er steht. In den vorderen Reihen tobt Party, da fliegen Bierbecher durch die Luft, hinten ist es etwas gemütlicher, geradezu altmodisch. Ein Pärchen tanzt eng umschlungen Walzer, Romantik ist Rock ’n’ Roll, ein Kind schaut auf Männerschultern über die Menge. Der Altersdurchschnitt sehr gemischt, aber doch sichtlich zum grössten Teil in dem Alter, das noch an Indie-Partys tanzte.

Doherty sieht nun aus wie ein glücklicher Wal

Heute machen die Libertines Musik für Menschen, deren Jugend nicht so lange zurückliegt, aber lange genug, um sich danach zu sehnen. Nach dem ersten Teil gibt es eine kurze Pause, dann folgen die Lieder vom zweiten, selbst betitelten Album. Von der früheren Aversion zwischen Barât und Doherty ist nichts zu sehen, mehrfach singen die beiden Schiebermützenträger so nahe am Mikro, als würden sie gleich einen Bruderkuss austauschen wollen.

Pete Doherty, der mit seiner Partnerin inzwischen in der Normandie lebt und selbsterklärt seit einigen Jahren clean ist, sieht inzwischen aus wie ein glücklicher Walfisch mit ergrauter Matte. Manche seiner Bewegungen auf der Bühne wirken zwar immer noch dezent unkoordiniert, vielleicht der Phantomrausch, und das Genuschel beim Gesang fällt deutlich auf, was allerdings auch an der Akustik des Raums liegen mag.

Doch egal, es funktioniert: Als am Schluss Lieder wie «What Katie Did» oder im Finale «Don’t Look Back Into The Sun» angestimmt werden, schunkelt und brodelt der Saal. In der – hoffentlich erst – Hälfte ihres Lebens können die Libertines bereits auf ein 20 Jahre überdauerndes Lebenswerk zurückblicken. Auf der Bühne mögen sie bereits mit Mitte 40 routinierte Rockopas geworden sein, die den Drogen, den Skandalen und der lässigen Unzuverlässigkeit erst einmal abgeschworen haben. Doch ihre Lieder haben ihre Jugend überlebt und sind mit ihnen erwachsen geworden. Zum Glück.

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