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Grosse Tour

Die Grossmäuler sind wieder da: Warum wir uns trotz allem auf das Comeback von Oasis freuen

«Wonderwall» und «Don't Look Back in Anger» gehören zu den besten Songs der 1990er-Jahre. Nun haben sich Oasis versöhnt und kehren in einer Woche zurück auf die Bühne. Geht das gut?
Liam Gallagher (links) und sein Bruder Noel sind auch als Wandbild beliebte Fotomotive. Bald spielen sie wieder live.
Bild: Christopher Furlong / Getty Images Europe

Ein Husten. 22 Sekunden Gitarrenintro. Dann kommt's: «Today is gonna be the day / That they're gonna throw it back to you.» Alle singen mit. «Wonderwall». Was hätten wir pubertierenden Teenager in den 1990er-Jahren dafür gegeben, ein Gegenüber zu finden, dem wir mit voller Inbrunst «I said maybe/You're gonna be the one that saves me» entgegenschleudern könnten.

Oasis. Das war die grösste Band für uns alle, die selbst gerne die Grössten gewesen wären. Während wir unseren Platz im Leben suchten, waren sie schon oben. Das grandiose Debüt «Definitely Maybe» erschien im August 1994. Das fast noch bessere «(What's the Story) Morning Glory?» ein Jahr später. Kein Pfadilager ohne «Live Forever». Kein Mixtape ohne «Supersonic».

Dazu Liam Gallagher, wie er mit den Händen hinter dem Rücken dasteht und mit dem Mund direkt am Mikrofon singt. So, als wollte er jede Note in den Empfänger drücken. Pendelnd zwischen unflätig und unerträglich cool. Arrogant und doch lässig.

Sounds für die Massen

Er singt die Lieder seines Bruders Noel, sicher der musikalischere der beiden. Noel spielt Gitarre, singt manchmal mit, hat aber nicht ansatzweise das Charisma seines jüngeren Geschwisters. Aber dafür halt ein Händchen für Hits.

Oasis bedienen sich bei zahlreichen anderen Bands. Es klingt nach den Beatles. Es duftet nach Glam Rock. Und auch den Modrock aus den späten 1970er-Jahren weben sie in ihre Songs ein. Die Gallagher-Brüder machten das komplett ironiebefreit. Es geht um Rock. Es geht um den Moment. Sounds für die Massen.

Im Grossbritannien der 1990er-Jahre war Krise. Nach einer Rezession herrschte hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere in den klassischen Arbeiterstädten wie Manchester. In einer Welt, in der alles komplizierter wurde, passten die unverkopften Lieder von Oasis bestens. Griffige Gitarren, klare Beats, mitsingbare Refrains. Weit weg von jedwelcher Virtuosität.

Dazu kommt die raue und stets etwas heisere Stimme von Liam. Der klingt immer so, als hätte er gestern Abend wahlweise zu viel getrunken oder die ganze Nacht Fussballlieder gegrölt. Ein Mann wie wir, dachten wir, und prosteten ihm gedanklich zu. Oder vielleicht eher: einer, wie wir gerne gewesen wären. Ein Rockstar eben. Für uns Durchschnittsbürogummis mit Hang zum Wochenendexzess eine reizvolle Perspektive.

Und wo andere grosse Stars sich zügeln, bleiben die Gallaghers Rabauken. Fluchen. Streiten mit anderen Menschen. Streiten miteinander. Immer bereit für eine kleine Schlägerei. Sie saufen, sie koksen, sie nehmen Drogen. Das hat nichts Streberhaftes oder Intellektuelles. Alles ist wie gemacht für die Klatschspalten der Presse und die damals noch zahlreichen Musikheftchen. Liam und Noel geben rotzige Antworten auf allerlei Fragen.

Nervig und harmlos wie ein Polterabend

Es bleibt aber immer auf einem Rüpellevel, das noch knapp tolerierbar ist. Der Drogen- und Alkoholkonsum ist zwar bedenklich, entfacht aber nie selbstzerstörerische Kräfte wie später etwa bei Amy Winehouse. Oasis erinnern manchmal an Junggesellenabschiede oder Hobbyfussballvereine, die es für ein Wochenende nach Mallorca zieht. Peinlich? Ja, natürlich! Tragisch: Nicht wirklich. So bleibt es (einigermassen) unterhaltsam. Und alle warten auf den nächsten Ausfall von einem der beiden Brüder.

