In den Schlagzeilen war sie vor kurzem erst, allerdings nicht als Autorin. Bettina Spoerri (*1968), die Zürcher Literaturwissenschafterin, Publizistin und Netzwerkerin, hatte sich nach nur einem Jahr als Leiterin der Solothurner Literaturtage wieder von ihrem Amt zurückgezogen.
Das von ihr organisierte «Familientreffen der Schweizer Literatur», die Solothurner Literaturtage vom Mai 2013, war zwar ausserordentlich gut angekommen und auch wirtschaftlich erfolgreich, doch die Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Vorstand funktionierte nicht, und so trennte man sich nicht ohne hässliche Nebengeräusche.
Solothurn wird sehen müssen, wie es weitergeht; Bettina Spoerri jedoch war nicht lange auf dem freien Markt. Sie wird ab Oktober das Aargauer Literaturhaus in Lenzburg leiten, als Nachfolgerin von Sibylle Birrer.
Und just in diesen Tagen betritt Bettina Spoerri auch als Autorin die literarische Bühne: Ihr erster Roman kommt heraus. Er heisst «Konzert für die Unerschrockenen» und überzeugt als feinsinnige, unaufgeregte und berührende Familiengeschichte.
Unsichere Kunstwissenschafterin
Im Zentrum des Geschehens steht Anna, eine 35-jährige, etwas unsichere Kunstwissenschafterin. Sie schreibt an einem Aufsatz über «Tod und Kunst», und der Text soll ihr den Zugang zu einem renommierten Graduiertenkolleg in Berlin ermöglichen. «Der Tod», schreibt sie, «tritt ähnlich wie die Kunst nicht nur als Spiegel des Diesseits auf, sondern sucht es heim, verunsichert es zutiefst, macht es sich selbst unähnlich» – und dieser Satz beschreibt auch, was mit ihr selbst geschieht in den kalten Wochen zwischen Leahs Tod und ihrem Wegzug aus Zürich.
Leah war ihre Grosstante. Eine talentierte, lebenskluge Frau, die ihren eigenen Weg ging, auch wenn sie als Jüdin der Unheilsgeschichte des 20. Jahrhunderts ausgeliefert war. Sie wurde 1910 in Zürich geboren, folgte 1928 ihrem ersten Mann nach Schanghai, zog 1932 weiter nach Manila, 1937 zurück nach Wien, ging 1939 mit dem zweiten Mann nach Palästina und kam mit dem dritten über Indien schliesslich 1945 nach England. An jedem neuen Ort baute sie sich als Musikerin wieder eine Existenz auf. Ihr Tagebuch gibt Anna (und uns) Einblick in ihre Gedanken, Hoffnungen und Sorgen und in die kurzen Ehen.
Anna hat Leahs Tagebücher geerbt. Sie liest in den alten Kladden und betrachtet hinterlassene Fotografien, entdeckt dabei vieles, was sie nicht wusste, und bekommt auch einen neuen Blick auf die Familiengeschichte, der sie sich bisher gerne verschloss, um sie auszuhalten. Dieses von Generation zu Generation immer enger geknüpfte Netz aus Druck, Kälte und Schweigen, unter dem vor allem die Kinder zu leiden hatten und das besonders zäh war durch das wiederkehrende Muster der Unglücks-Ehen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Partnern. Und so ist auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Jüdischsein in dieser Familie eher Anlass zu Vorsicht als Stolz.
Bettina Spoerris Text ist grundiert von der Aufmerksamkeit für mehr oder weniger latenten Antisemitismus. Besonders klar wird dies in der Nebenhandlung, die Anna mit Peter Kandl zusammenführt, einem Österreicher, und dessen jüdischem Jugendfreund Robert Stein. Die beiden Männer, erfährt sie, wurden damals durch den aggressiven Antisemitismus in Kandls Familie auseinandergetrieben – jetzt, Jahrzehnte später, wird deutlich, wie kaputt die Beziehung zwischen ihnen noch immer ist. Eine Verständigung ist nicht möglich, doch zwischen Anna und dem weit älteren Robert entsteht ein neues, ein «unsichtbares Netz»: eine vorsichtige, auch erotisch erregende Annäherung.
Illusionslos präzise Sorgfalt
Wie Anna sich dieser neuen Nähe stellt, während sie das beengende Familien-Netz und dessen Ursprünge immer klarer erkennt und es – mit Leahs Kraft im Rücken – schafft, es etwas zu lockern; und wie sie dabei merkt, dass Netze durchaus auch etwas sein können, was Halt gibt und einen auffängt: das zeigt Bettina Spoerri mit illusionslos präziser Sorgfalt. Denn sie versagt sich alle pauschalen Urteile, psychologischen Wunderheilungen und Happy-End-Verlockungen; das macht ihren Text glaubhaft und berührend.
Bettina Spoerri Konzert für die Unerschrockenen. Roman, Braumüller Verlag, Wien, 462 S., 32.90 Fr.
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