notifications
Protest

Ai Weiwei zeigt Putin den Stinkefinger

Chinas Staatsfeind Nummer 1 enthüllt in Kiew ein Mahnmal gegen den Krieg. Es ist die erste Arbeit des Künstlers und Menschenrechtsaktivisten in der Ukraine, mit Protesten seitens Russlands ist zu rechnen.
Seit Monaten arbeitet Ai Weiwei in einem Atelier in Portugal an seinem Werk.
Bild: Ai Weiwei Studio

Ein poetischer «Fuck»-Mittelfinger steht bald in der Hauptstadt der Ukraine, Kiew erhält von Ai Weiwei ein Mahnmal gegen den Krieg. Seit einigen Monaten arbeitet der Künstler in seinem Atelier in einer portugiesischen Kleinstadt an einer grossen Metallskulptur. Bedeckt sein wird sie mit weiss eingefärbtem Stoff, aus dem Militäruniformen gemacht sind, es ist ein Tarnanzug vermeintlicher Neutralität.

Denn «Fuck!» sagt das «soziale Gewissen von China» oft und gerne. Weiwei hebt seinen Mittelfinger gegen Gebäude und Plätze, die Macht symbolisieren. Er richtet ihn auf den Tiananmen-Platz (1995) in Peking, zum Tor des Himmlischen Friedens , er richtet ihn auf den Reichstag in Berlin oder den Eiffelturm in Paris. Die anarchistische Geste bringt die Gesinnung des Dissidenten auf den Punkt.

Wird später mit weissem Uniformstoff kaschiert, die Skulptur 'Three Perfect Portioned Spheres and Camouflage Uniforms Painted White».
Bild: Ai Weiwei Studio

«Study of Perspective» heisst die Fotoserie, die ihn weltbekannt und in seiner Heimat zum Staatsfeind Nummer eins machte. Kaum eine künstlerische Auseinandersetzung mit Machtstrukturen und Autoritäten hatte einen ähnlichen Impact wie dieses Werk von Weiwei, der auch in seiner kurzzeitigen Wahlheimat in Berlin (2015–2019) für Ärger sorgte. Seine Vorwürfe, Deutschland kultiviere ungehindert Faschismus und Nazismus, erbosten die Politik nachhaltig.

Militäruniformen haben symbolischen Gehalt

Die Installation in Kiew nimmt seine früheren Arbeiten auf und mischt sie mit den Überlegungen von Leonardo da Vinci – in Bezug auf das antike Ideal von Ordnung und Rationalität: «Three Perfect Portioned Spheres and Camouflage Uniforms Painted White» soll, so der Künstler, daran erinnern, was Realität ist: «Gibt es vielleicht verschiedene Schichten von Realität? Oder ist nur das Realität, was wir sehen oder verstehen?»

Ai Weiwei begreift sein neues pazifistisches Werk als Dialog über Krieg und Frieden, Rationalität und Irrationalität. Inspiriert von Leonardos «Divina Proportione» reflektiere es die Rationalitätsideale der Aufklärung und wie diese in einer von Konflikten und Verheimlichung geprägten Welt vereinnahmt werden.

Die Wahl des Camouflage-Stoffes soll Natur und Militärkunst verweben, eine visuelle Sprache, die die Überlebensmethoden der Tiere nachahme. Die weisse Farbe füge eine zweite Haut der Tarnung hinzu, ein Effekt, der an das Phänomen der ideologischen Auslöschung erinnere. Es ist Weiweis Verweis auf politische Schönfärberei, die das, was darunter liegt, verdeckt, aber nicht beseitigt.

Er selbst versteht das Werk als eine «poetische Geste», die uns auffordere, über die vielfältigen Realitäten, mit denen wir konfrontiert sind, und über ihre sichtbaren und unsichtbaren Schichten nachzudenken.

Kunst soll Menschen retten

Gezeigt wird die Skulptur in Kiew ab dem 14. September an einem Ort von grosser historischer Bedeutung für die Ukraine, dem Pavillon 13. Der multidisziplinäre Kunstraum ist in einer gläsernen Ausstellungshalle aus der Sowjetzeit untergebracht und erst kürzlich wiedereröffnet worden. Ursprünglich diente die 1967 errichtete Halle dazu, die wirtschaftlichen Errungenschaften der Donbass-Region in bestem Lichte zu präsentieren.

Das Gebäude mit seiner Glas- und Stahlstruktur soll eine dialogische Rolle mit dem Werk spielen, indem es Kontraste und Resonanzen zwischen Transparenz und Verborgenheit hervorhebt. Ai Weiwei will damit auch die Debatte über das kulturelle und politische Erbe beleuchten, da die Stadt und das Land einen entscheidenden Moment in ihrer Geschichte erleben.

Das neue, ortsspezifische Werk ist Ai Weiweis erster Auftrag in der Ukraine. Es entspringt seinem anhaltenden humanistischen und pazifistischen Interesse an Konflikterfahrungen. Er greift auf ideologisch aufgeladene Objekte der Vergangenheit zurück, um Kunst zu schaffen, die die Komplexität der Gegenwart widerspiegelt.

Der Chinese selbst erklärt: «Kunst ist etwas, was mit den Emotionen der Menschen zu tun hat, mit Ängsten, Fantasien oder Träumen. Ich denke auch, Kunst ist der einzige Weg, um die Menschen vor autoritären Systemen zu retten.»

In der Schweiz zum letzten Mal für Aufsehen sorgte der weltbekannte Künstler diesen Februar. Er wurde am Zürcher Flughafen wegen fehlender Dokumente aufgehalten und an der Einreise gehindert. Auf einer Bank im Transitbereich nächtigend, gehüllt in eine dünne Decke, kommentiert er seinen Kurzaufenthalt auf Instagram: «Das ist die Schweiz, nicht Portugal, sagten sie mir.»

Kommentare (0)