Und sie liefern zuverlässig. Vor allem zerfleischen sie sich gegenseitig. Die zwei Gallaghers können nicht ohne einander und noch viel weniger miteinander. In einer toxischen Mischung aus Eifersucht, Rivalität und Intoxikation gab es immer wieder Wortgefechte und Handgreiflichkeiten. Mal verschwand Noel für ein paar Tage, mal schwankte Liam während des Konzerts von der Bühne.

Für über 40 Konzerte haben sich die Streithähne wieder zusammen­gerauft.
Bild: Paul Bergen / Redferns

Manchmal, wie 2000 am Paléo-Festival in Nyon, verliessen sie auch gemeinsam die Bühne . Dies, weil ein Bier auf die Bühne geflogen war. Die provokative Art von Oasis stachelte offensichtlich auch das Publikum an. Und die Gallagher-Brüder taten allen den Gefallen, dass sie genauso dünnhäutig reagierten, wie man es von ihnen erwartete. Spätestens ab den 2000er-Jahren war die Show und das ständige Gezanke beinahe wichtiger als die Musik. Die Qualität der Platten liess dramatisch nach – auch weil Liam mehr Songs schrieb.

Oasis wurden recht schnell zu einer Art Coverband ihrer selbst. Die neuen Alben ertrug man als Fan vor allem als Vorwand, um auf Konzerten die älteren Lieder zu hören, die ja eigentlich gar nicht so wahnsinnig alt waren. Dass es 2009 dann zum vermeintlich endgültigen Bruch zwischen Liam und Noel kam, war eigentlich mehr eine Erlösung. Nach einem heftigen Streit vor einem Konzert in Paris entzweiten sich die Brüder. Vor allem die Solosachen von Noel waren zumindest teilweise hörenswert. Beide spielten auf ihren Solo-Touren auch Songs der gemeinsamen Band. Aber Oasis war tot.

Braucht es noch ein weiteres Album?

Bis jetzt. Zwar gibt es gerade ein aktuelles Foto, auf dem beide Brüder gemeinsam zu sehen sind – für eine Werbekampagne –, doch in den Kommentarspalten lästern bereits zahlreiche Fans, dass es sicher eine Montage sei. Dennoch soll es in einer Woche tatsächlich wieder losgehen mit Konzerten. Die Tour durch Grossbritannien startet am 4. Juli in Cardiff. Später geht es nach Manchester, London, Edinburgh, Dublin und dann rund um die Welt. Über vierzig Konzerte sind geplant – Festland-Europa soll wohl im Sommer 2026 folgen.

Die wettverrückten Briten haben in zahlreichen Blogartikeln über mögliche Wettquoten rund um das Oasis-Comeback philosophiert. Eine mögliche Prügelei der Brüder auf der Bühne wird mit einer Quote von 12:1 (also rund 8 Prozent) angegeben. Das wahrscheinlichste Ereignis ist allerdings, dass sich Oasis sechs Monate nach der Tour wieder auflösen (hier nehmen die Fans eine Wahrscheinlichkeit von 71 Prozent an). Vielleicht wäre das tatsächlich sogar das Beste. Ein neues Oasis-Album braucht die Welt nicht – es sei denn, es wäre gut. Aber hier ist die Wahrscheinlichkeit fast kleiner als jene einer Schlägerei auf der Bühne

Und trotzdem: Es ist schön, dass die Brüder es noch einmal machen. Auch für uns, die damals die Grössten sein wollten. Mittlerweile haben wir unseren Platz im Leben gefunden. Wir sind gesetzter, die Träume sind kleiner, die Verpflichtungen grösser.

Die Stadt Edinburgh warnte in jedem Fall schon vor «mittelalten, korpulenten und rauflustigen Männern», die zu Zehntausenden für die Oasis-Shows in die Stadt strömen werden. Liam feuerte gleich zurück und sagte, die Haltung der Stadt «stinke zum Himmel». Er werde die Stadt so schnell wie möglich nach den Auftritten verlassen und empfehle auch allen Fans, anderswo zu übernachten.

Natürlich steht Oasis mit seinem Breitspur-Rock für das nur schwer erträgliche Proletentum. Und natürlich werden sich auch ein paar mittelalte und eher korpulente Männer dazu hinreissen, ihren Polohemd-Kragen aufzustellen, zu viel Bier zu trinken und sich dabei zwanzig Jahre jünger und zwanzig Kilo leichter zu fühlen. Das ist sicherlich peinlich. Aber solange auf dumme Pöbeleien und dümmsten Sexismus verzichtet wird, gar nicht so tragisch.

Und spätestens wenn das ganze Stadion «I said maybe/You're gonna be the one that saves me» singt, liegen sich sowieso all die dickbäuchigen Endvierziger mit Tränen in den Augen in den Armen.

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