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Popkultur-Glosse

«Backstreet’s back, alright!»: Boygroups bringen (mich) immer noch zum Kreischen

Die Backstreet Boys waren diese Woche im Hallenstadion. Sie sind zwar schon lange keine «Boys» mehr, trotzdem haben sie nach wie vor ein begeistertes Publikum. Auch ich singe bei ihren Songs immer noch lauthals mit. Also beleuchten wir doch mal das Phänomen: die Boygroups.

Erst einmal etwas Geschichte

Boygroups lassen Fans seit Generationen durchdrehen. Und doch vergisst man das offenbar und motzt über «die Jungen». Bereits die Beatles könnte man als Boygroup bezeichnen, was für so manchen Fan wohl die pure Blasphemie ist. Aber sie haben als erste Gruppe eine weltweite Hysterie ausgelöst. Die «Beatlemania».

Noch ganz brave Buben: die Beatles in den 60er-Jahren.
Bild: Keystone

Genau wie die gefühlt Tausenden Boygroups, die in den 90er-Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen: die New Kids On The Block, Boyz II Men, Take That, East 17, Caught in the Act, Backstreet Boys, Boyzone, *NSYNC, Westlife, O-Town, Blue oder One Direction. Übrigens musste ich für diese Auflistung nicht googeln!

Doch die Ära der «klassischen» Boygroups ist vorbei. Jetzt haben die K-Pop-Gruppen aus Südkorea das Zepter übernommen, allen voran BTS. Und ich checke den Hype ehrlich gesagt nicht mehr so ganz. Dabei sind sie nicht wirklich anders.

BTS sind die erfolgreichsten Künstler in der Musikgeschichte von Südkorea und längst auch im Rest der Welt extrem beliebt. Ende des Jahres müssen die Mitglieder den Militärdienst absolvieren und darum in eine Zwangspause.
Bild: Keystone

Die dunkle Seite im Boygroup-Business

Boygroups sind und waren schon immer künstlich. Sauber. Sicher. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Weder Songs, Choreografien noch die Persönlichkeiten der Mitglieder. Für jedes Mädchen muss es jemanden geben, für den es schwärmen kann. Der Lustige, der Süsse, der Rebell usw. Beim K-Pop geht man noch weiter: Hier gibt es das «Visual», das explizit das Gesicht der Gruppe ist. Und damit wird klar: Seit dem Sendestart von MTV ist das Aussehen wichtiger als Talent. Etwas, das sich im Rest der Welt manchmal spiegelt.

Musikproduzent Simon Cowell, der u. a. One Direction gegründet hat, soll einst über Westlife gesagt haben: «Sie haben gute Stimmen, aber das ist die hässlichste Band, die ich je gesehen habe.» Autsch! Gary Barlow war zwar der Lead-Singer von Take That, wurde aber als «der Dicke» angesehen. Als es Take-That-Puppen zu kaufen gab, wurde die Gary-Puppe sogar in einem «Zwei für eins»-Angebot verkauft, weil das Marketing glaubte, niemand wolle seine kaufen. Und es wurde noch extremer: Bei K-Pop-Gruppen gelten Schönheits-OPs als normal und viele der Mitglieder leiden unter Essstörungen.

Süss, aber nicht (zu) sexy

Trotzdem wirken Boygroups harmlos. Jugendfrei. Aber Drogen und Groupies gehörten immer dazu. In der Bravo habe ich Artikel gelesen, dass Fans sich in die Hotelzimmer ihrer Stars geschlichen und dort teilweise nackt auf sie gewartet haben. Und die jungen Männer haben natürlich nicht Nein gesagt. Vor Jahren habe ich Robbie Williams interviewt, der bei der Gründung von Take That zarte 16 Jahre alt war. Auf die Frage, ob seine Tochter One Direction treffen dürfte, meinte er: «Auf keinen Fall! Ich treffe sie gerne, sie sind nette Jungs. Aber meine Tochter sicher nicht. Ich weiss, in welche ‹Direction› das geht.»

Gleichzeitig wurde das Thema Homosexualität in Boygroups totgeschwiegen. Doch diverse Ex-Mitglieder haben sich Jahre später geoutet: Ricky Martin, der bei Menudo dabei war. Lance Bass von *NSYNC. Eloy de Jong von Caught in the Act war sogar eine Zeit lang in einer Beziehung mit Stephen Gateley von Boyzone.

Heute kann er ganz offen sein: Lance Bass (r.) mit seinem Ehemann. Zusammen haben sie zwei Kinder.
Bild: Keystone

Gleichzeitig wurden männliche Fans sofort für schwul gehalten. Erst nachdem die Mitglieder aus ihrem Image ausgebrochen sind, nahm man sie als Musiker ernst und durfte sie auch als Mann gut finden. Das war bei den Beatles so, genau wie bei Robbie Williams, Justin Timberlake und jetzt Harry Styles.

Justin Timberlake ist längst solo erfolgreich.
Bild: Keystone

Boygroups haben ein Ablaufdatum

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem jemand aussteigen will. Kein Wunder, hinter den Kulissen sind die Jungs keine Freunde, sondern Geschäftskollegen und die mag man nicht immer. Sobald der Erste geht, dauert es nicht lange, bis alles zusammenbricht. Und wenn die Blase platzt, sind Fans am Boden zerstört.

Die pure Verzweiflung: Fans von Take That weinen bei der Auflösung.
Bild: Keystone

Ich weiss noch, wie Fans heulend auf der Strasse sassen, als Take That 1996 das Ende verkündeten. Telefonseelsorgen mussten eingerichtet werden, weil manche sich das Leben nehmen wollten! Zehn Jahre später gab es plötzlich ein Comeback. Und die Fans waren sofort wieder Feuer und Flamme, Nostalgie sei Dank. Den Backstreet Boys ist das übrigens sehr bewusst. Auch sie haben ein Comeback gewagt - und das erfolgreich. Denn sie haben die Balance gefunden, neue Songs zu machen und doch das Verlangen nach den alten Hits zu befriedigen.

Wir verstehen vielleicht bis heute nicht immer, was Boygroups eigentlich trällern, aber die Songs sind gut gemacht. Auch wenn sie genauso künstlich und strategisch geplant sind wie alles andere an ihnen. So gesehen passen sie perfekt in diese Welt, die ja mehr denn je fake ist.

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