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Kunst

Das Aargauer Kunsthaus gibt Klodin Erbs wild-fröhlichem Kunst-Universum endlich eine grosse Bühne

Ihr Werk ist vielfältig, tiefsinnig, witzig und raumgreifend. Im Aargauer Kunsthaus ist das Kunst-Universum der 1963 geborenen Zürcherin zu erleben und zu bestaunen.
Sarah Mühlebach, Kuratorin, und Künstlerin Klodin Erb vor dem Werk «Der Vorhang» in der Ausstellung «Vorhang fällt Hund bellt» im Aargauer Kunsthaus.
Bild: Severin Bigler

In Aarau wird seit diesem Wochenende ein üppiges Kunst-Fest geboten, ein überraschendes, pralles Universum! Das hiesige Kunsthaus gibt endlich Klodin Erb die verdiente, grosse Bühne. Aber warum so spät? Und warum nicht Zürich, Basel oder Bern? Erstens ist das Aargauer Kunsthaus so etwas wie die Nummer 1 für die Schweizer Gegenwartskunst. Es hat sich auf die Fahne geschrieben: «Wir stellen Schweizer Kunstschaffende an Schlüsselmomenten ihrer Laufbahn aus», sagt Museumsdirektorin Katharina Ammann über den Schwerpunkt ihres Museums.

Zweitens, und das ist wohl entscheidender: Die 1963 in Winterthur geborene Klodin Erb ist zwar seit über dreissig Jahren auf dem Kunstmarkt präsent. Sie lief aber bisher fast immer unter dem Radar der grossen medialen Öffentlichkeit - trotz des Gewinns des Meret Oppenheim Preises 2022. Und das hat mit ihrer Wandlungsfähigkeit zu tun.

Ihr Gesamtwerk kommt ohne einfaches Label aus

Ihr Werk ist so vielfältig und die Künstlerin denkt und gestaltet so frei wuchernd Themen und Genres immer neu, dass sich kaum ein einheitlicher Stil erkennen lässt. Für die auf einfache Label getrimmte öffentliche Wahrnehmung ist das so anspielungsreiche und spielerische, tiefsinnige und witzige Werk von Klodin Erb schlicht zu wenig fassbar.

Einer von Klodin Erbs Räumen -  hier wie in einer katholischen Kirche: Düster und wild wuchernd.
Bild: Severin Bigler

Ganz anders als Pipilotti Rist mit ihrer feministischen bis esoterischen Videokunst oder Niki de Saint Phalle mit ihren Nanas sucht man vergeblich nach dem einen Label für das Werk von Klodin Erb. Den Vergleich mit diesen Ikonen der neueren Schweizer Kunst braucht Erb jedoch keineswegs zu scheuen. Und wenn man durch ihre jetzige, grosse Ausstellung und somit durch ihr Gesamtwerk schlendert, gewinnt man den Eindruck, dass ihr dieses fehlende Label eine unerhörte Offenheit und Freiheit schenkt - frei von einengenden Publikumserwartungen. Sie spielt mit Surrealismus, Dadaismus, theatraler Inszenierung, mit Malerei, Pop-Art und Minimal Art, benutzt Stop Motion für ihre Filme und reflektiert dabei immerzu Kunstgeschichte.

Das Glatte wird man in Klodin Erbs Kunst nicht finden

Man stellt sich die Künstlerin deshalb gerne augenzwinkernd vor. Nur schon der Titel ihrer Ausstellung enthält eine ironische Finte: «Vorhang fällt, Hund bellt». Das reimt sich ja, denkt man - aber eben nur fast! Also aufgepasst auf die kleinen Irritationen, die in den verführerischen Formen stecken. Und man merkt sich: Nein, nein, das Glatte und Harmonische, ja das klassisch Schöne wird man in Klodin Erbs Kunst wohl nicht finden.

So beginnt denn der Ausstellungsrundgang auch mit einem Schreckmoment: «Vorhang fällt» - was wörtlich und rabiat gemeint ist. Denn dieser schwere, königsblaue Samtvorhang an der Wand fällt laut rasselnd plötzlich zu Boden - und gibt den Blick nicht etwa auf eine Guckkastenbühne frei, sondern auf eine leere Wand. Bühne frei also für ein grosses Kunst-Illusionstheater, das die Betrachter glücklicherweise nicht mit vordergründigen Botschaften bedrängt, sondern zu einer anregend-spielerischen Selbsterkundung einlädt. Man darf sogar wählen, welchen Weg man durch die Ausstellung einschlagen möchte, denn drei Ausgänge stehen im ersten Raum zur Auswahl.

