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Schweizer Buchpreis

Capus, Hohler, Merz, Sulzer, kommt zurück! Der Schweizer Buchpreis wäre aufgewertet

Einige der erfolgreichsten Bestsellerautoren ignorieren leider den Schweizer Buchpreis. Sie sollten mittun. Hier siegen nämlich erfreulich welthaltige Bücher.
Morgen wird der Buchpreis verliehen. Wichtige Autoren der Schweiz haben dieser Bühne aber den Rücken gekehrt.
Bild: Georgios Kefalas / KEYSTONE

Würden Sie eine Fussball-Weltmeisterschaft schauen, wenn Brasilien, Frankreich und Deutschland sich weigern, daran teilzunehmen? Eine WM ohne Freude am fussballerischen Samba, ohne die Eleganz der Tricolore-Spieler, ohne Schadenfreude über deutsche Niederlagen? Ich wette: Vorfreude, Spannung und mediale Aufmerksamkeit wären höchstens halb so gross, vor allem bei den vielen Fans dieser grossen Fussballnationen. Genau in dieser skurrilen Situation befindet sich derzeit der Schweizer Buchpreis. Einige der erfolgreichsten und vom Feuilleton jeweils hoch gelobten Autoren haben der Veranstaltung den Rücken gekehrt.

Literatur als Miss-Wahl und die eigene Schmerzgrenze

Zum Beispiel Alex Capus, der auch mal seinen Verlag zurückgepfiffen hat. Er wolle kein Zirkuspferd sein in solchen Wettbewerben, bei denen es «für mein Empfinden zugeht wie früher bei der Wahl der Miss Schweiz». So schrieb er vor zwei Jahren in der «NZZ am Sonntag». Literatur sei doch keine olympische Disziplin wie Stabhochsprung, wo messbare Zentimenter über den Sieg entscheiden. «Ist Max Frisch der grössere Autor als Friedrich Dürrenmatt?», «Steht Monique Schwitter über Ruth Schweikert? Oder neben ihr? Oder unter ihr?» Solche Bewertungen seien «albern», hält Capus fest.

Mit dieser Einschätzung trifft er natürlich einen wunden Punkt unserer auf Listen und Gewinner, auf Taxierung und Messbarkeit fixierten Gegenwart. Und wer schon mal im Foyer des Theater Basel die erste Reihe beobachtet hat, ahnt die innere Qual der Nominierten zwischen unterdrücktem Grössenwahn und aufgesetzter Bescheidenheit. Grossartig und offenherzig formuliert hat das Alain Claude Sulzer in einem Gastbeitrag in der «NZZ am Sonntag». Er schrieb von den «Grenzen der eigenen Schmerzfähigkeit», die er nach zwei Nominierungen und zwei nicht gewonnenen Buchpreisen deutlich gespürt habe. Franz Hohler und Klaus Merz haben sich ebenfalls schon öffentlich gegen eine Teilnahme ausgesprochen.

Mit Capus und Co. käme man näher ans Lesepublikum

Steckt im Wegbleiben aber nicht auch ein Stück menschlicher Schwäche der Feigheit? Bestes Gegenbeispiel für schmerzresistente Ausdauer ist Christian Haller, der lange ohne grossen Literaturpreis auskommen musste und 2023 den Buchpreis gewonnen hat – mit 80 Jahren. Mit der Abstinenz der genannten Bestsellerautoren ist natürlich nicht gesagt, dass Sibylle Berg, Jonas Lüscher, Martina Clavadetscher oder Lukas Bärfuss, die allesamt den Buchpreis gewonnen haben, nur zweitbeste Bücher geschrieben hätten. Gut möglich ist es ja auch, dass mit der WM-Teilnahme von Brasilien, Frankreich und Deutschland am Ende doch Argentinien oder Italien den Titel holen. Aber ohne die grossen Rivalen wäre der Titel nur halb so wertvoll gewesen.

Dieses Gefühl wird man auch beim Schweizer Buchpreis nicht los. Das ist dreifach schade. Erstens wäre der Wettbewerb mit Capus, Hohler, Merz und Sulzer am Start spannender – und der Buchpreis damit auch deutlich näher am grossen Lesepublikum. Zweitens könnte das über die letzten Jahre spürbar nachlassende Medieninteresse am Buchpreis neu geweckt werden. Das Flaggschiff der helvetischen Literaturvermittlung, der SRF-Literaturclub, hält es nicht einmal für angebracht, eine ganze Sendung den fünf Nominierten für den Buchpreis zu widmen – was eigentlich Pflicht wäre. Und drittens würde dem Siegertitel dann jene breite inhaltliche Würdigung zuteil, den er verdient.

Beim Buchpreis siegt erfreulich weltoffene Literatur

Dass etwa Sibylle Bergs «GRM» den Schweizer Buchpreis gewonnen hat, zeigt beispielhaft, dass Literatur ein geistiges Frühwarnsystem sein kann. Ihre Warnung vor einem neoliberalen, totalitären Überwachungsstaat konnte man unschweizerisch brachial finden. Ihr Buch hat aber eine gesellschaftliche Debatte mitgeprägt und hat das Zeug zum Klassiker. Darüber hinaus sieht man darin eine erfreuliche Entwicklung. Lange klebte an der hiesigen Literatur das Vorurteil: Sie sei kleinstaatlich, kleinstädtisch, thematisch provinziell ohne weltgeschichtliches Drama.

Der Buchpreis spiegelt jedoch eine weltzugewandte Literatur. Jonas Lüscher verlacht mit «Kraft» in einer kenntnisreichen Groteske den Neoliberalismus zwischen Deutschland und Kalifornien. Melida Nadj Abonji erzählt in «Tauben fliegen auf» eine Migrationsgeschichte, Catalin Dorian Florescu mit «Jacob beschliesst zu lieben» ein Familienepos quer durch Europa, Christian Kracht entführt mit «Die Toten» in die Weimarer Republik und nach Japan, Martina Clavadetscher in «Die Erfindung des Ungehorsams» nach China und Manhattan, und Christian in «Sich lichtende Nebel» zu den Atomphysikern nach Dänemark.

Grund genug also, auf das hiesige Literaturschaffen stolz zu sein. Darüber hinaus darf man betonen, dass es den diversen, wechselnden Jurys des Schweizer Buchpreises gelungen ist, bemerkenswert unprovinzielle, weltoffene Bücher zu belohnen.

Verleihung Schweizer Buchpreis: Sonntag, 17. November, ab 11 Uhr, Foyer Theater Basel.

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