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Streit um St.Galler Mumie

Ägyptologin behauptet: Die Ausreise von Schepenese im 19. Jahrhundert war illegal – doch stimmt das auch? 

Die ägyptische Professorin Monica Hanna, die mit Milo Rau die St.Galler Erklärung initiiert hat, will in Kairo Beweise gefunden haben, dass die St.Galler Mumie das Land illegal verlassen habe. Doch die Ägyptologin Renate Siegmann widerspricht.

Trägt die Aktion von Milo Rau aktiv mit: die Ägyptologin und Aktivistin Monica Hanna. 
Bild: Gian Ehrenzeller/Keystone

Muss die Mumie in der St.Galler Stiftsbibliothek zurück nach Ägypten? Mitte November hatte Theatermacher Milo Rau mit der St.Galler Erklärung eine Debatte über ethische und rechtliche Fragen in Bezug auf koloniale Kunst und den Umgang mit sterblichen Überresten ausgelöst. Nun will die ägyptische Professorin Monica Hanna, die zu den Mitinitiantinnen der St.Galler Erklärung gehört, etwas herausgefunden haben, das Theaterregisseur Milo Rau beim Verfassen der St.Galler Erklärung angeblich noch nicht wusste: «Ich bin ins ägyptische Nationalarchiv gestiegen und habe herausgefunden, dass die Ausgrabungsbewilligung für den preussischen Generalleutnant Minutoli mit dem Datum November 1820 versehen ist. Die Mumie und ihre Sarkophage kamen aber bereits im August 1820 in der Schweiz an.» Monica Hanna folgert daraus:

«Schepenese hat das Land illegal verlassen, es gab für ihre Ausfuhr keine gültige Bewilligung.»

Sie bedauere, dass Milo Rau, mit dem sie zusammenarbeitet, nicht etwas abgewartet habe mit seiner Erklärung. Und sie hat vor einigen Tagen eine eigene Petition auf Facebook veröffentlicht – mit der Aufforderung, alle Ägypterinnen und Ägypter, die für die Rückgabe Schepeneses seien, sollten unterschreiben. 230 Personen seien dem Aufruf innert nur 24 Stunden gefolgt. Es sei wichtig, dieses Thema nicht den Behörden zu überlassen, sagt Monica Hanna. Der Druck der Zivilgesellschaft könne unter Umständen mehr bewirken. Das Aussenministerium, das erst vor kurzem über diese Aktion informiert wurde, habe sie inzwischen «auf inoffizieller Basis» darum gebeten, «die offizielle Note für die Rückführung Schepeneses vorzubereiten».

Ägyptologin Renate Siegmann.
Bild: zvg

Die Ägyptologin Renate Siegmann, die Schepeneses Särge während vieler Monate erforscht und deren Provenienz ermittelt hat, widerspricht Monica Hannas Beweisführung vehement. Über die angeblich zu spät ausgestellte Bewilligung, die Hanna gefunden haben will, kann sie nur den Kopf schütteln: «Mit Heinrich von Minutoli, einem Gesandten der preussischen Regierung in Ägypten, hat das Sargensemble der Schepenese überhaupt nichts zu tun», sagt sie. «Minutoli hat, ohne von der Verwandtschaft zu wissen, im gleichen Jahr Särge und Mumie des Vaters der Schepenese erworben.» Die Fakten würden verdreht.

In Siegmanns bereits 1998 erschienenem Buch «Schepenese – die ägyptische Mumie in der Stiftsbibliothek St.Gallen» beschreibt die Autorin minutiös die Vorgeschichte; sie zitiert aus Notizen und Briefen. Ironischerweise aber erwähnt Monica Hanna ausgerechnet Siegmanns Buch als Beleg für ihre eigene «Minutoli-Theorie». Sie zitiert aus Seite 55 von Siegmanns Buch. Tatsächlich geht es an der erwähnten Stelle aber gar nicht um Schepenese, wie Monica Hanna glaubt, sondern um ihren Vater, der via Minutoli schliesslich im Ägyptischen Museum in Berlin gelandet ist.

Ethische Fragen sind wichtiger

In den Augen der in Assuan am College of Archaeology and Cultural Heritage tätigen Ägyptologin Monica Hanna gehe es am Ende sowieso weniger um legale denn um ethische Fragen. Sogar wenn eine Antike damals gemäss herrschenden Gesetzen legal verkauft worden sei, heisse das lange noch nicht, dass es legitim gewesen sei. «Die Konzentrationslager widersprachen damals auch nicht den deutschen Gesetzen», fügt sie ein drastisches Beispiel an. Ausserdem solle Schepenese in Ägypten pietätvoller ausgestellt werden.

Als sie auf einem Foto gesehen habe, wie die Mumie in St.Gallen präsentiert sei, habe sie sich erschrocken und Monica Hannas Petition unterschrieben, sagt Omniya Abdel Barr: «Wo auch immer auf der Welt das geschieht: Ich finde es grundsätzlich falsch, menschliche Überreste in Museen auszustellen», sagt sie: «Es geht hier um menschliche Wesen, wir sollten sie respektvoll und nicht wie Objekte behandeln.

Die Architektin ist auf islamische Kunst und Architektur spezialisiert. Sie spreche hier als Ägypterin und Muslimin. Omniya Abdel Barr schaut sich generell keine Mumien an. Und man solle doch bitte damit aufhören, ständig neue Mumien auszugraben. Sie habe nichts dagegen, wenn sie zu Forschungszwecken untersucht würden. Aber danach solle man sie «in Frieden ruhen lassen».

«Das Wort Mumie sollte man nicht mehr verwenden, wir sollten von menschlichen Überresten sprechen», korrigiert die Ägyptologin Heba Abd el Gawad, die sich seit vielen Jahren mit den Folgen des Kolonialismus auseinandersetzt: «Der Begriff Mumie ist mit deren rassistischen, entmenschlichenden Gruseleffekten verbunden.» Die Petition sei ein guter Startpunkt für eine breitere Debatte über den Umgang mit solchen «Human Remains», an der alle Anspruchsgruppen des Landes repräsentiert sein sollten. Denn vor einer allfälligen Rückgabe Schepeneses «müssen wir einen klaren Plan haben, was wir mit ihr machen möchten». Doch es dürfe bei der Diskussion nicht nur um diesen einen Fall gehen, es gebe sehr viele ähnliche Fälle.

Kulturschätze vor der Haustür? Nicht im globalen Süden

Heba Abd el Gawad arbeitet als Forscherin beim Projekt «Egypt’s Dispersed Heritage» («Ägyptens zerstreutes Erbe»). «Ägypten ist von 30 vor Christus, der römischen Periode, bis 1956 kolonialisiert worden ist», sagt sie. Wie alle kolonialisierten Länder habe Ägypten seine Schätze nicht freiwillig mit der Welt geteilt, «sie wurden ihnen entwendet». Der Westen habe das Privileg, die Kulturschätze aus aller Welt bei sich vor der Türe zu haben: «Die Menschen können diese Vielfalt geniessen, ohne sich anzustrengen, ohne weit reisen zu müssen.» Der globale Süden aber habe dieses Privileg umgekehrt nicht.

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