Der Tod, das Weibliche und die Zitrone

Geht man linker Hand, wird man gleich mal von einem Totenschädel und Zitronen begrüsst, die als kleine Irritationen zu entdecken sind - zwischen grossformatigen abstrakten Tuschbildern («lasierend blaue Farbflächen wie Blüten oder Körper», heisst es im Ausstellungstext). Was klar macht: Ein simpler Spass wird dieser Rundgang dann doch nicht.

Zitronen setzt Klodin Erb ohnehin immer wieder in Szene, auch mal neckisch zwischen zwei weiblichen Schenkeln in der grossformatigen Bilderserie «venusinfurs», die sie ursprünglich für eine Ausstellung im Istituto Svizzero in Rom gemalt hat - und die auf surreal-barocke Art sexuelle Potenz und Weiblichkeit feiert, oder einfach die Bildwelt mit all den nacktbeinigen Putten in katholischen Kirchen ein wenig karikiert. Man hüte sich bei Klodin Erb vor allzu einfachen Zuschreibungen! Die Zitrone sei einfach eine sehr schöne Frucht, sagt Erb beim Presserundgang, lacht und ergänzt: Mit ihrem Süss-Sauren und der schönen Form sei die Zitrone die perfekte Frucht für die Malerei.

Klodin Erb vor einem Gemälde der Serie «venusinfurs».
Bild: Severin Bigler

Wie die Natur zum Heiligtum werden kann

Die katholische Bilderwelt nimmt Klodin Erb üppig-raumfüllend und wiederum augenzwinkernd im Saal mit der Installation «Plants Life» auf. Spiegel am Boden, eine Discokugel an der Decke - und schon strahlt der ganze Raum in einer düster-schwelgerischen Farbenpracht. Aber ganz mit Naturmotiven statt mit Heiligenbildern, die Illumination transformiert sehr clever Natur in ein Heiligtum.

Es wäre wohl zu weit hergeholt, diese Gesten als Spott zu lesen. Vielmehr machen sie den Eindruck einer feierlichen Transformation - ein Lieblingswort der Kuratorin Sarah Mühlebach während des Presserundgangs. Das Wort trifft auch auf die überwältigende Porträtserie «Orlando» zu. Zwei Wände mit expressivem Pinselstrich gemalter Porträtbilder, in welchen Klodin Erb 500 Jahre Porträtmalerei reflektiert und mit einem humanistischen Credo in Szene setzt.

Die Künstlerin vor der Gemäldeserie Orlando, einer Hommage an die Porträtmalerei aus mehreren Jahrhunderten.
Bild: Severin Bigler

Das Werk referiert auf den Roman von Virginia Woolf aus dem Jahr 1928, in welchem die Hauptfigur 500 Jahre lang lebt und das Geschlecht wechselt. Auf 200 kleinformatigen Bildern im Saal: Amy Winehouse neben Sigmund Freud, Hulda Zwingly und der Papst neben Tierköpfen und Zufallsbegegnungen der Künstlerin. Diese Gesamtschau solle das ganze, fluide Leben und wie wir alle miteinander verbunden sind in den Blick nehmen.

Ihre Kunst ist voller Heiterkeit

Aber weil der Rundgang so rasselnd und heiter begonnen hat, sollte man ein wenig am Podest mit den nostalgischen Stehlampen verweilen. Diese flackern nämlich so herzig vor sich hin, dass man lächelnd ihren Titel «Eine kleine Nachtmusik» akzeptiert. Klodin Erb erklärt dazu: «Ich laufe gerne nachts in der Stadt herum und bin fasziniert von diesen flachernden Strassenlampen.» Wieder Transformation: Diesmal von Alltag in musikalische Licht-Poesie.

Installation mit flackernden Stehlampen: «Eine kleine Nachtmusik.»
Bild: David Aebi

Und weil der Rundgang mit einem Schreckmoment begann, setzt man dem Museumsbesuch am besten ein Ende mit dem Gang in den Innenhof. Dort steht ganz einsam eine Hundehütte, innen rot beleuchtet. Tritt man näher, hat man den Titel der Ausstellung vollständig erfasst.

Im Innenhof steht diese beleuchtete Hundehütte, aus der ein Bellen ertönt, sobald man sich ihr nähert.
Bild: David Aebi

Denn hier ertönt ein Bellen, obwohl vom Hund keine Spur ist. Vielleicht mag man daraufhin einen heiter-relativierenden Schlusssatz über den Stand der Kunst im Kopf mitnehmen: Vorhang fällt, Hund bellt - die Kunst hallt froh nach, auch wenn sie nicht schmerzhaft gebissen hat.

Klodin Erb: Vorhang fällt, Hund bellt. Aargauer Kunsthaus, bis 4. Januar 2026.

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