notifications
250. Geburtstag 

Zwei neue Bücher über den englischen Dichter Samuel Taylor Coleridge: Er brachte Schiller auf die Insel

Der Dichter Samuel Taylor Coleridge (1772–1834) machte sich in England stark für die deutschen Dichter und Philosophen. Heute ist er bei uns fast vergessen. Sein 250. Geburtstag bietet Gelegenheit für eine Wiederentdeckung.

Der englische Dichter und Philosoph Samuel Taylor Coleridge (1772–1834).
Bild: National Portrait Gallery

Coleridge – ist das der schwarze Komponist? Nein, nicht Samuel Coleridge-Taylor. Coleridge – ist das der Grazer Dichter? Nein, nicht Alfred Kolleritsch. Der Coleridge, den wir meinen, ist der englische Dichter Samuel Taylor Coleridge aus der Zeit der Romantik. Gibt es englische Romantiker? Brauchen wir die? Gibt’s im deutschen Sprachraum nicht schon genug? Ist nicht Deutschland die Heimat der Romantik?

So klingen Reaktionen auf den Namen Coleridge. Den Studenten der Anglistik und Komparatistik ist er zwar ein Begriff, der mit Gedichten verbunden ist, die fett gedruckt auf den Pflichtleselisten stehen. Und vielleicht wissen sie noch, dass Coleridge ein paar Prinzipien der Dichtungstheorie geprägt hat.

Darüber hinaus herrscht Unkenntnis. Das ist auch dem allgemeinen Schwund der Klassikerkenntnis geschuldet. Doch dass Coleridge im deutschen Sprachraum nur noch ein Achselzucken auslöst, darin liegt eine besondere Ungerechtigkeit. Denn er war, als Dichter wie als Philosoph und Intellektueller, der fleissigste und wirkmächtigste Vermittler der deutschen Literatur und Philosophie in Grossbritannien, und damit in der ganzen englischsprachigen Welt.

Ein frühes Erweckungserlebnis war für Coleridge während seines Studiums in Cambridge die Lektüre der «Räuber». Der düstere Schauer von Schillers früher Tragödie packte den jungen Dichter mit aller Macht, die er in einem Sonett festhielt, mit nachhaltiger Wirkung. Sein erstes Drama «Osorio» zeigt einen starken Einfluss Schillers. Und mit seinen Schauerballaden, insbesondere dem «Alten Seemann» und «Christabel», schuf Coleridge Glanzstücke eines Genres, an dem britische und deutsche Dichter gleichermassen beteiligt waren und sich gegenseitig inspirierten.

Im Spätsommer 1798 reiste Coleridge nach Deutschland, um sich die deutsche Sprache und Kultur aus erster Hand anzueignen. Zu diesem Zeitpunkt, knapp 26-jährig, hatte er seine wichtigsten Gedichte bereits geschrieben. Er wandte sich der Philosophie und der Theologie zu, und studierte an der damals führenden Universität Göttingen, wo etwa auch Lichtenberg und von Haller gewirkt hatten und später die Grimm-Brüder lehren sollten.

Wichtiger Beitrag für die Wiederentdeckung Shakespeares

Nach seiner Rückkehr nach England übersetzte er Schillers «Wallenstein»-Drama, und auch eine 1821 anonym erschienene Übersetzung von Goethes «Faust» wird Coleridge zugeschrieben. In seinen Vorlesungen über Literaturgeschichte knüpfte er an A. W. Schlegels Shakespeare-Interpretationen an, und trug so gemeinsam mit seinem deutschen Zeitgenossen zur Wiederentdeckung des Dramatikers bei.

Statt seine Dichtung weiterzupflegen, konzentrierte er sich bald auf die Ausarbeitung einer Dichtungstheorie. Seine Überlegungen, die im Prosa-Hauptwerk «Biographia Literaria» enthalten sind, entstanden in enger Auseinandersetzung mit der deutschen Philosophie seiner Zeit, insbesondere mit Kants Transzendentalphilosophie und dem deutsche Idealismus Fichtes und Schellings.

