notifications
Kunst und Architektur

Die Entdeckung des rätselhaften Landes Schweiz

Der belgische Künstler Pierre-Philippe Hofmann hat ein fantastisches Panorama der Schweiz entworfen. Jetzt zu sehen im Architekturmuseum in Basel.

Wie entsteht eigentlich das Bild eines Landes? In der Schweiz wurde dieses vor allem von Touristikern und ihren Kunden, den Reisenden, geprägt: erhabene Bergpanoramen, saftige Kuhweiden, idyllische Täler. Darüber strahlt der ewig blaue Ferienhimmel. Es sind diejenigen Bilder, denen wir gerne nachreisen, die wir gesehen haben wollen. Das, was auf dem Weg dorthin liegt, scheint uns vernachlässigbar.

Die Familie des belgischen Künstlers Pierre-Philippe Hofmann stammt aus Olten. Mit 42 Jahren hat er sich auf den Weg gemacht, ein Bild der Schweiz zu entwerfen. Ein möglichst absolutes. Was natürlich zum Scheitern verurteilt ist. Trotzdem – oder gerade deshalb – hat er seine Erkundungsreise minutiös geplant.

Er wählte zehn Ausgangspunkte an der Landesgrenze, jeweils da, wo ein Längen- oder Breitengrad diese kreuzt. Von dort hat er sich zu Fuss aufgemacht. Sein Ziel: der geografische Mittelpunkt der Schweiz, die Älggialp im Kanton Obwalden. Zehn Wanderungen, für die er insgesamt 100 Tage brauchte, auf vier Jahre und alle vier Jahreszeiten verteilt. Nach jedem Kilometer machte er Halt, um ein einminütiges Standvideo zu drehen.

Nach Vollendung des Sternmarsches ergab dies eine Sammlung von 2700 Standbildern. Diese wiederum hat er für die Ausstellung im Schweizer Architekturmuseum in Basel auf 72 Bildschirme verteilt. Die Filme werden nach Zufallsprinzip auf die Bildschirme gespielt. Ganz in der Tradition des Panoramas säumen diese rundum die Wände des Ausstellungsraums, nicht auf Augenhöhe, sondern am Boden.

In einem zweiten Raum zeigt Hofmann die Strategie, die seiner Unternehmung zugrunde liegt. In einer Audioinstallation versucht er, sich an Einzelheiten seiner Wanderung zu erinnern. An zwei Computern lädt er uns zum Rätselspiel.

Eine sehenswerte Arbeit

Das Resultat von Hofmanns strikter, konzeptioneller Vorgehensweise ist das Gegenteil von kopflastig. Das Gesamtbild, das er uns präsentiert, ist spektakulär, gerade weil es das Spektakuläre ausblendet.

Natürlich zeigt die Installation Hochgebirge, Alphütten und grüne Wiesen. Wir sehen aber auch Industriegebäude, Autobahnen, eine Sprinkleranlage, Treibhäuser im Mittelland, eine Migrosfiliale oder bunte Windrädchen in einem Vorgarten. Das Unscheinbare rückt ins Zentrum der Wahrnehmung. Das ist so weit nicht neu. Die Anti-Postkartenschweiz gehört schon länger zum Kanon der Kunst.

Überraschend und einzigartig ist Hofmanns Installation durch die Menge der Bilder. Um alle Kurzvideos in voller Länge zu sehen, bräuchte der Betrachter 2700 Minuten, also 45 Stunden. Nach dieser Arbeitswoche wüsste er wohl kaum mehr, was er am ersten Tag gesehen hat.

Es ist diese augenscheinliche Unmöglichkeit, das Gesamte wahrnehmen zu können, die den Blick auf die einzelnen Filme lenkt. Sie erscheinen oft unbewegt, wie Fotografien. Bis dann doch eine Frau aus einem geparkten Auto steigt, oder ein Skifahrer durch das Bild wedelt. Jeder Film ist eine Minute Vergangenheit der Schweiz, bereits Teil der Erinnerung an sie. So sind die vor dem Auge auftauchenden und verschwindenden Bilder eine Meditation über dieses Land, das wir zu kennen glauben, das aber bei genauem Hinsehen betörend rätselhaft ist. Beinah so, wie die ersten Touristen es sahen.

Kommentare (0)