In späteren Jahren verfasste Coleridge neben literaturtheoretischen Werken auch kulturkritische und moralische Schriften und Beiträge zur Staats- und Kirchenpolitik. In all diesen Einmischungen hatten sich seine profunden Kenntnisse der deutschsprachigen Literatur und Philosophie niedergeschlagen. Im Alter und über seinen Tod hinaus galt Coleridge als einer der grössten Kenner der deutschen Kultur.

Samuel Taylor Coleridge auf einem Porträt aus dem Jahr 1795.
Bild: PD

So erklärte John Stuart Mill 1840, jeder Engländer sei implizit entweder ein Anhänger des Utilitaristen Jeremy Bentham oder ein Anhänger Coleridges. So wurde Coleridge zu einem intellektuellen Winkelried, der dem dominierenden Empirismus und Utilitarismus seine «germanisch-coleridgeanische Doktrin» entgegenstellte. Über den Kreis von Ralph Waldo Emerson gingen Coleridges idealistische Ideen in den Amerikanischen Transzendentalismus ein, eine der prägendsten intellektuellen Bewegungen der jungen USA.

Goethe und Schlegel schätzten ihn

Die zeitgenössische deutsche Literatenszene nahm Coleridge und seine Vermittlungsbemühungen durchaus wahr. Ludwig Tieck und A. W. Schlegel waren mit ihm bekannt und Goethe schätzte ihn als Übersetzer. Sogar F. W. J. Schelling, dessen Schriften er in intransparenter Weise verwendet hatte, lobte Coleridges Weiterbearbeitung seiner Ideen und nahm die Impulse seinerseits in spätere Werke auf.

Um die Zeit seines Todes 1834 herum wurde Coleridges Lyrik in Deutschland greifbar, zunächst in Anthologien in Originalsprache und später in einzelnen Übersetzungen. Dabei waren es linke Vormärz-Kreise, die Coleridge als revolutionären Dichter entdeckten – Jahrzehnte, nachdem sich jener von seinem jugendlichen Radikalismus distanziert hatte. Ferdinand von Freiligrath befasste sich ausgiebig mit Coleridge, und auch Friedrich Engels war von den frühen politischen Gedichten begeistert und setzte sich für deren Verbreitung ein.

Freiligraths Übersetzungen einiger Gedichte Coleridges erlangten anhaltende Popularität und führten als geflügelte Worte ein Eigenleben, das kaum mehr mit dem englischen Original und seinem ursprünglichen Zusammenhang verbunden wurde. So konnte Fontane in seinen «Wanderungen durch die Mark Brandenburg» etwa zitieren, «Wasser, Wasser überall», und damit nichts weiter als das überschwemmte Oderbruch meinen.

Doch mit den deutschen Revolutionären verstarb auch der Enthusiasmus für Coleridge. Hofmannsthal hatte um 1900 noch einige Zeilen nachgedichtet. Doch ab dem 20. Jahrhundert beschränkte sich das Interesse an Coleridge allmählich auf die akademische Welt der englischen und vergleichenden Literaturwissenschaft. Dass sich deren Forschungsarbeiten immer tiefer in die abstrusesten Fragmente, Notizen und Marginalien aus dem enormen Torso von Coleridges Nachlass eingraben, ist nicht eben geeignet, Werbung für den Lektüregenuss zu machen.

Dabei sind Coleridges Gedichte nicht von Überkomplexität oder Hermetik belastet. Vielmehr ziehen sie in ihrer eigenwilligen Fantastik und ihrer Musikalität ihr Publikum unmittelbar in den Bann, und entfalten ihre Wirkung auch ohne Spezialkenntnisse der historischen Kontexte oder literarischen Einflüsse. So wie dies die Werke grosser Dichter eben tun, ob diesseits oder jenseits der Nordsee.

Kommentare (0)